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Mann zeigt seine leeren Hosentaschen
4. September 2017 / by kanzleiKerner

Wichtig für Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Wie viel Gehalt ist pfändbar?

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.08.2017

Das Wort Pfändungsfreibetrag kennen die meisten, ebenso wie das „P-Konto“. Der Gesetzgeber garantiert mit diesen Maßnahmen die Pfändungsfreiheit eines Existenzminimums zum Leben, damit der Schuldner nicht „kahlgepfändet“ wird.

Die Konsequenz daraus: Da das laufende Gehalt bis zu einer bestimmten Höhe vollständig pfändungsfrei ist, darf es im Normalfall von niemandem angetastet werden. Mindestens bis zur Pfändungsfreigrenze muss das Gehalt also erst einmal an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Hat ein Gläubiger oder auch der Arbeitgeber einen Anspruch, darf gerade kein weiterer Abzug erfolgen.

Die Pfändungsfreigrenzen haben insbesondere wegen der über 80.000 Privatinsolvenzverfahren jährlich Bedeutung. Hier tritt der Arbeitnehmer den pfändbaren Teil seines Einkommens ab, dieser wird durch den Treuhänder verwaltet. Und hier wird auch der Arbeitgeber einbezogen, denn dieser überweist dem Treuhänder diesen pfändbaren Teil des Einkommens.

Grundlage: Die Pfändungstabelle

Berechnungsbasis ist die Pfändungstabelle, die sich an den Lebenshaltungskosten orientiert und alle sechs Monate angepasst wird. Aktuell beginnt die Pfändbarkeit bei einem Arbeitnehmer ohne Unterhaltsverpflichtungen bei einem Nettoeinkommen von 1.140,00 €; hiervon sind dann 4,34 € pfändbar. Ist der Arbeitnehmer einer Person zum Unterhalt verpflichtet, z.B. Ehepartner oder Kind, beginnt die Pfändbarkeit bei einem Nettoeinkommen von 1.570,00 €; hiervon sind 4,75 € pfändbar. Je nach Anzahl der Unterhaltsverpflichteten steigt das pfändungsfreie Einkommen, je nach Einkommen der pfändbare Betrag. Die Tabelle finden Sie hier (externer Link).

Von diesen Zahlen gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmen zugunsten des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer soll motiviert bleiben, zu arbeiten und seine Schulden abzuzahlen. Außerdem soll ein wenig Lebensqualität – ebenfalls als Belohnung für die Arbeitstätigkeit – gewährleistet sein.

Daher sind bestimmte Zahlungen gemäß § 850a ZPO unpfändbar bzw. nur teilweise pfändbar, zum Beispiel:

  • die Hälfte der Überstundenvergütung
  • Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses und Treugelder im üblichen Rahmen
  • Weihnachtsgeld bis 500,00 € oder falls geringer bis zur Hälfte des Monatsgehaltes
  • Aufwandsentschädigungen, Gefahrenzulagen, Schmutz- und Erschwerniszulagen im üblichen Rahmen

 

Diese Zahlungen sind also dem Pfändungsfreitrag hinzuzurechnen und an den Arbeitnehmer auszuzahlen.

Unter Erschwerniszulagen versteht man zunächst einmal Zulagen für Arbeiten unter erschwerenden oder gesundheitsgefährdenden Umständen, z.B. Hitze-/Kältezulage, Lärmzulage oder die im Gesetz schon genannte Schmutzzulage.

Man kann aber auch Zulagen für Arbeit zu ungünstigen Zeiten (Nachtarbeit, Samstagsarbeit, Sonntagsarbeit, Arbeit an Feiertagen) hierunter verstehen.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat im Jahr 2009 erstmalig mit einem ausführlich begründeten Beschluss entschieden, dass solche Zulagen ebenfalls Erschwerniszulagen und damit unpfändbar sind (Az. 5 ME 186/09).

Für das Arbeitsrecht wurde so im Jahr 2015 durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erstmalig entschieden (Urteil vom 09.10.2015, Az. 3 Sa 1335/14).

Das Landgericht Kaiserslautern hat sich dem im Jahr 2016 in einem Beschluss angeschlossen und ausdrücklich gefordert, dass eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt wird (Az. 4 T 31/16).

