Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.12.2018 zu Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeit
Nach wie vor sind es überwiegend Mütter kleiner Kinder, die in Teilzeit arbeiten. Aber: Teilzeitarbeit, ausgerichtet am aktuellen Lebensmodell, ist auch für andere Arbeitnehmer(innen) zunehmend nachgefragt. Und zwar mit Rückendeckung des Gesetzgebers, der kürzlich die Brückenteilzeit auf den Weg gebracht hat (Details dazu hier). Zur Pflege Angehöriger, für die private Weiterbildung oder aus anderen Gründen.
Was ist bei Teilzeit gleich, was ist anders als bei Vollzeit?
Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen Arbeitnehmern in Vollzeit und solchen in Teilzeit bis auf die Tatsache, dass letztere in einem bestimmten Umfang weniger arbeiten und damit einen proportional geringeren Gehaltsanspruch haben. Auch geringfügig Beschäftigte („Minijobber“) sind Teilzeitkräfte in diesem Sinne, lediglich die steuerlichen bzw. sozialversicherungsrechtlichen Regelungen sind hier andere.
Teilzeitkräfte haben allerdings gegenüber in Vollzeit Beschäftigten ein paar zusätzliche Rechte, abgesehen von den verschiedenen Rechten auf Teilzeitarbeit selbst (diese haben wir hier genauer erklärt). Insbesondere darf eine Teilzeitkraft nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als Teilzeitkraft schlechter gestellt werden als eine Vollzeitkraft (§ 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG). Das betrifft wie bereits ausgeführt zunächst einmal das Gehalt: Eine Teilzeitkraft muss proportional dasselbe verdienen, wie eine vergleichbare Vollzeitkraft; es darf nicht willkürlich ein im Verhältnis niedriges Gehalt gezahlt werden. Ebenso darf eine Teilzeitkraft bei Sonderzahlungen, die Vollzeitkräften gewährt werden, nicht ausgenommen werden, sondern muss ebenfalls eine – proportional herabgesetzte – Sonderzahlung erhalten. Noch einmal gesondert geregelt ist, dass der Arbeitgeber Sorge zu tragen hat, dass auch teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Entwicklung teilnehmen können (§ 10 TzBfG). Darüber hinaus muss ein Arbeitnehmer, der dem Arbeitgeber seinen Wunsch nach einer Verlängerung der Arbeitszeit angezeigt hat (also insbesondere einen Wunsch nach einem Vollzeitarbeitsplatz), bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes bevorzugt berücksichtigt werden (§ 9 TzBfG).
Das Thema Schlechterbehandlung von Teilzeitkräften wird unter anderem bei den Überstundenzuschlägen diskutiert. Da das Bundesarbeitsgericht hierzu aktuell ein wegweisendes Urteil gesprochen hat, möchten wir dieses Thema im Folgenden genauer beleuchten.
Was sind Überstundenzuschläge?
Weniger in Einzelarbeitsverträgen, aber dafür in vielen Tarifverträgen sind Zuschläge für Mehrarbeit („Überstunden“) vorgesehen. Überstunden sind die über die vorgesehene Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung, soweit sie angeordnet, gebilligt oder geduldet ist (zu den Details hier).
Grundsätzlich sollen Teilzeitkräfte keine Überstunden leisten müssen (genau so wenig wie übrigens Vollzeitkräfte), aber die Praxis sieht nun einmal oft anders aus. Gibt es denn dann den tariflich geregelten Überstundenzuschlag? Ja, aber…
Häufig beziehen sich Überstunden laut Tarifvertrag auf eine bestimmte Stundenzahl – es wird also die Stundenzahl, welche nach dem Tarifvertrag eine Vollzeitbeschäftigung darstellt zugrunde gelegt und die darüber hinausgehende Arbeitszeit als zuschlagspflichtige Überstunden definiert.
Beispiel: Ein Tarifvertrag sieht vor, dass die regelmäßig wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftige 39 Stunden beträgt. Unter dem Punkt „Mehrarbeitszuschlag“ regelt der Tarifvertrag, dass ein Zuschlag in Höhe von 15 {3826537d91c38f8d42de122e87e9e526ad05f6837335344f5142eee66b93d0e3} auf die 40. bis 45. Stunde und ein Zuschlag von 25 {3826537d91c38f8d42de122e87e9e526ad05f6837335344f5142eee66b93d0e3} ab der 46. Stunde zu zahlen ist.
