Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.03.2021
Die Corona-Krise hat uns nach wie vor fest im Griff und diktiert die Regeln unseres Privat- und Wirtschaftslebens. Leider kann man dieser Pandemie nicht durch Auswandern entkommen. Falls Sie gleichwohl – vielleicht auch schon vor der Pandemie und aktuell mit Blick auf das künftig hoffentlich wieder normalisierte (Arbeitnehmer-)Leben – mit diesem Gedanken spielen, raten wir, den Punkt bezahlte Erholung zuvor einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Hier kann man sich rund um den Globus verbessern oder eben auch verschlechtern. Zur Erinnerung: In Deutschland beträgt der gesetzliche Mindesturlaub 20 Tage, durchschnittlich arbeitgeberseitig aufgestockt auf 28 Tage. Eine Verschlechterung träte insbesondere in Kanada, den asiatischen Regionen oder auch Indien ein; hier variierten die bezahlten Urlaubstage zwischen 10 und 14 Tagen. Noch weniger sind es nur in den USA, dem einzigen Staat der westlichen Welt mit null Tagen gesetzlich vorgeschriebenem Urlaub. Freunde der bezahlten Erholung können sich sodann zwischen Brasilien, Frankreich und Finnland entscheiden, welche jeweils 30 Tage gesetzlichen Urlaubsanspruch pro Jahr vorsehen und damit das Ranking anführen.
Und damit sind wir bereits mitten in dem arbeitsrechtlichen Thema Urlaub, welches in nahezu all seinen Facetten bereits die Arbeitsgerichte beschäftigt hat. Denn: Der (Rest-)Urlaub kommt bei jedem Kündigungsrechtsstreit zur Sprache und da es hier um bare Münze geht, wird das Gericht oftmals mit diesem Nebenanspruch gleich mit befasst. Aber selbst hier gibt es noch Neues aufzuarbeiten und zu entscheiden. Und so schließt sich wieder der Bogen zurück zur Corona-Krise, welche Themengeber für den aktuell entschiedenen Fall „Urlaub und Kurzarbeit“ war.
Vorab ein paar Grundlagen
Der gesetzliche Urlaubsanspruch ist ein wesentlicher und unabdingbarer, also nicht verhandelbarer und nicht einseitig kürzbarer Bestandteil des Arbeitsverhältnisses. Es ist arbeitgeberseitig lediglich möglich, auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen noch weitere Urlaubstage draufzulegen, was auch häufig geschieht. Hierbei macht es übrigens aus Arbeitgebersicht Sinn, im Arbeitsvertrag zwischen gesetzlichem und überobligatorischem Urlaub zu unterschieden und auch entsprechend unterschiedliche Rechtsfolgen zu formulieren.
Entgegen häufiger Missverständnisse entsteht vom Ablauf des ersten Monats des neuen Arbeitsverhältnisses an ein Urlaubsanspruch, auch in der Probezeit. Dieser beträgt zunächst monatlich 1/12 des späteren Jahresurlaubs (§ 5 BUrlG). Im Fall des gesetzlichen Mindesturlaubs hat ein Arbeitgeber nach drei Monaten im neuen Arbeitsverhältnis also einen Anspruch auf fünf Urlaubstage erworben (20 / 12 x 3 = 5) und kann diesen im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber auch nehmen. Diese Regelung setzt sich auch in der Urlaubsabgeltung fort, falls das Arbeitsverhältnis in der Warte- bzw. Probezeit endet: Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht lediglich in der Höhe des erworbenen Teilurlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Den vollen Urlaubsanspruch erwerben Arbeitnehmer sodann nach Ablauf der sechsmonatigen Warte- bzw. meistens zugleich Probezeit (§ 5 BUrlG).
Ist der Urlaubsanspruch erst einmal da, gibt es mitunter weiter Fragen zum Thema „wer bestimmt, wer wann Urlaub nimmt?“. Hierzu gilt § 7 Abs. 1 BUrlG:
„Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen.“ (§ 7 Abs. 1 BurlG)
Unter die zweite Alternative, die dringenden betrieblichen Belange, kann übrigens auch ein Betriebsurlaub, also die zeitweilige Betriebsschließung mit Zwangsurlaub, fallen. Da dieser allerdings zu Lasten des Arbeitnehmer-Urlaubskontos geht, darf er nach überwiegender Ansicht 3/5 des Jahresurlaubs nicht überschreiten.
Der Urlaubsanspruch wird sodann immer auf ein Urlaubsjahr, zugleich das Kalenderjahr, gerechnet. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer rechtzeitig darauf hin, erlischt nicht genommener Urlaub am Ende des Urlaubsjahres. Dieser Effekt tritt lediglich dann nicht ein, wenn es entweder anders vereinbart ist (z.B. im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag) oder der Urlaub wegen dringender betrieblicher Gründe oder einer Erkrankung des Arbeitnehmers nicht genommen werden konnte. In diesen Fällen wird der Urlaubsanspruch aus dem Vorjahr bis zum 31. März des folgenden Jahres bzw. bei einer Erkrankung ggf. auch länger übertragen bzw. solange, wie es nach der Vereinbarung vorgesehen ist.
