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5. April 2018 / by kanzleiKerner

Verdacht auf Islamismus reicht nicht für Kündigung

Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12.03.2018

Der Islamismus, jene extreme Strömung des Islam, die bereit ist, eine Überordnung der Religion über den Staat auch mittels Gewalt durchzusetzen, ist für uns Mitteleuropäer in vieler Hinsicht besorgniserregend. Ein Aspekt ist der Umgang mit Menschen, die von Deutschland aus in einen „Jihad“, einen „heiligen Krieg“, aufbrechen wollen. Ein solches Verhalten löst offenkundig Befremden aus, was hat das aber mit Arbeitsrecht zu tun? Ganz konkret hatte sich ein großer deutscher Autohersteller die Frage zu stellen, ob man einem mutmaßlichen Jihadisten kündigen kann. Und verlor aktuell vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen den Rechtsstreit um diese Kündigung.

Der Arbeitnehmer arbeitet seit gut 10 Jahren für die Volkswagen AG als Montagewerker und ist deutscher Staatsangehöriger. Er stand in dem Verdacht, sich dem militanten „Jihad“ im Ausland anschließen zu wollen, weshalb ihm im Jahr 2014 durch die Bundespolizei eine Ausreise aus Deutschland untersagt und präventiv der Reisepass entzogen wurde. Ferner war er aufgrund seiner vermuteten Nähe zur salafistischen Szene zur Kontrolle und Grenzfahndung ausgeschrieben.

Volkswagen kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Betriebsfrieden sei gestört und durch eine latente Gewaltbereitschaft des Arbeitnehmers die Sicherheit des Unternehmens gefährdet.

Das Arbeitsgericht Braunschweig gab dem Arbeitgeber Recht, in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen unterlag Volkswagen allerdings im Kündigungsrechtsstreit. Das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam, das Arbeitsverhältnis besteht also fort (Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12.03.2018, Az. 15 Sa 319/17). Eine Revision gegen das Urteil kann noch eingelegt werden, wovon Volkswagen voraussichtlich Gebrauch machen wird.

Um das Ergebnis des Gerichts nachvollziehen zu können, muss man zunächst wissen, was die von Volkswagen angeführte „Gefährdung des Betriebsfriedens“ arbeitsrechtlich bedeutet.

Betriebsfrieden im arbeitsrechtlichen Sinne ist weit mehr als ein „vernünftiger Umgangston“. Eine kündigungserhebliche Störung des Betriebsfriedens tritt (erst) ein, wenn durch einen Arbeitnehmer schuldhaft (!) eine solche Beunruhigung im Betrieb eingetreten ist, dass das notwendige Vertrauen untereinander – also zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und / oder zwischen den Arbeitnehmern – erschüttert ist. Die Schwelle für eine Kündigung wegen einer Störung des Betriebsfriedens und hier besonders für eine fristlose Kündigung liegt in diesem Bereich außerordentlich hoch. Die bloße Möglichkeit, dass der Betriebsfrieden in Zukunft gefährdet werden könnte reicht hierfür ebenso wenig aus wie umgekehrt eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ohne eine zugrundeliegende nachweisliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers.

An dieser Stelle „hakt“ es für den Arbeitgeber; das Gericht hat sein Urteil damit begründet, dass der reine Verdacht der Zugehörigkeit zu einer radikalen Jihad-Bewegung noch keine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses begründet und daher auch keine Kündigung begründen kann. Es fehlt also an einem konkret nachweisbaren Fehlverhalten, wie es etwa gewaltverherrlichende Äußerungen im Betrieb wären. Die außerdienstlichen Umstände waren nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, die Kündigung zu begründen. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings die Revision gegen das Urteil gesondert zugelassen.

Die Gerichte haben ausdrücklich nicht darüber geurteilt, ob bei einer Zugehörigkeit zur islamistischen Szene gekündigt werden darf, der Rechtsstreit entschied sich bei der (im aktuellen Fall nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts fehlenden) Gefährdung des Betriebsfriedens.

Über die Frage, wie das Urteil gelautet hätte, wenn nicht nur der Verdacht auf eine Zugehörigkeit oder Nähe zur Jihad-Bewegung bestanden hätte, sondern diese auch nachweislich bestanden hätte, lässt sich also nur spekulieren. Eine solche Kündigung müsste zwei wesentliche Hürden nehmen: Zum einen gehen den Arbeitgeber private Belange des Arbeitnehmers grundsätzlich nichts an, solange sie nicht in Zusammenhang mit der Arbeit stehen oder diese beeinträchtigen. Soweit ferner die Religionsausübung betroffen ist, steht diese unter besonderem grundgesetzlichem Schutz (selbstverständlich allerdings nicht die Planung oder Ausübung von Gewalt unter dem Deckmantel einer Religion).

Nun ist die Zugehörigkeit zu einer islamistischen Szene kein gewöhnliches Hobby, auch keine Religionsausübung im eigentlichen Sinne und je nachdem sogar eine Straftat. Ob diese Umstände allerdings eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses begründen können, würde im Ergebnis von dem konkreten Umständen abhängen – bei einem einfachen Arbeiter, der „nur“ in die Nähe zu solchen Verbindungen gerückt ist und sich nichts konkret hat zuschulden kommen lassen würde eine Kündigung kaum zu begründen sein. Ganz anders sähe die Sache aus, wenn es tatsächlich zu strafbaren Handlungen käme, wenn der Arbeitnehmer durch Äußerung im Betrieb begründete Ängste hervorrufen würde oder wenn es sich um einen Mitarbeiter in führender bzw. leitender Position handelte. All diese Umstände würde ein Gericht abwägen und sodann je nachdem entscheiden, ob das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so zerrüttet ist, dass eine Kündigung gerechtfertigt wäre.

Man kann unterstellen, dass den allermeisten Menschen die Zusammenarbeit mit einem dem radikalen Islamismus Verdächtigen nicht behagt. Schnell wird in diesem Fall der Betriebsfrieden als gefährdet angesehen. Eine solche vermutete Gefährdung des Betriebsfriedens ohne konkreten Anlass ist aber eben nicht ausreichend, erforderlich für eine Kündigung ist eine Störung des Betriebsfriedens und diese muss auf konkreten Umständen beruhen. Hätte der Arbeitnehmer hier also Kollegen bedroht oder gar ein Attentat angekündigt, wäre die Kündigung sehr wahrscheinlich als wirksam beurteilt werden. Nun wird sich voraussichtlich das Bundesarbeitsgericht noch einmal mit dem Fall befassen und beurteilen, ob nicht doch ausreichende Kündigungsgründe vorliegen. Hierfür wird Volkswagen zur Begründung noch einmal nachlegen müssen.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Kündigung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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