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Mann zeigt auf Tarifregelungen
14. Juli 2017 / by kanzleiKerner

BVerfG zum Tarifeinheitsgesetz – Kann man erstmal so machen

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2017

Das Tarifeinheitsgesetz ist am 10.07.2015 in Kraft getreten und hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich: So kontrovers war im Jahr 2015 wohl kein anderes arbeitsrechtliches Gesetz diskutiert worden, selten einmal wurden schon so früh Verfassungsbeschwerden erhoben.

Was erhitzte die Gemüter derart? Um das Gesetz und die Dynamik dahinter zu verstehen, muss man wissen, was vor dem Tarifeinheitsgesetz galt:

„Ein Betrieb – Ein Tarifvertrag“. Das war jahrzehntelang die Leitlinie des Bundesarbeitsgerichts, welches der Auffassung war, dass ein Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb nicht möglich sei. Es galt also Tarifeinheit (nur ein Tarifvertrag) und nicht Tarifpluralität (mehrere Tarifverträge).

Im Jahr 2010 änderte das Bundesarbeitsgericht diese Ansicht (Urteil vom 07.07.2010, Az. 4 AZR 549/08). Seitdem konnten in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander gelten und damit auch ein und dasselbe Arbeitsverhältnis von mehr als einem Tarifvertrag erfasst werden. Konkurrierten verschiedene Tarifverträge um dasselbe Arbeitsverhältnis (Tarifkonkurrenz), kam es darauf an, welcher Tarifvertrag spezieller für das Arbeitsverhältnis war.

Aus Sicht der Bundesregierung war diese Anwendung von Tarifverträgen gefährlich. Befürchtet wurde die „Zersplitterung der Tariflandschaft“ und – das wurde in der Gesetzesbegründung zum Tarifeinheitsgesetz ganz offen kommuniziert – man wollte künftige Streiks verhindern. Denn dadurch, dass nun die kleineren Gewerkschaften, vor allem die so genannten Spartengewerkschaften (z.B. die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, GDL) mehr Chancen hatten, ihre Tarifverträge „an den Mann“ bzw. in das Arbeitsverhältnis zu bringen, kam es zu Streiks. Hierzu gehören zum Beispiel die Streiks der GDL in den Jahren 2014 bis 2016, welche die Deutsche Bahn trafen.

Daher wurde das Tarifeinheitsgesetz beschlossen und fügte in das Tarifvertragsgesetz (TVG) einen neuen § 4a ein. Hier ist jetzt geregelt, dass für den Fall, dass mehrere Tarifverträge in einem Betrieb aufeinandertreffen, auf Antrag einer Tarifpartei bei dem Arbeitsgericht das Mehrheitsprinzip festgestellt wird. Danach gilt nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die Gewerkschaft des kleineren Tarifvertrags kann sich diesem Mehrheitstarifvertrag anschließen. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber also die seit 2010 geltende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts per Gesetz beseitigt, es kommt nach diesem Prozedere nicht mehr darauf an, welcher Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis spezieller ist.

Diese Regelung ist schön für die größeren Gewerkschaften, die in den Betrieben die Mehrheit stellen. Sie ist auch schön für die Bundesregierung, denn sie beruhigt das Tarifgeschehen deutlich, so dass mit weniger Streiks zu rechnen ist (z.B. bei der Deutschen Bahn und in Krankenhäusern).

Belastet werden durch das Gesetz die kleinen Sondergewerkschaften (Spartengewerkschaften, Fachgewerkschaften, Berufsgruppengewerkschaften). Wenn diese im Betrieb ohnehin keine Chance haben, ihre Regelungen durchzusetzen, werden Mitglieder voraussichtlich abwandern, weil sie in einer größeren Gewerkschaft mehr erreichen können. Diese kleineren Gewerkschaften sehen daher ihr Streikrecht behindert.

Deshalb haben bereits im Jahr 2015 drei Berufsgruppengewerkschaften Eilanträge gegen das Gesetz eingereicht (Marburger Bund, Deutscher Journalistenverband, Pilotenvereinigung Cockpit). Damals kam es zu keiner Entscheidung, denn das Bundesverfassungsgericht hielt es für zumutbar, die Entscheidung der ordentlichen Verfassungsbeschwerden abzuwarten. Diese liegen nun vor.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Tarifeinheitsgesetz im Kern verfassungsgemäß ist (Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.2017, Az. 1 BvR 1571/15 u.a.).

Zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gehört zunächst ein legitimes Ziel. Ein solches ist bei dem Tarifeinheitsgesetz laut Bundesverfassungsgericht gegeben, nämlich die Vereinheitlichung der Arbeitnehmerforderungen, sofern mehr als eine Tarifgemeinschaft am Tarifstreit beteiligt ist.

Auf der zweiten Stufe muss ein Gesetz sodann erforderlich, also notwendig sein. Das beschriebene Ziel darf sich nicht anders und zugleich besser für alle Beteiligten lösen lassen. Auch hier ist das Bundesverfassungsgericht mitgegangen: Die Abschaffung der Tarifeinheit sei die einzig denkbare Lösung zur Behebung des oben genannten Problems.

Schließlich gestand das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber noch einen großzügigen Eischätzungsspielraum zu, wie den befürchteten Funktionsstörungen vorgebeugt werden könne und erklärte das Mehrheitsprinzip damit auch auf der dritten Stufe für verhältnismäßig, also im Wesentlichen zumutbar für die Betroffenen.

In einem Punkt störte sich das Bundesverfassungsgericht dann aber doch am Gesetz: Der bei den Spartengewerkschaften eintretende Grundrechtseingriff in das Streikrecht wird zu wenig abgefedert. Das Urteil kritisiert, dass der Gesetzgeber keine Vorkehrungen getroffen hat, die kleineren Berufsgruppen davor zu schützen, vollständig übergangen zu werden. So ganz mit dem Grundgesetz vereinbar ist die Neuregelung also nicht, aber damit noch nicht so verfassungswidrig, dass es nichtig wäre. Statt dessen muss der Gesetzgeber bis Ende 2018 nachbessern und einen „fairen Ausgleich“ fördern. Bis dahin gilt die aktuelle Fassung.

Das Thema Tarifeinheitsgesetz ist mit dem Urteil noch nicht abgeschlossen. Zum einen wirken nach wie vor politische Kräfte pro und contra Tarifeinheitsgesetz. Zum anderen ist das Gesetz nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes „noch nicht fertig“. Es muss noch einmal umgeschrieben werden und hierbei muss den Interessen der Spartengewerkschaften mehr Geltung verschafft werden. Wie das funktionieren soll, ist allerdings unklar. Der Streit um das Tarifeinheitsgesetz geht also in eine zweite Runde.

Bemerkenswert ist übrigens, dass zwei der acht Mitglieder des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ein abweichendes Sondervotum abgegeben haben.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Befristung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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