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26. November 2018 / by kanzleiKerner

Urlaubsantrag hin oder her – Urlaub ist Chefsache!

Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 06.11.2018

Urlaub ist in unserer arbeitsgerichtlichen Praxis ein „Dauerbrenner“. Zwar nehmen selten Arbeitnehmer anwaltliche Hilfe in Anspruch, um ihren Urlaub durchzusetzen. Allerdings kommt das Thema bei jeder Kündigung zur Sprache. Fast immer ist noch Urlaub offen und wie ist das eigentlich mit Urlaub aus dem letzten Jahr und wenn man im ersten oder zweiten Halbjahr kündigt oder gekündigt wird… „Hätte ich das mal früher gewusst!“ heißt es dann oft, wenn beispielsweise Urlaub endgültig verfallen ist. Oder auch: „Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht!“, wenn unsere Urlaubsberechnung für den Mandanten überraschend positiv ausfällt.

Häufig läuft allerdings ein Arbeitsverhältnis viele (Urlaubs-)jahre, bevor ein Mandant – egal, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – mit uns und dann auch mit unseren Informationen zum Urlaubsrecht in Kontakt kommt. Dabei berührt dieser Bereich jeden Arbeitnehmer und Arbeitgeber in jedem einzelnen Jahr. Nun gab es vom Europäische Gerichtshof auch noch einen wahren Paukenschlag zu diesem Thema, wobei dieses Urteil ebenfalls wirklich jeder Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Kenntnis nehmen sollte.

Das bedeutet für uns: Anlass für eine Übersicht über das bisherige und neue Urlaubsrecht in Bezug auf Urlaub.

Darf der Chef Betriebsurlaub anordnen?

Betriebsurlaub wird meistens in der Sommerzeit oder zwischen den Jahren angeordnet. Das passt nicht jedem, Kinderlose möchten etwa häufig Urlaub in der günstigeren ferienlosen Zeit machen. Wenn man § 7 Bundesurlaubsgesetz als Kern-Norm für die Urlaubsgewährung liest, scheint Betriebsurlaub auch nicht unbedingt gesetzlich vorgesehen zu sein. Dort heißt es nämlich:

„Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen.“ (§ 7 Abs. 1 BurlG)

Wenn der Arbeitgeber also die Wünsche jeden einzelnen Arbeitnehmers berücksichtigen muss, kann es Betriebsurlaub nicht geben, oder? Doch, denn es kann sich dabei um „dringende betriebliche Belange“, also die zweite Alternative, handeln. Weiß beispielsweise der Unternehmensinhaber, dass immer zu einer bestimmten Zeit im Jahr die Auftragslage schlecht ist, kann er in dieser Zeit Betriebsurlaub anordnen. Ein anderes Beispiel ist der einzige Inhaber einer Arzt- oder Anwaltskanzlei, dessen Mitarbeiter ohne die Anwesenheit des Berufsträgers nicht sinnvoll beschäftigt werden können.

Es handelt sich bei rechtmäßig angeordnetem Betriebsurlaub um ganz normalen Urlaub, der von den Urlaubstagen des Mitarbeiters abgezogen wird. Deshalb darf er nach weit überwiegender Meinung nicht mehr als 3/5 der Gesamturlaubstage in Anspruch nehmen und muss möglichst langfristig angekündigt werden.

Darf ansonsten der Chef oder der Arbeitnehmer bestimmen, wann Urlaub genommen wird?

Weder noch. Wie oben dargestellt, schreibt § 7 BurlG vor, dass bei der Festlegung des Urlaubs die Wünsche des Mitarbeiters zu berücksichtigen sind. Trägt der Mitarbeiter einen solchen Wunsch vor und stehen keine dringenden betrieblichen Belange (z.B. bekannte Deadlines oder Auftragsspitzen) oder Urlaubswünsche sozial schutzwürdigerer Mitarbeiter (insbesondere Familieneltern gegenüber Kinderlosen) entgegen, kann der Arbeitgeber die Urlaubsgewährung nicht „einfach so“ verweigern. Andersherum hat der Arbeitgeber aber mit solchen Gründen ausgestattet das letzte Wort über den Zeitpunkt des Urlaubs. Achtung: Selbstbeurlaubung kann immer ein Kündigungsgrund sein.

Aber verfallen kann der Urlaub doch nicht, wenn er aus dem letzten Jahr ist, oder?

Vorsicht: Auch wenn es in der Praxis oft anders gehandhabt wird, ist das deutsche Urlaubsrecht hier sehr streng. Zwar hat der Europäische Gerichtshof aktuell Erleichterungen für die Arbeitnehmer geschaffen, aber wenn der Arbeitgeber alles richtig macht (dazu siehe unten) gilt nach wie vor: Nicht genommener Urlaub erlischt zum Jahresende, es sei denn, der Urlaub konnte wegen dringender betrieblicher Gründe (z.B. Auftragsspitze bei gleichzeitiger Krankheit anderer Kollegen) oder einer Erkrankung oder Elternzeit des Arbeitnehmers nicht genommen werden. Dann, und nur dann, darf er auch noch bis zum 31.3. des Folgejahres genommen werden bzw. bei einer längeren Erkrankung in Grenzen noch nach dem Ende der Erkrankung (dazu näher hier). Alles andere sollte unbedingt schriftlich festgehalten werden.