Nun ist für eine Teilzeitkraft mit 20 Wochenstunden bereits die 21. Stunde eine Überstunde. Dass diese Stunde vergütet werden muss, steht außer Frage, aber muss auch der Mehrarbeitszuschlag geleistet werden? Die Rechtsprechung hatte in solchen Fällen bislang entschieden: Nein, der Arbeitgeber muss hier keinen Mehrarbeitszuschlag leisten. Erst, wenn auch die Teilzeitkraft mehr als 39 Wochenstunden arbeitet – auf das obige Beispiel bezogen – würde ein Mehrarbeitszuschlag fällig, was natürlich eher eine theoretische Überlegung ist. Das Bundesarbeitsgericht hatte diese Rechtsprechung damit begründet, dass Teilzeitkräfte für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Vergütung erhalten wie ihre in Vollzeit beschäftigten Kollegen und damit nicht ungleich behandelt würden. Die Mehrarbeitszuschläge dienten dem Ausgleich einer besonderen Belastung in dem jeweiligen Kalendermonat (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.11.2003, Az. 5 AZR 8/03).
Rechtsprechungsänderung: Überstundenzuschläge jetzt nach individueller Arbeitszeit
Diese Rechtsprechung hatte bereits der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts geändert (BAG, Urteil vom 23.03.2017, Az. 6 AZR 161/16). Nun hat auch der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Urteil in Sachen „Überstundenzuschläge nach individueller Arbeitszeit“ gesprochen. Zwar behandelt der Fall ein Jahresarbeitszeitkonto. Das Ergebnis soll aber ausweislich der Pressemitteilung übertragbar sein und bedeuten: Für Teilzeitkräfte gibt es jetzt öfter Überstundenzuschläge. Und: Tarifverträge müssen kritisch hinterfragt werden.
Was war passiert? Mitarbeiterin arbeitet Teilzeit mit Jahreszeitkonto und Überstunden
Die Mitarbeiterin ist als stellvertretende Filialleiterin in der Systemgastronomie tätig. Der Tarifvertrag der Systemgastronomie sieht eine regelmäßige Arbeitszeit von 39 Wochenstunden vor sowie die Möglichkeit, diese auf eine Jahresarbeitszeit umzulegen. Für Mehrarbeit ist nach dem Tarifvertrag ein Zuschlag zu leisten. Unter dem Punkt „Teilzeit“ regelte der Tarifvertrag schließlich, dass bei Teilzeitkräften nur diejenige Arbeitszeit Mehrarbeit sei, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit hinausgehe.
Mit der Arbeitnehmerin wurde eine Jahresarbeitszeit von 1.817,88 Stunden vereinbart. Unstreitig zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber war, dass die Mitarbeiterin in dem Zeitraum November 2015 bis Oktober 2016 19,69 Stunden als Mehrarbeit geleistet hatte. Darauf wurde jedoch kein Zuschlag gezahlt. Diesen Zuschlag klagte die Mitarbeiterin ein.
Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen mit dem Argument, die Klägerin habe nicht die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft erreicht, wie der Tarifvertrag es vorsehe. Die Klägerin argumentierte hingegen, der Tarifvertrag regele nur den Fall der monatlichen Mehrarbeit, aber nicht die Mehrarbeit in einem Jahresarbeitszeitkonto, wie es für sie galt.
Die Urteile: Zuschlag ist zu zahlen
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab der Klägerin Recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen (Urteil vom 26.01.2018, Az. 2 Sa 1365/17). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Arbeitnehmerin in Jahresarbeitszeit zu arbeiten hatte und am Ende des Zwölfmonatszeitraums Mehrarbeitsstunden geleistet hatte. Für diese sei der tarifliche Zuschlag zu zahlen.
Dem schloss sich das Bundesarbeitsgericht an (Urteil vom 19.12.2018, Az. 10 AZR 231/18) und ging laut Pressemitteilung sogar über die von der Klägerin vorgebrachten Argumente hinaus. Die Auslegung des Tarifvertrags ergebe, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgehe. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.
Fazit
Überstunden sind die Arbeitsstunden, die über die individuell vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen. So weit, so klar. Mit dem Argument, dass die Arbeitsbelastung bei „Teilzeit-Überstunden“ insgesamt nicht so groß geworden sei wie bei „Vollzeit-Überstunden“, hatte das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit den Überstundenzuschlägen vieler Teilzeitbeschäftigter eine Absage erteilt. Diese Unterscheidung wird es künftig nicht mehr geben. Tarifverträge, die Regelungen wie in dem obigen Beispiel treffen, werden von den Gerichten nach den klaren Worten der Pressemitteilung gesetzeskonform ausgelegt werden mit dem Ergebnis, dass Teilzeitbeschäftigte künftig Mehrarbeitszuschläge nach Maßgabe ihrer individuellen Arbeitszeit verlangen können.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen sollten sich dieses Urteil also merken!
Haben Sie Fragen zu dem Thema Teilzeitarbeit oder Mehrarbeit? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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