Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.03.2017
Der Betriebsrat ist die gewählte Interessenvertretung der Arbeitnehmer und soll, so hat es sich der Gesetzgeber gedacht, ein Gegengewicht zur Gestaltungsmacht des Arbeitgebers bilden. Ein Betriebsrat, der die Entlassung eines Mitarbeiters verlangt – den Arbeitgeber dazu sogar zwingt – der Fall klingt daher mehr als ein wenig ungewöhnlich. Und doch hat dieser Fall eine eigene gesetzliche Regelung; § 104 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), die „Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer“. Hier ist geregelt, dass der Betriebsrat von dem Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines Arbeitnehmers verlangen kann, der sich gesetzeswidrig oder grob betriebsstörend verhält. Weigert sich der Arbeitgeber, kann der Betriebsrat die Maßnahme bei dem Arbeitsgericht durchsetzen und den Arbeitgeber per Zwangsgeld dazu zwingen, tatsächlich eine Kündigung auszusprechen. Ein klassischer Anwendungsfall, der auch im Gesetz genannt ist, sind rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung des Arbeitnehmers. Andere mögliche Gründe sind erhebliche (insbesondere sexuelle) Belästigungen, körperliche Angriffe oder grobe Beleidigungen.
Ist das Verlangen des Betriebsrats allerdings unberechtigt, muss sich der Arbeitgeber schützend vor den betreffenden Arbeitnehmer stellen und darf dem Verlangen nicht nachkommen. Diese Situation ist sonst unter dem Begriff Druckkündigung bekannt.
Der Arbeitgeber trägt also das Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung des Betriebsrates. Wie ein aktueller Fall zeigt, kann es für einen Arbeitgeber in Zweifelsfällen sinnvoll sein, diese Frage von vorneherein gerichtlich klären zu lassen. Ist dem Betriebsrat nämlich rechtkräftig in seinem Entlassungsverlangen Recht gegeben, handelt es sich bei der nachfolgenden Kündigung rechtspraktisch um eine aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigte Kündigung (auch wenn eigentlich eine verhaltensbedingte Kündigung näher läge). Das hat das Bundesarbeitsgericht aktuell bestätigt.
Die spätere Klägerin war seit 1993 Sachbearbeiterin bei einem Versicherungsunternehmen im Bereich Rechnungswesen. Es kam in den Jahren 2014 und 2015 sodann zu Vorfällen mit Kollegen, die zu wenigstens einer Abmahnung führten. Über die Art der Vorwürfe schweigen alle Urteile, möglicherweise handelte es sich um Körperverletzungen; dies könnte in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf angedeutet sein. Jedenfalls verlangte der Betriebsrat die Entlassung oder wenigstens Versetzung der Mitarbeiterin von dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kam diesem Verlangen zunächst nicht nach. Das Arbeitsgericht Düsseldorf beschloss schließlich auf Antrag des Betriebsrates, dass der Arbeitgeber die Mitarbeiterin zu entlassen habe. Der Arbeitgeber kam diesem Beschluss dann nach und sprach eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus.
Die Mitarbeiterin klagte gegen diese Kündigungen und verlangte insbesondere die inhaltliche Nachprüfung der Kündigungsgründe – eine Bindungswirkung durch den arbeitsgerichtlichen Beschluss, wonach sie zu entlassen war, wollte sie nicht anerkennen.
In erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf und in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf erreichte die Klägerin immerhin, dass die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt wurde. Als Grund wurde von dem Landesarbeitsgericht genannt, dass die fristlose Kündigung in dem Entlassungsverfahren nicht ausdrücklich eingeräumt wurde. Zudem war die zweiwöchige Frist für eine fristlose Kündigung problematisch.
Die ordentliche Kündigung hingegen beurteilten beide Gerichte als wirksam (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2016, Az. 9 Sa 233/16). Es wurde dabei ausdrücklich offen gelassen, welcher der Kündigungskategorien nach dem Kündigungsschutzgesetz die Kündigung zuzuordnen war; vielmehr wurde der Kündigungsgrund nach Ansicht der Gerichte bereits in dem Verfahren nach § 104 BetrVG überprüft und war deshalb kein zweites Mal zu prüfen. Dem Beschluss, in dem die Rechtmäßigkeit des Entlassungsverlangen festgestellt war, kommt nach Ansicht des Gerichts Bindungswirkung zu. Das Gericht ging sogar davon aus, dass das Entlassungsverlangen des Betriebsrates einen eigenständigen Kündigungsgrund schaffen kann.
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte und konkretisierte diese Aussage der Vorinstanzen nun (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.03.2017, Az. 2 AZR 551/16; Zur Pressemitteilung). Auch die Erfurter Richter entschieden, dass die ordentliche Kündigung ohne erneute vollständige Prüfung eines Kündigungsgrundes wirksam ist. Der rechtskräftige Beschluss, wonach der Arbeitgeber die Entlassung eines Mitarbeiters auf Verlangen des Betriebsrates umsetzen muss, hat Bindungswirkung bzw. Präjudiz. Das Bundesarbeitsgericht verhält sich – soweit sich das der Pressemitteilung entnehmen lässt – auch zu der Art des Kündigungsgrundes. Es handelt sich aus Sicht des Arbeitgebers um ein dringendes betriebliches Erfordernis, welches die Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) rechtfertigt. Die Kündigung ist also betriebsbedingt.
Der Fall ist selten und deshalb interessant – der Arbeitgeber will nicht kündigen und wird vom Betriebsrat gedrängt. Auch das kommt aber vor und wird rechtlich aufgearbeitet. Das Ergebnis ist wenig erstaunlich: Da der Beschluss des Arbeitsgerichts in dem Verfahren um das Entlassungsverlagen nicht (ausdrücklich) eine fristlose Kündigung in Bezug nahm und die Frist für deren Ausspruch verstrichen war, war diese auch nicht mehr möglich. Allerdings ist Voraussetzung für ein berechtigtes Entlassungsverlangen des Betriebsrates immer ein Sachverhalt, der so schwerwiegend ist, dass er einen Kündigungsgrund darstellt. Da das Gericht in dem Beschlussverfahren dies bereits prüft, könnte ein Gericht im Kündigungsschutzverfahren nicht mehr zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen. Dieses Ergebnis geht ein Stück weit zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers, dem prozessuale Flexibilität genommen wird. Verfassungsrechtlich dürfte dies aber nicht zu beanstanden sein und auch das Bundesarbeitsgericht misst hier der Rechtskraft des Beschlusses die höhere Bedeutung bei. Einen eigenen Kündigungsgrund hat das Bundesarbeitsgericht aber, soweit es sich der Pressemitteilung entnehmen lässt, in dem Entlassungsverlangen nicht gesehen, sondern die Kündigung wie eine Druckkündigung betriebsbedingt eingeordnet.
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