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Person ist mit dem Kopf auf dem Tisch umgeben von Arbeit
7. Dezember 2020 / by Kanzlei Kerner

Können auch Teilzeitbeschäftigte unter besonderer Arbeitsbelastung leiden?

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 11.11.2020

War Teilzeitbeschäftigung ehemals fast ausschließlich Sache berufstätiger Mütter, wird sie heute viel flächendeckender auch von berufstätige Vätern, pflegenden Angehörige, älteren Beschäftigten, nebenher studierenden oder für mehrere Arbeitgeber Tätigen genutzt. Unter anderem durch diese Verbreitung ist die Arbeitsform wieder in den Fokus des Gesetzgebers gerückt, was sich zuletzt durch das Inkrafttreten der Brückenteilzeit (Details dazu hier) gezeigt hat. Anlass für ein paar Teilzeit-Basics und einen Blick auf einen aktuellen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts zum Thema Teilzeit und Gehalt.

Was bedeutet Teilzeitbeschäftigung?

Teilzeitarbeit bezeichnet Arbeitsverhältnisse, in denen Beschäftige mit einer geringeren Stundenzahl arbeitet als andere Arbeitnehmer im gleichen Betrieb bzw. der gleichen Branche. Je nach Tarifvertrag oder betrieblicher Tradition umfasst eine Vollzeittätigkeit ca. eine 40-Stunden-Woche, so dass eine davon nach unten abweichende Arbeitszeit ein Teilzeitarbeitsverhältnis darstellt.

Auch geringfügig Beschäftigte, sog. Minijobber, sind grundsätzlich normale Teilzeitarbeitskräfte, hier sind lediglich steuerlich und sozialversicherungsrechtlich andere Regelungen anzuwenden.

Was ist die Teilzeitfalle?

Nicht alle Teilzeitarbeitsverhältnisse beginnen als solche. Oft sind es sich verändernde Lebensumstände des Arbeitnehmers, die in einem Vollzeitarbeitsverhältnis zu dem Wunsch nach einer Verringerung der Arbeitszeit führen. Den Anspruch, die Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitsverhältnisses zu verringern, haben neben frisch gebackenen Eltern (BEEG), pflegenden Angehörige (PflegeZG) auch viele sonstige Arbeitnehmer/innen nach § 9a oder § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Für alle aus der letzten Gruppe, die die Brückenteilzeit (§ 9a TzBfG) nicht nutzen können, besteht allerdings kein Anspruch darauf, die Verringerung der Arbeitszeit zeitlich zu befristen. Diese Arbeitnehmer können also in ihrer verringerten Arbeitszeit „gefangen bleiben“, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber keine Einigung über die Rückkehr in ein Vollzeitarbeitsverhältnis erzielen können. Diese fehlende Rückkehrmöglichkeit ins Vollzeitarbeitsverhältnis wird als Teilzeitfalle bezeichnet. Die im Jahr 2019 in Kraft getretene Brückenteilzeit ändert diesen Umstand, allerdings längst nicht für alle.

Wer kann Brückenteilzeit nutzen?

Brückenteilzeit bedeutet die zeitlich befristete Verringerung der Arbeitszeit für diejenigen Arbeitnehmer, die nicht ohnehin im Rahmen der Elternteilzeitbeschäftigung oder Pflegezeit einen Anspruch auf Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit haben. Der Gesetzgeber möchte allerdings kleine und mittlere Unternehmen vor den Unwägbarkeiten schützen, dass prinzipiell alle Beschäftigten nach eigener Entscheidung ihre Arbeitszeit zeitweilig verringern können. Voraussetzung für die Anmeldung von Brückenteilzeit ist daher eine Betriebsgröße von mindestens 46 Beschäftigten. Außerdem müssen Sie seit mindestens sechs Monaten bei dem Arbeitgeber beschäftigt sein und spätestens drei Monate vor der gewünschten Arbeitszeitreduzierung diese geltend machen. Diese muss mindestens ein Jahr und darf maximal fünf Jahre betragen, es sei denn, Ihr Tarifvertrag regelt es anders. Eine Verkürzung oder Verlängerung ist einseitig nicht möglich; herrscht allerdings Einvernehmen kann wie immer alles vereinbart bzw. geändert werden, was beide Parteien wünschen.