Kurzarbeit und Urlaub
Dem Thema „Corona und Kurzarbeit“ haben wir aufgrund der aktuellen Entwicklungen hier einen eigenen Beitrag gewidmet, in welchem Sie sich über das Wesen der Kurzarbeit allgemein und die coronaspezifischen Besonderheiten informieren können. Im Folgenden wird es um die so genannte Kurzarbeit Null gehen, also die vollständige Einstellung der Arbeit im Betrieb bei ausschließlichem Bezug von Kurzarbeitergeld.
Wie in der Elternzeit werden im Fall von Kurzarbeit Null die so genannten Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses (Pflicht zur Arbeitsleistung, Pflicht zur Gehaltszahlung) ausgesetzt. Anders als bei der Elternzeit, in der das Arbeitsverhältnis ruht, werden Arbeitnehmer in Kurzarbeit (gleich mit welchem Prozentsatz) jedoch als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ angesehen (vgl. EuGH vom 08.11.2012 – C-229/11 und C-230/11; AG Hamm vom 30.08.2017 – 5 Sa 626/17). Das mutet im Fall von Kurzarbeit Null merkwürdig an, denn der Arbeitnehmer ist ja gerade nicht – auch nicht in Teilzeit – Beschäftigter; wäre er es, würde er anteilige Urlaubsansprüche erlangen. Ob das allerdings der Fall ist, wie eine Klägerin aktuell geltend gemacht hat, hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zu entscheiden.
Der Fall: Bäckereiverkäuferin in Kurzarbeit wird der Urlaubsanspruch gekürzt
Seit 10 Jahren arbeitet die spätere Klägerin als Verkaufshilfe an drei Tagen in der Woche in einer Bäckerei. Tarifvertragliche Urlaubsregelungen oder solche in einer Betriebsvereinbarung existieren nicht. Seit dem 01.01.2020 befindet sich sie sich bedingt durch die Corona-Krise in sog. Kurzarbeit Null. Mit der Abrechnung des Monats Mai 2020 hatte der Arbeitgeber ausgewiesen, den Urlaubsanspruch anteilig aufgrund der Kurzarbeit gekürzt zu haben.
Gegen diese Kürzung klagte die Arbeitnehmerin mit dem Argument, die Freistellung bestehe – anders als bei einem Sonderurlaub – nicht auf ihren Wunsch, sondern auf Weisung des Arbeitgebers. Ferner bestünden Meldepflichten während der Freistellung sowie die Pflicht, ggf. kurzfristig wieder zur Arbeit bereit zu stehen.
Der Arbeitgeber sah dies anders und argumentierte, dass im Fall fehlender Arbeitspflicht keine Urlaubsansprüche entstünden.
Das Urteil: Anteilige Kürzung bis auf Null
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage ebenso wie das Arbeitsgericht Essen in erster Instanz abgewiesen (Urteil des LAG Düsseldorf vom 12.03.2021, Az. 6 Sa 824/20). Nach Ansicht des Gerichts stand der Arbeitgeberin das Recht zu, für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null den Urlaub um 1/12 zu kürzen. Zur Begründung führte das Gericht an, dass der Urlaub (gem. § 1 Bundesurlaubsgesetz „Erholungsurlaub“) die Erholung bezwecke und dies eine Arbeitspflicht voraussetze. Die beiderseitigen Leistungspflichten seien jedoch während der Kurzarbeit Null aufgehoben. Genau wie bei vorübergehend teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern der Urlaub anteilig zu kürzen sei, sei dies auch bei Kurzarbeitern/-innen; in diesem Fall erfolge eine Kürzung auf Null hinsichtlich der betroffenen Monate. So bestehe auch der europäische Mindesturlaubsanspruch während Kurzarbeit Null nicht (EuGH-Urteil vom 08.11.2012, Az. C-229/11 und C-230/11). Eine speziellere oder für Arbeitnehmer günstigere nationale Regelung existiere nicht.
Fazit
Arbeitnehmer/innen haben diese Entscheidung hinzunehmen, wenngleich nicht zu leugnen ist, dass Kurzarbeit nicht ganz dasselbe ist wie ein Sonderurlaub, dessen Zeitraum im Vorfeld fest definiert ist. Zutreffend und auch Kern des Urteils ist allerdings der ebenfalls zutreffende Gedanke, dass Erholung von Nicht-Arbeit schlicht nicht erforderlich ist, während es sich hierbei aber um den Hauptzweck des Urlaubs handelt. Das Urteil befindet sich in Übereinstimmung mit der Linie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Es ist daher wenig überraschend, führt aber zu erhöhter Rechtssicherheit vor allem auf Arbeitgeberseite.
Haben Sie Fragen zu den Themen Kurzarbeit oder Urlaubsanspruch? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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