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9. Juni 2017 / by kanzleiKerner

Das Ende der Befristung nach § 41 S. 3 SGB VI?

Vorlagebeschluss des LAG Bremen vom 23.11.2016

„Immer mehr arbeitende Senioren“ ist das Fazit einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes. Im Zahlen bedeutet das, dass im Jahr 2014 gut 14 % der 65-jährigen bis 69-jährigen einer Arbeitstätigkeit nachgingen. Die Motivation hierfür ist so unterschiedlich wie der jeweilige Job. Es sind allerdings auch etliche ältere Arbeitnehmer hierunter, die an ihrem angestammten Arbeitsplatz noch etwas bewegen wollten und deshalb gerne noch ein oder ein paar Jahre „dranhängen“ möchten.

Aber geht das rechtlich eigentlich so einfach?

Ja und nein. Beinahe jeder Arbeitsvertrag sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Altersgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung endet (die häufig noch anzutreffende Formulierung „bis zum 65. Lebensjahr“ ist wohl entsprechend auszulegen, dazu näher hier). Das bedeutet, dass genau genommen fast jeder Arbeitsvertrag auf diesen Zeitpunkt hin befristet ist.

Grundsätzlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer natürlich vereinbaren, dass ein Arbeitsvertrag über eine ursprüngliche Befristung (hier: Renteneintritt) hinaus verlängert wird. Dann fangen aber auf Arbeitgeberseite die Schwierigkeiten an: Nach § 14 Abs. 2 S. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ist eine Befristung ohne Sachgrund – also nicht zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers oder ähnliches – unzulässig, wenn bereits zuvor einmal ein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestanden hat. Das ist bei den in Frage kommenden Arbeitnehmern aber immer der Fall. Das wiederum bedeutet, dass der Arbeitgeber das „Verlängerungsarbeitsverhältnis“ nicht befristen könnte und den Arbeitnehmer dann gleich bis zu seinem Tode weiterbeschäftigen müsste, wenn dieser nicht vorher selbst kündigt.

Für beide Seiten nicht ideal

Der Gesetzgeber hat gesehen, dass diese Situation für beide Seiten nicht ideal ist, da der Arbeitgeber wegen dieser Unsicherheit davon abgehalten wird, motivierte ältere Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen und deren know-how zu nutzen. In § 41 S. 3 SGB VI, den Bestimmungen zur gesetzlichen Rentenversicherung, gibt es daher seit 2014 eine Sonderregelung. Sie lautet:

(…) Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben.

Ungeklärte Fragen

Damit ist das Problem gelöst und die Arbeitsvertragsparteien können über eine neue „Befristung“ beliebig entscheiden, nur dass das jetzt „Hinausschieben“ heißt. Könnte man meinen. Die neue Regelung ist aber nur auf den ersten Blick eindeutig, viele Fragen hierzu sind noch ungeklärt. Zum Beispiel: Darf sich am Inhalt des Arbeitsverhältnisses etwas ändern? Kann während des neuen Zeitraums noch „normal“ gekündigt werden? Muss eine bestimmte Form für die Vereinbarung eingehalten werden? Diese Punkte sind potenzielle Stolpersteine für den Arbeitgeber, der daher bis zu einer Klärung nur vorsichtig von dieser Vorschrift Gebrauch machen wird.

Einer in diesem Zusammenhang gravierenden Frage ging nun das Landesarbeitsgericht Bremen nach. Konkret ging es darum, ob die Regelung überhaupt wirksam ist oder schon von vorneherein nicht angewendet werden kann.

Was war passiert ?

Ein Lehrer im Pensionsalter wollte noch über die Pensionsgrenze hinaus arbeiten und stellte einen entsprechenden Antrag. Das Ende des Arbeitsverhältnisses wurde daraufhin um ein Schulhalbjahr hinausgeschoben. Zu einer weiteren Verlängerung war die Schule nicht bereit. Der Lehrer erhob daraufhin Klage vor dem Arbeitsgericht auf Feststellung, dass die Befristung unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis deshalb unbefristet fortbesteht.

Zur Begründung führte er an, dass der § 41 S. 3 SGB VI aus seiner Sicht europarechtlich unzulässig sei und deshalb auch keine Befristung bewirken konnte. Der Grund für die Unwirksamkeit sei § 5 Nr. 1 des Anhangs zur europarechtlichen Richtlinie 1999/70/EG (Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge). Hier werden so genannte Kettenbefristungen, also mehrere grundlos bzw. missbräuchlich hintereinander geschaltete Befristungen und Diskriminierungen wegen des Alters untersagt.

