Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.09.2015
Zur Vererbbarkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung
Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
(§ 1 Bundesurlaubsgesetz)
Damit ist die Frage, wem eigentlich der Urlaub gehört, schon (fast) beantwortet: Erworbene Urlaubstage “gehören” natürlich erst einmal Ihnen selbst. Sie dienen der Erholung und Regeneration des Arbeitnehmers und zwar grundsätzlich nur diesem speziellen Arbeitnehmer. Deshalb ist es in Deutschland auch nicht möglich, Urlaubstage an Kollegen zu verschenken. Jedenfalls nicht, soweit es sich um gesetzlichen Mindesturlaub handelt.
Es kann aber auch Situationen geben, in denen der Erholungszweck des Urlaubs nicht mehr erreicht werden kann. Das ist der Fall, wenn ein Arbeitsverhältnis endet und noch Urlaubsanspruch besteht. Für diesen Fall ist eine finanzielle Abgeltung je nach Höhe des Urlaubsanspruchs im Gesetz vorgesehen.
Nicht geregelt sind Fälle, in denen der Arbeitnehmer stirbt und noch Urlaubsanspruch besteht. Auch hier endet das Arbeitsverhältnis. Der einzige Unterschied zum vorangegangenen Fall ist der, dass dieser Umstand weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbar ist.
Bisher: Urlaubsanspruch geht bei Tod des Arbeitnehmers unter
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war in der bisherigen Rechtsprechung der Auffassung, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub als ein höchstpersönliches Recht des Arbeitnehmers anders als bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Lebzeiten mit dem Tod des Arbeitnehmers untergeht (zuletzt Urteil vom 20.09.2011 (Az. 9 AZR 416/10) und Urteil vom 12.03.2013 (Az. 9 AZR 532/11)).
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
Im Jahr 2011 sah sich allerdings das Landesarbeitsgericht Hamm veranlasst, einen Rechtsstreit in ähnlicher Konstellation auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen. Fraglich war für die Richter, ob die Sichtweise des BAG mit der europarechtlichen Richtlinie 2003/88/EG, der sog. Arbeitszeitrichtlinie, vereinbart war. Der EuGH entschied am 12.06.2014 in dieser Sache, dass der ersatzlose Untergang des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung gegen Europarecht verstößt (“Bolacke”-Entscheidung, Az. C-118/13).
Aktuell: Urlaubsanspruch ist vererbbar
Das BAG hatte nun Gelegenheit, die nationale Rechtsprechung an die Sichtweise des Europäischen Gerichtshofs anzupassen.
Geklagt hatten die Erben eines im Mai 2013 verstorbenen Lehrers. Der Verstorbene “hinterließ” nicht genommene Urlaubstage, deren finanzielle Abgeltung die Kläger beanspruchten.
Der Verstorbene war seit 2008 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, so dass sich das Gericht zunächst damit zu befassen hatte, über welchen Zeitraum Urlaubstage bei Langzeiterkrankung angesammelt werden können. Seit der so genannten Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH folgt das BAG der Ansicht, dass gesetzliche Urlaubsansprüche arbeitsunfähiger Arbeitnehmer aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres untergehen. Die Besprechung dieser Entscheidung finden Sie hier.
Sehr knapp vollzieht das BAG anschließend in dem aktuellen Urteil vom 22.09.2015 (Az. 9 AZR 170/14) die Wende in der Rechtsprechung zur Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen:
“Der verbleibende Zahlungsanspruch iHv. 2.217,71 Euro brutto nebst Zinsen ist mit dem Tod des Erblassers gemäß § 1922 BGB auf die Klägerinnen in Erbengemeinschaft übergegangen. Aus der Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als reiner Geldanspruch folgt, dass dieser Anspruch weder von der Erfüllbarkeit oder Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs abhängt noch mit dem Tod des Arbeitnehmers untergeht. Vielmehr ist er vererbbar.
Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit nur einen Schadensersatzanspruch, nicht aber den Urlaubsabgeltungsanspruch selbst als vererblich angesehen hat, wird hieran nach der vollständigen Aufgabe der Surrogatstheorie nicht mehr festgehalten.”
(BAG, Urteil vom 22.09.2015, Rn. 18)
Fazit
Stirbt ein Arbeitnehmer und besteht zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Urlaub, kann man in zwei Richtungen argumentieren. Entweder stützt man sich wie das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit darauf, dass Urlaubsabgeltungsansprüche wegen ihres höchstpersönlichen Charakter unmittelbar mit dem Tod des Arbeitnehmers untergehen. Oder man hält es mit dem Europäischen Gerichtshof, der sich auf die sozialrechtliche Bedeutsamkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung stützt und argumentiert, dass dieser Anspruch deshalb nie ersatzlos untergehen kann. Beide Sichtweisen sind Richterrecht, eine echte rechtliche Herleitung gibt es nicht.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich nun der Sichtweise des Europäischen Gerichtshof angeschlossen und so Rechtssicherheit geschaffen. Ansprüche auf Urlaubsabgeltung nach dem Tod eines Arbeitnehmers sind damit vererbbar.
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