Befindet sich bereits eine gewisse Anzahl an Personen in Brückenteilzeit – je nach Betriebsgröße zwischen vier und 14 – kann der Arbeitgeber die jeweils darüber hinausgehenden Teilzeitverlangen ablehnen. Wenn die Anzahl an Personen in Brückenteilzeit noch nicht erreicht ist, kann der Arbeitgeber nur aufgrund betrieblicher Belange das Teilzeitverlangen ablehnen. Hierfür bedarf es allerdings arbeitgeberseitig einer guten Begründung, denn ein normaler Vollzeitarbeitsplatz kann regelmäßig auf Teilzeitkräfte aufgeteilt werden.

Werden Teilzeitkräfte anders behandelt als Vollzeitkräfte?

Jedenfalls nicht schlechter! Teilzeitarbeitnehmer einschließlich geringfügig Beschäftigter sind grundsätzlich reguläre Beschäftigte mit lediglich geringerem Arbeitsumfang. Sie dürften nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als Teilzeitkraft schlechter gestellt werden als eine Vollzeitkraft (§ 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG). Selbstverständlich gilt diese Regelung auch für den Verdienst: Im Verhältnis muss eine Teilzeitkraft dasselbe verdienen wie eine Vollzeitkraft, die dieselbe Tätigkeit ausübt. Zwar können hier Vorteile aus Gehaltsverhandlungen das Gleichgewicht stören, jedoch ein willkürlich niedrigeres Gehalt gerade aufgrund der Teilzeittätigkeit ist unzulässig. So dürfen auch Sonderzahlungen den Teilzeitmitarbeitenden nicht vorenthalten werden, sondern sind – anteilig – zu zahlen.

Im Jahr 2018 hat das Bundesarbeitsgericht entsprechend geurteilt, dass nicht zwischen „Teilzeit-Überstunden“ und „Vollzeit-Überstunden“ zu unterscheiden ist (wir haben über das Urteil hier berichtet). Um eine ähnliche Konstellation ging es auch in einem aktuellen Fall, den das Bundesarbeitsgericht derzeit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vorgelegt hat.

Ist eine nach Stunden gestaffelte Mehrvergütung für Teilzeitkräfte entsprechend anzupassen?

Der Kläger ist seit 20 Jahren als Flugzeugführer bei einem großen Luftfahrtunternehmen. Seine Arbeitszeit hat er seit 10 Jahren auf 90 % der Vollarbeitszeit reduziert. Entsprechend den anzuwendenden Tarifverträgen erhalten die Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) wird. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.  Im Dezember 2018 reichte der Arbeitnehmer Klage ein und begehrte für die Jahre 2015 bis November 2018 eine Differenz zur bezahlten Mehrflugdienststundenvergütung.

Als Argument führte er an, die Regelungen des Tarifvertrags würden ungerechtfertigt nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeitnehmer unterscheiden. Hierdurch seien Teilzeitarbeitnehmer schlechter gestellt, da sie es schwerer hätten, die erhöhte Mehrflugstundenvergütung auszulösen.

Die Arbeitnehmerin verteidigte sich mit dem Argument, dass die Mehrflugstundenvergütung einen Ausgleich für eine besondere Belastung darstelle und daher ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung – und damit ggf. Schlechterbehandlung von Teilzeitangestellten – bestehe.

Urteil des Landesarbeitsgerichts: Keine unzulässige Diskriminierung

Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger in erster Instanz Recht gegeben und die Arbeitgeberin zur Zahlung verurteilt. Das Landesarbeitsgericht München änderte dieses Urteil ab und wies die Klage ab (LAG München, Urteil vom 29.05.2019, Az. 12 Ca 1360/18).