Aber Achtung, an dieser Stelle gibt es eine Neuerung. Mit dem Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2016 wollte dieses wissen, was passiert, wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag stellt, sondern die Urlaubstage schlicht nicht nimmt. Nach dem deutschen Bundesurlaubsgesetz ist wie oben ausgeführt der Fall klar: Die Urlaubstage sind verfallen, der Arbeitnehmer muss sich mit dem in jedem Jahr neu entstehenden Urlaubsanspruch begnügen. Allerdings: Wie passt das mit dem gesetzlichen Mindesturlaub zusammen, der ja wie der Name sagt eine Mindestdauer an Erholung garantieren soll? Warum sollte allerdings andersherum der Arbeitgeber verpflichtet sein, seinen Mitarbeitern Urlaub aufzuzwingen? Vielleicht wegen Artikel 7 der europäischen Richtlinie 2003/88/EG („Arbeitszeitrichtlinie“), welche dem deutschen Recht im Rangverhältnis vorgeht. Hier ist ebenfalls, wie im deutschen Bundesurlaubsgesetz vorgesehen, dass jeder Arbeitnehmer im Jahr vereinfacht gesagt vier Wochen Urlaub haben muss. Und der für die Auslegung dieser Richtlinie zuständige Europäische Gerichtshof (EuGH) betont stets aufs Neue, wie wichtig dieser urlaubsrechtliche Grundsatz sei. Und dies hat er nun auch erneut getan und stellt damit das deutsche Urlaubsrecht ein Stück weit auf den Kopf.

Was war passiert? Wissenschaftler und Rechtsreferendar verlangen Abgeltung nicht genommener Urlaubstage

Einer der späteren Kläger arbeite als Wissenschaftler in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.10.2013. Eine Woche zuvor, am 23.10.2013, wurde er gebeten, seinen Resturlaub zu nehmen. Das tat er aber nur im Umfang von zwei Tagen, den gesamten nicht genommenen und nicht beantragten Urlaub aus dem Arbeitsverhältnis – für die Jahre 2012 bis 2013 – verlangte der Arbeitnehmer sodann in Geld ausgezahlt.

Bei einem zweiten Kläger handelte es sich um einen ehemaligen Rechtsreferendar des Landes Berlins. Er nahm keinen bezahlten Jahresurlaub und verlangte ebenfalls im Nachhinein eine finanzielle Abgeltung hierfür.

Dazu muss man wissen, dass das Gesetz ausdrücklich vorsieht, dass Urlaub „in Natur“ zu nehmen ist. Nicht „in der Natur“! Gemeint ist, dass die Urlaubstage tatsächlich genommen und nicht versilbert werden sollen. Eine Abgeltung in Geld ist nur für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehen und auch nur dann, wenn der Urlaub nicht mehr genommen werden konnte.

Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts: Wird Urlaub genommen oder gewährt?

Das Bundesarbeitsgericht fragte also bei dem EuGH nach, ob Artikel 7 der Richtlinie dem § 7 des Bundesurlaubsgesetzes entgegensteht, wonach nicht genommener Urlaub ersatzlos verfällt. In diesem Fall wäre die Verantwortung beim Arbeitgeber, den Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Mindesturlaubs anzuhalten. Anderenfalls wäre er dem Risiko ausgesetzt, dass der Arbeitnehmer Abgeltung für die nicht genommenen Urlaubstage verlangen könnte und das gewissermaßen auf ewig.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2018: Der Mindesturlaub steht, aber…

Tatsächlich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass § 7 Bundesurlaubsgesetz nicht mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar ist (Urteile vom 06.11.2018, Az.: C-619/16 und 684/16). Im Klartext: Der Mindesturlaub steht jedem Mitarbeiter nicht nur im laufenden Urlaubsjahr zu, sondern kann ohne zeitliche Begrenzung angesammelt werden. Aber: Das gilt nicht uneingeschränkt! Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Aufklärung und dann auch tatsächlich in die Lage versetzt, seinen Urlaub zu nehmen und hat der Mitarbeiter aus Ehrgeiz oder auch subjektiver Sorge um seinen Arbeitsplatz die Inanspruchnahme des Urlaubs freiwillig unterlassen, verfällt der Urlaub. Anders als zuvor muss der Arbeitgeber aber erforderlichenfalls den Arbeitnehmer auch zur Inanspruchnahme von Urlaub auffordern und darüber aufklären, dass dieser anderenfalls verfällt. Ebenfalls im Gegensatz zu vorher trägt der Arbeitgeber die Beweislast für seine Initiative.

Fazit:

Der Urlaubsverfall zum Jahresende ist kein Automatismus mehr und Arbeitgeber müssen viel mehr als bisher die Urlaubskonten ihrer Mitarbeiter im Blick haben. Eine „Ewigkeitsgarantie“ des Mindesturlaubs hat der EuGH aber dennoch nicht installiert. Arbeitgeber müssen lediglich die, zugegeben recht strengen, Spielregeln einhalten, dann verfällt nicht genommener Urlaub weiterhin zum Jahresende und es besteht somit Rechtssicherheit für den Arbeitgeber hinsichtlich einer möglichen Inanspruchnahme auf Abgeltung von Resturlaub.

Für Arbeitgeber heißt es also im letzten Quartal (in diesem Jahr also unverzüglich): Resturlaube prüfen, Arbeitnehmer informieren und über die Folgen einer mangelnden Inanspruchnahme des Urlaubs informieren. Solange die genauen Grenzen dieser Rechtsprechungsänderung nicht feststeht, raten wir Arbeitgebern sogar zu einem zeitlichen Vorschlag für die Inanspruchnahme dieses Urlaubs. Sodann ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber diese Erfüllung seiner Initiativlast beweisfest sichert.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Urlaub? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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