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1. April 2021 / by Kanzlei Kerner

Auch Rufbereitschaft kann Arbeitszeit sein

EuGH, Urteil vom 09.03.2021 – C-580/19 und C-344/19

Immer wieder kommt es zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Streitigkeiten hinsichtlich der Frage, welche Tätigkeiten als Arbeitszeit einzustufen sind. Besonders häufig stellt sich die Frage, wenn es darum geht, ob Rufbereitschaften als Arbeitszeit zu bewerten sind. Während aus Arbeitgebersicht eher die Sichtweise vertreten wird, dass Rufbereitschaften keine Arbeitszeit darstellen, wird dies von Arbeitnehmern naturgemäß anders bewertet mit der Begründung, dass man sich jederzeit bereithalte und dadurch in seiner freizeitlichen Aktivität beschränkt wird. Nunmehr musste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut mit dem Thema Arbeitszeit beschäftigen.

Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitszeit

Wie so häufig im Arbeitsrecht kann auch der Begriff der Arbeitszeit unterschiedlich definiert werden. Es kommt auf den Kontext an, in dem der Begriff verwendet wird. Auf der einen Seite gibt es die Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz, welches im Einklang mit der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003). zu stehen hat. Das Arbeitszeitgesetz ist ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Hiermit befasste sich der Europäische Gerichtshof bereits im Jahr 2018 (zur Entscheidungsbesprechung hier). Demgegenüber steht der Arbeitszeitbegriff im vergütungsrechtlichen Sinn, der somit festlegt, welche Arbeitszeit auch tatsächlich zu vergüten ist.

Bereitschaftszeit oder Rufbereitschaft – Wo ist der Unterschied?

Der EuGH hatte sich mit der Frage der Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie zu befassen. Um das Urteil zu verstehen, ist zunächst auf die Begriffe Bereitschaftszeit und Rufbereitschaft einzugehen.

Unter Bereitschaftszeit sind solche Zeiten zu verstehen, in denen der Arbeitnehmer seine Zeit beliebig gestalten kann, jedoch ständig abrufbar ist. Im Bedarfsfall muss der Arbeitnehmer so schnell wie möglich verfügbar sein, um seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen zu können. Als Arbeitsplatz ist jeder Ort anzusehen, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung des Arbeitgebers eine Tätigkeit auszuüben hat. Hierbei muss es sich nicht um den Ort handeln, an dem er seine berufliche Tätigkeit gewöhnlich ausübt.

Die Rufbereitschaft ist eine besondere Form des Bereitschaftsdienstes, die sich dadurch kennzeichnet, dass der Arbeitnehmer über seinen Aufenthalt frei entscheiden kann. Im Bedarfsfall muss er sich jedoch alsbald in die Lage versetzen können, seinen Dienst leisten zu können.

Was war passiert?

Ein Feuerwehrmann forderte von seinem Arbeitgeber die Vergütung diverser von ihm geleisteter Rufbereitschaftsdienste. In den Zeiten der Rufbereitschaft wurde arbeitgeberseitig nicht vorgegeben, wo sich der Arbeitnehmer aufzuhalten hat. Bedingung war allein, dass er durchweg erreichbar und in der Lage war, binnen 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen.

In einem weiteren Fall klagte ein slowenischer Techniker. Auch er war an seinen Arbeitsort nicht gebunden, musste während der Rufbereitschaft jedoch telefonisch erreichbar sein. Zudem musste er innerhalb einer Stunde am Arbeitsort sein. Da die Arbeitsorte teils nur schwer erreichbar waren, war er faktisch gezwungen, sich in den bereitgestellten Räumen in der Nähe zu den Sendeanlagen aufzuhalten. Freizeitaktivitäten waren an diesen Orten nicht möglich.

Das sagt der EuGH:

Wieder geht es um den Begriff der Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie. Die Frage, ob es sich bei Rufbereitschaft um Arbeitszeit handelt, ist daher anhand des Zwecks der Arbeitszeitrichtlinie zu beurteilen. Ziel der Richtlinie ist es, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu verbessern. Durch eine Begrenzung täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten soll ein besserer Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund hatte das Gericht zu bewerten, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Arbeitszeit handelt.