Während die allgemeinen Zivilgerichte auf diese Klärung noch warten, hat das Bundesarbeitsgericht aktuell diese Frage für die Arbeitsgerichtsbarkeit entschieden.

Die Mitarbeiterin ist seit dem Jahr 2010 als Hauspflegerin bei einem Unternehmen beschäftigt, das Sozialstationen betreibt. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung, der Zuschläge unter anderem für Überstunden, aber auch für Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit und Samstagsarbeit vorsieht.

Die Arbeitnehmerin beantragte Privatinsolvenz, arbeite aber weiter und erhielt auch die genannten Zulagen für die entsprechende Arbeitsleistung weiterhin.

Der Arbeitgeber hatte nun die Aufgabe, die pfändbaren Bezüge an den Treuhänder auszuzahlen. Dieser zahlte sodann die Zuschläge nicht an die Arbeitnehmerin aus, sondern an den Treuhänder. Die Arbeitnehmerin verlangte im Jahr 2015 die Nachzahlung der Zuschläge an sie, da diese unpfändbar gewesen seien.

Der Arbeitgeber verteidigte sein Vorgehen damit, dass sowohl die Klägerin als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg den Begriff der Erschwerniszulage zu weit verstünden. Es seien hierunter lediglich echte Erschwernisse der Arbeit, aber keine zeitlichen Erschwernisse zu verstehen.

Das Arbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber zur Nachzahlung der Zulagen an die Arbeitnehmerin. Zur Begründung führte es aus, dass durch die Zahlung an den Treuhänder der Anspruch der Arbeitnehmerin noch nicht erfüllt wurde, da nur der pfändbare Teil des Gehaltes an den Treuhänder abgetreten wird. Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtdienste seien aber als Erschwerniszulage unpfändbar.

Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

In zweiter Instanz, wiederum das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, wurde die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen und das Urteil des Arbeitsgerichts bestätigt (Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2016, Az. 20 Sa 639/16). Allerdings hatte die Klägerin in der Berufung nun auch Zuschläge für Samstagsarbeit als unpfändbar geltend gemacht und wollte hierfür weitere Zahlungen. Hierzu äußerte sich das Landesarbeitsgericht nicht, weil der Anspruch für diesen Zeitraum aus anderen Gründen scheiterte.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun klare Vorgaben dazu aufgestellt, welche Zuschläge pfändungsfrei sind (Urteil des BAG vom 23.08.2017, Az. 10 AZR 859/16).

Kategorisch heißt es zu Beginn der Pressemitteilung:

Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind Erschwerniszulagen iSv. § 850a Nr. 3 ZPO und damit im Rahmen des Üblichen unpfändbar. Zulagen für Schicht-, Samstags- oder sog. Vorfestarbeit sind dagegen der Pfändung nicht entzogen.

Im Ergebnis hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil daher aufgehoben, weil auch Zulagen einbezogen waren, die nach dem aktuellen Urteil pfändbar waren. Zugleich hat das Bundesarbeitsgericht die Unpfändbarkeit insbesondere von

  • Nachtzuschlägen
  • Feiertagszuschlägen
  • Zuschlägen für Sonntagsarbeit

 

festgestellt, so dass diese Zulagen der Klägerin durch den Arbeitgeber nachzuzahlen sein werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat zugleich festgestellt, dass im Sinne des Gläubigerschutzes Schichtzulagen, Zulagen für Samstagsarbeit und Vorfestarbeit pfändbar sind.

In erfreulicher Klarheit hat sich das Bundesarbeitsgericht zu den einzelnen Zuschlagsarten geäußert.

Arbeitgeber befinden sich – ungewollt – im Spannungsfeld zwischen Schuldner und Gläubiger. Sie sollten sich an dieser Rechtsprechung orientieren, im Zweifelsfall vor Zahlung eine Klärung herbeiführen und die künftige Rechtsprechung weiter im Blick behalten.

Arbeitnehmer, denen aus welchen Gründen auch immer das Gehalt gepfändet wurde, sollten das Urteil ebenfalls mit Interesse lesen und gegebenenfalls die Auszahlung von Zulagen geltend machen, falls diese als pfändbar einbehalten wurden.

Haben Sie Fragen zu dem Thema pfändbares Einkommen? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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