Zur Begründung schloss sich das Gericht der Begründung der Arbeitgeberin an, wonach die Mehrflugstundenvergütung nicht der zusätzlichen Vergütung einer erbrachten Mehr-Arbeitsleistung diene, sondern allgemein die erhöhte Belastung der Mitarbeiter ausgleiche. Ferner diene der Zuschlag dazu, die Arbeitgeberin von einer zu hohen Inanspruchnahme der Beschäftigten abhalten. Die Zahlung einer gestaffelt höheren Mehrflugstundenvergütung für das Cockpitpersonal, bei der die Zahlung der (nächst-)höheren Stundenvergütung an das Erreichen bestimmter fester Arbeitsstunden pro Monat geknüpft ist, stelle demnach keine nach § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften dar.

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts: Vorlage zum Europäischen Gerichtshof

In der Revisionsinstanz vor dem Bundesarbeitsgericht hat dieses die Frage nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Hierzu muss man wissen, dass es auf europäischer Ebene eine EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeitsverhältnisse als Anhang der ebenfalls europäischen Richtlinie 97/81/EG gibt (hier geht’s zur Richtlinie). Die Richtlinie konkretisiert den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und bestimmt, dass wo immer möglich der pro-rata-temporis-Grundsatz gilt, was heißt, dass Teilzeitangestellte zeitanteilig entsprechend zu Vollzeitangestellten zu behandeln sind. Europäisches Recht geht, auch in Form von Richtlinien, nationalem Recht grundsätzlich vor. Damit das europäische Recht stets und für alle Mitgliedstaaten gleich ausgelegt wird, muss ein nationales Gericht wie hier das Bundesarbeitsgericht daher in Zweifelsfällen den EuGH ersuchen, bestimmte europäische Regelungen verbindlich auszulegen. Unter Berücksichtigung dieses Beschlusses des EuGHs kann das Bundesarbeitsgericht im Anschluss sein Urteil sprechen.

Das Bundesarbeitsgericht fragt den EuGH in seinem Vorlagebeschluss vom 11.11.2020 (Az. 10 AZR 185/20 (A)), ob eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden kann, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Mit einer Beantwortung dieser Vorlagefrage ist im Laufe des ersten Halbjahres 2021 zu rechnen und sodann auch zügig mit einem neuen „Teilzeit-Urteil“ des höchsten deutschen Arbeitsgerichts.

Fazit: Das hatten wir so ähnlich schon einmal

Im Jahr 2018 hatte das Bundesarbeitsgericht den Teilzeitbeschäftigten den Rücken gestärkt, indem es geurteilt hat, dass es bei „Teilzeit-Überstunden“ nicht darauf ankommt, dass die Arbeitsbelastung insgesamt nicht so groß sei wie bei „Vollzeit-Überstunden“ und Teilzeitbeschäftigte entsprechend Anspruch auf Überstundenzuschläge nach individueller Arbeitszeit haben (Urteil des BAG vom 19.12.2018, Az. 10 AZR 231/18). Dort hieß es, Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.

Auch im damaligen Fall war das Argument des Arbeitgebers im Ergebnis, dass ein auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis bezogener Überstundenzuschlag dazu diene, die allgemein erhöhte Belastung (z.B. Einschränkung der Lebensqualität durch eine hohe Wochenstundenzahl) auszugleichen. Der vorliegende Fall ist ähnlich aufgebaut. Da die besagte europäische Richtlinie bereits aus dem Jahr 1997 stammt und das Bundesarbeitsgericht damals eine Vorlage nicht für notwendig erachtet hat, wirft der aktuelle Vorlagebeschluss die Frage auf, ob das Bundearbeitsgericht in Sachen vollständiger Gleichstellung von Teilzeitbeschäftigten wieder ein Stück zurückrudern möchte.

 
Es bleibt also auch in diesem Bereich des Arbeitsrechts spannend und es dürfte sich für alle Teilzeitbeschäftigten und Arbeitgeber mit Teilzeitangestellten lohnen, diesen Fall im Blick zu behalten.

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