Hierzu muss man wissen, dass das europäische Recht in der Hierarchie über dem nationalen Recht steht, dieses also im Kollisionsfall „schlägt“. Widerspricht das Europarecht dem deutschen § 41 SGB VI, darf dieser so nicht mehr angewendet werden. Eine auf dieser Basis vorgenommene „Befristung“ wäre unwirksam.

Kein deutsches Gericht kann darüber entscheiden, wie das Europarecht zu verstehen ist, wenn der Fall nicht ganz eindeutig liegt. Das liegt daran, dass das europäische Recht für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einheitlich gehandhabt werden muss – würde jedes Gericht oder jedes Land das Europarecht nach seinem eigenen Verständnis behandeln, gäbe das ein Durcheinander. Deshalb muss ein deutsches Gericht eine Frage, die sich mit dem Verständnis einer europäischen Norm befasst, dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Dieser beantwortet die Frage dann einheitlich für den gesamten Europäischen Raum.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bremen

So hat es das Landesarbeitsgericht Bremen getan (LAG Bremen, Beschluss vom 23.11.2016, Az. 3 Sa 78/16). Die Frage war, ob § 41 S. 3 SGB VI die Voraussetzungen in § 5 der europäischen Rahmenvereinbarung erfüllt. Hier wiederum ist die Frage, ob es zulässig ist, dass § 41 S. 3 SGB VI grundsätzlich – auch wenn es hier nicht geschehen war – unendlich viele Befristungen hintereinander zulässt, ohne dass es hierfür einen anderen Grund als das überschrittene Alter zum Renteneintritt gibt. Zugleich ist die Frage, ob dies eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, denn mit jüngeren Arbeitnehmern darf eine solche grundlose Dauerbefristung nicht vorgenommen werden.

Der deutsche Gesetzgeber hatte hierzu im Gesetzesentwurf ausgeführt, dass mit dem Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus Arbeitnehmer und Arbeitgeber reagieren können, wenn eine Nachbesetzung der entsprechenden Stelle nicht nahtlos erfolgen könne. Auch könnten Arbeitnehmer laufende Projekte mit ihrer Sachkunde erfolgreich zum Abschluss bringen oder neu eingestellte, jüngere Kollegen in ihre Tätigkeit einarbeiten.

Das Landesarbeitsgericht Bremen ist von dieser Begründung allerdings nicht überzeugt. Das Gericht äußert vielmehr deutliche Zweifel daran, dass die Gründe, die es dem Arbeitgeber gestatten, ein Arbeitsverhältnis zum Renteneintrittsalter zu beenden, gleichzeitig auf eine nachfolgende Befristung übertragen werden können und diese dann begründen können.

Sollte der Europäische Gerichtshof feststellen, dass § 41 S. 3 SGB VI europarechtlich unzulässig ist, würden die deutschen Gerichte diesem Urteil folgen. Ein Hinausschieben des Endes des Arbeitsverhältnisses auf dieser Rechtsgrundlage könnte daher einem Arbeitgeber nicht mehr geraten werden – und kann es schon aktuell wegen der unklaren Rechtslage nicht – da das Arbeitsverhältnis ungeplant „bis in alle Ewigkeit“ bestehen könnte.

Statt dessen wäre – und ist – Arbeitgebern aktuell zu raten, nur noch auf Basis der übrigen Befristungsgründe, insbesondere des § 14 Abs. 1 TzBfG, zu befristen. Hier kommt eine Befristung aus in der Person des Arbeitnehmers in Betracht, wenn dieser einen jüngeren Kollegen einarbeiten soll oder ähnliches. Auch dies ist aber im Vorfeld einzelfallabhängig genau zu prüfen. Denn auch hier gilt: Besteht der Befristungsgrund tatsächlich nicht und wird die Befristung angegriffen, besteht das Arbeitsverhältnis unbefristet fort.

Arbeitnehmer sollten hingegen wie immer besonderes Augenmerk darauf legen, ob die gewählte Befristung wirksam ist, diese bei Zweifeln prüfen (lassen) und spätestens binnen 3 Wochen nach dem vermeintlichen Befristungsende angreifen.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Befristung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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