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24. Mai 2022 / by Kanzlei Kerner

Massenentlassungsanzeige: Muss-Angaben müssen, Soll-Angaben sollen

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.05.2022 (Az. 2 AZR 467/21)

Eine Massenentlassung kommt häufig im Rahmen von Personalabbauwellen vor. Von einer Massenentlassung spricht man immer, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern gleichzeitig oder innerhalb von 30 Tagen entlassen werden.

Eine Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung bietet Arbeitnehmern zusätzliche Angriffspunkte in einem Kündigungsschutzverfahren, da sich Fehler oder Unterlassungen in dem Massenentlassungsverfahren auf die Wirksamkeit der Kündigung auswirken. Ab der wievielten Entlassung die zusätzlichen Pflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden, regelt § 17 Abs. 1 Nr. 1. bis 3. KSchG abhängig von der Größe des Betriebs: Je größer, desto mehr Arbeitnehmer müssen betroffen sein. In Betrieben mit 20 bis 60 Arbeitnehmern ist ab dem 6. Arbeitnehmer, in Betrieben unter 500 Arbeitnehmern ab dem 26. Arbeitnehmer oder ab 10 % der Belegschaft und in Betrieben ab 500 Arbeitnehmern bei mindestens 30 Arbeitnehmern der Schwellenwert erreicht. Werden sämtliche Mitarbeiter entlassen, weil der Betrieb geschlossen wird und werden hierbei die Schwellenwerte aus § 17 Absatz 1 KSchG erreicht, stellt das nichts anderes als eine Massenentlassung dar, die auch entsprechend gehandhabt werden muss.

Folgende Pflichten entstehen für den Arbeitgeber im Rahmen einer Massenentlassung:

Durch die Einordnung als Massenentlassung ist der Arbeitgeber verpflichtet, die geplanten Entlassungen mit dem Betriebsrat rechtzeitig und zweckdienlich zu beraten und den außerdem den Betriebsrat zu beteiligen (§ 17 KschG, § 111 BertrVG). Dies ist ein „mehr“ zu ohnehin vor jeder Kündigung bestehenden Pflicht, den Betriebsrat anzuhören. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, Vorschläge zu machen, nach denen die Kündigungen vermieden oder die Folgen für die Betroffenen abgemildert werden können. Diese Pflichten sind erst erfüllt, wenn eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt oder wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf einen Interessenausgleich verständigt haben.

17 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) regelt, dass der Arbeitgeber oder auch bereits der Insolvenzverwalter der Agentur für Arbeit Mitteilungen machen muss – die Massenentlassungsanzeige -, bevor er die Entlassungen durchführt. Wird dies trotz Überschreiten des Schwellenwertes unterlassen, führt das zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Die Regelung dient arbeitsmarkpolitischen Zielen: Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig in die Lage versetzt werden, Maßnahmen für die betroffenen Arbeitnehmer zu veranlassen.

Bei einer Massenentlassung handelt es sich also um ein Bündel von Maßnahmen, das wegen des Risikos der Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen durch den Arbeitgeber einer gründlichen Vorbereitung und Prüfung bedarf.

Wie ist die Massenentlassungsanzeige aufgebaut?

Es gibt 9 Bereiche, zu denen zwingend Angaben erfolgen müssen, unter anderem die Gründe für die Entlassungen, deren Berufsgruppen und die Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. Das Formular können Sie hier einsehen: Link zur Bundesagentur für Arbeit

 

17 Abs. 3 S. 4, 5 KSchG gibt vor, dass die Anzeige folgende Angaben enthalten muss:

  • Namen des Arbeitgebers,
  • Sitz und Art des Betriebes
  • Gründe für die geplanten Entlassungen
  • Zahl und Berufsgruppen der zu Entlassenden
  • Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und
  • vorgesehene Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

 

Die Anzeige soll ferner folgende Angaben enthalten:

  • Geschlecht,
  • Alter,
  • Beruf und
  • Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer.

 

Der Vordruck der Agentur für Arbeit greift diese Unterscheidung zwischen „Muss-Angaben“ und „Soll-Angaben“ auf, indem dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt wird, die „Soll-Angaben“ beizufügen, nachzureichen oder keine Angaben hierzu zu machen.

Der Fall: Soll-Angabe in der Massenentlassungsanzeige fehlt

Bei dem später verklagten Unternehmen waren regelmäßig 21 Mitarbeitende beschäftigt, von denen innerhalb eines Monats 17 Arbeitsverhältnisse gekündigt wurden. Die hierzu erfolgte Massenentlassungsanzeige enthielt keine Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG, also keine Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer. Eine der entlassenen Arbeitnehmerin war der Ansicht, die Massenentlassungsanzeige sei daher fehlerhaft erstellt worden, was die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich ziehe.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: (Wieder) alles beim Alten

Das Landesarbeitsgericht Hessen hatte der Klägerin Recht gegeben und die Kündigung für unwirksam erklärt (Urteil vom 18.06.2021, Az. 14 Sa 1228/20). Hierzu führte das Gericht aus, die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift ergäbe, dass diese Angaben für die Agentur für Arbeit zweckdienlich seien und die Massenentlassungsanzeige bei Fehlen dieser Angaben nicht ordnungsgemäß erstellt sei. Der Fehler sei auch nicht dadurch heilbar, dass die Agentur für Arbeit diesen Fehler nicht beanstandet habe.

Das Bundesarbeitsgericht entschied anders; es hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und erklärte die Kündigung für rechtsgültig (BAG, Urteil vom 19.05.2022, Az. 2 AZR 467/21; zur Pressemitteilung). Zur Begründung führte das Gericht aus, bei den sog. Soll-Angaben handele es sich gerade nicht um Muss-Angaben, dies habe der Gesetzgeber eindeutig klargestellt. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung sei nicht geboten, weil der Europäische Gerichtshof seinerseits bereits klargestellt habe, dass Angaben wie Alter oder Geschlecht in der Anzeige nicht enthalten sein müssen. Fehlen diese Angaben, habe dies also keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung.

Fazit

Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Fall ungewöhnlich schnell entschieden, wohl aus dem Bedürfnis heraus, die Rechtslage – nach der durch das Urteil des LAG Hessen ausgelösten Rechtsunsicherheit – klarzustellen. Arbeitgeber müssen also trotz des LAG-Urteils im Fall fehlender Soll-Angaben nicht unmittelbar die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen befürchten. An der Komplexität des Gesamtverfahrens hat sich gleichwohl natürlich nichts verändert, so dass das Thema Massenentlassung anspruchsvoll bleibt.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Massenentlassung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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