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Mann zeigt auf Tarifregelungen
16. Oktober 2015 / by Katja Kläfker

(Alp)traum Mehrheitsprinzip – Das neue Tarifeinheitsgesetz

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.10.2015

Der Entwurf zum Tarifeinheitsgesetz war sicher einer der Gesetzesentwürfe, die im Jahr 2015 am  meisten diskutiert wurden – im Bundestag, in der juristischen Fachwelt und in der Praxis. Am 10.07.2015 ist das Tarifeinheitsgesetz in Kraft getreten und nach wie vor wird diskutiert, zumal zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz eingereicht wurden.

Dabei kann kaum jemand außerhalb der akademischen Debatte etwas mit den zum Verständnis wichtigen Begriffen wie Tarifeinheit, Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz anfangen. Das möchten wir im Folgenden versuchen zu ändern, indem wir Ihnen einen kurzen Überblick über das neue Gesetz geben.

Was ist der Grund für das Tarifeinheitsgesetz?

Bis zum Jahr 2010 galt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: “Ein Betrieb – Ein Tarifvertrag”. Es handelt sich dabei um den Grundsatz der Tarifeinheit, der besagte, dass das Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb, die Tarifpluralität, nicht möglich sein soll. Nachdem durch das Bundesarbeitsgericht der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben wurde (BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08), ist es möglich, dass ein Arbeitsverhältnis von mehreren Tarifverträgen erfasst wird. Das kann dadurch geschehen, dass verschiedene Tarifparteien kollidierende Tarifverträge schließen oder ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag mit einem anderen Tarifvertrag kollidiert – dann liegt Tarifkonkurrenz vor. Diese Tarifkonkurrenz wird in der Regel durch die Arbeitsgerichte für einzelne Arbeitsverhältnisse danach aufgelöst, dass der speziellere Tarifvertrag angewandt wird.

Was ist das Ziel des Tarifeinheitsgesetzes?

Nach der Gesetzesbegründung des neuen Tarifeinheitsgesetzes bergen Tarifkollisionen die Gefahr, dass es zu einer “Zersplitterung der Tariflandschaft” kommt. Der Gesetzgeber sieht sich in der Pflicht, das verfassungsmäßige Recht auf das Aushandeln von Tarifverträgen frei von staatlicher Einflussnahme – die Tarifautonomie – auszugestalten. Die Bundesregierung hat zugleich klargestellt, dass es sich um eine aus ihrer Sicht notwendige Maßnahme handelt, um künftige Streiks zu verhindern. Solche Streiks gab es in der Vergangenheit etwa bei der Deutschen Bahn.

Was regelt das Tarifeinheitsgesetz?

Das Tarifeinheitsgesetz hat den neuen § 4a in das Tarifvertragsgesetz (TVG) eingefügt. Treffen künftig mehrere Tarifverträge aufeinander, kann eine der Tarifvertragsparteien beantragen, dass die Arbeitsgerichte eine Tarifkollision feststellen. Wenn das geschehen ist, gilt das Mehrheitsprinzip. Das bedeutet, dass nur noch der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, kann sich sodann dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft anschließen.

Was ist die Kritik?

Die neue Regelung begrenzt den Einfluss kleiner Gewerkschaften, der so genannten Spartengewerkschaften, auch Fachgewerkschaften oder Berufsgruppengewerkschaften genannt. Deren Verhandlungsposition wird geschwächt und daher droht die Abwanderung von Mitgliedern. Diese Gruppierungen sehen durch die neuen Regeln vor allem ihr Streikrecht eingeschränkt und haben bereits den Gesetzesentwurf scharf kritisiert.

Eilanträge gegen das Tarifeinheitsgesetz

Gegen das Gesetz haben drei Berufsgruppengewerkschaften Eilanträge und Verfassungsbeschwerden erhoben: Der Marburger Bund, die Pilotenvereinigung Cockpit und der Deutsche Journalistenverband rügten jeweils die Verletzung des Grundrechtes auf Koalitionsfreiheit. Sie beantragten, das neue Gesetz bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden noch nicht anzuwenden.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge abgelehnt (Beschluss vom 06.10.2015, Aktenzeichen 1 BvR 157/15). Der Grund hierfür ist vor allem, dass die Hürde für einen erfolgreichen Eilantrag extrem hoch ist. Einem solchen kann nur dann stattgegeben werden, wenn es dem Antragsteller noch nicht einmal zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Genau das ist bei den Gewerkschaften aber laut dem Bundesverfassungsgericht nicht der Fall, da die Spartengewerkschaften auch weiterhin Tarifverträge aushandeln können.

Ausblick

Über die inhaltliche Positionierung der Karlsruher Richter sagt das freilich noch nicht viel aus, wie diese auch betonten. Das Bundesverfassungsgericht will bis Ende des Jahres 2016 über die Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen entscheiden.

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