Nach der Richtlinie ist – vereinfacht gesagt – Arbeitszeit jede Zeitspanne, in der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Hierunter ist jede Zeit zu verstehen, in der sich ein Arbeitnehmer für den Arbeitgeber zumindest bereit hält und aus diesem Grund seine freie Ortswahl und seine Freizeitgestaltung erheblich einschränkt. Arbeitszeit und Ruhezeit schließen einander aus.

Es kommt auf die Schwere der Einschränkung an

Maßgebliches Kriterium bei der Bewertung, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Arbeits- oder Ruhezeit handelt, ist zunächst die Frage, mit welchen Konsequenzen die Kürze der Frist zur Aufnahme der Tätigkeit verbunden ist. Bei dieser Betrachtung sind einerseits Erleichterungen zu berücksichtigen. Andererseits sind vorhandene Einschränkungen zu berücksichtigen. In den vorliegenden Fällen mussten die Arbeitnehmer binnen einer vorgegebenen Zeit an ihrem Arbeitsplatz sein. Bereits eine solche Vorgabe kann im Einzelfall geeignet sein, den Arbeitnehmer in seiner Freizeit derart zu beschränken und davon abzuhalten, auch nur irgendeine kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen.

Einschränkend zu berücksichtigen ist, binnen welcher Zeitspanne und mit welcher Ausrüstung ein Arbeitnehmer an seinem Arbeitsort sein muss. Erleichternd ist bei dem klagenden Feuerwehrmann zu berücksichtigen, dass er für die Fahrt zum Arbeitsort einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt bekam und Sonderrechte nutzen konnte.

Allein anhand dieses Kriteriums kann man zu dem Ergebnis gelangen, dass die Auswirkungen der Vorgaben als derart einschränkend anzusehen sind, dass die Zeiten als Arbeitszeit anzusehen sind.

Sofern das noch nicht der Fall ist, kann im Weiteren darauf abgestellt werden, wie häufig die Leistungserbringung im Durchschnitt erfolgt und von welcher Dauer der Einsatz ist. Auch diese Faktoren haben schließlich einen Einfluss auf die freizeitliche Gestaltung des Arbeitnehmers.

Im Fall des Feuerwehrmannes geht aus der Entscheidung hervor, dass einiges für die Bewertung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit spricht; im Fall des slowenischen Technikers spricht hingegen einiges gegen die Einstufung als Arbeitszeit.

Und wird das auch bezahlt?

Die Frage beantwortet der EuGH nicht. Das Gericht hatte sich ausschließlich mit dem Begriff der Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn auseinanderzusetzen. Wie zu Beginn des Beitrags aufgezeigt, kann der Begriff der Arbeitszeit, die zu vergüten ist, hiervon abweichen. Ob Arbeitszeiten zu vergüten sind, ist im Einzelfall zu prüfen und abhängig von den rechtlichen Beziehungen sowie deren Ausgestaltung. Es sind insoweit die deutschen Gesetze zu beachten. Zudem kommt es darauf an, was der Arbeitsvertrag oder ein gegebenenfalls anwendbarer Tarifvertrag regelt. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zu berücksichtigen.

Fazit

Der EuGH hatte lediglich die vorgelegten Fragen zu beantworten, was unter Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie zu verstehen ist. Eine abschließende Entscheidung und eine Beendigung des Rechtsstreits war damit nicht verbunden. Es ist nun Sache der vorlegenden Gerichte anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und zu bewerten, ob die Einschränkungen derart gravierend sind, dass unter Berücksichtigung der aufgestellten Grundsätze von Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie auszugehen ist. Keineswegs geklärt wird durch die Entscheidung des EuGH die Frage nach der Vergütung. Für diese Bewertung sind die innerstaatlichen Regelungen und Vereinbarungen zu berücksichtigen

Haben Sie Fragen zu dem Thema Arbeitszeit? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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