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Mann hält Brief mit Kündigung
8. September 2023 / by Kanzlei Kerner

Weiterarbeiten nach fristloser Kündigung? Das passt nicht zusammen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.03.2023 zur Unvereinbarkeit von außerordentlicher Kündigung und Prozessbeschäftigung

Falls Sie diesen Blog regelmäßig lesen, kennen Sie den Mechanismus hinter dem so genannten Annahmeverzugslohn bereits: Während eines Kündigungsschutzprozesses arbeitet der Arbeitnehmer in der Regel nicht, hat aber unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf das Gehalt für diesen Zeitraum, wenn sich die Kündigung als unwirksam herausstellt. In nahezu jedem Kündigungsschutzprozess besteht also für den Arbeitgeber das Risiko, bei Prozessverlust Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen. „Moment mal“, mag sich da manch ein Arbeitgeber denken, „wenn das Gehaltsrisiko ohnehin besteht, kann ich den Arbeitnehmer ja auch gleich während des Prozesses weiterarbeiten lassen“. In diesem Fall spricht man von einer Prozessbeschäftigung. Schon das Angebot einer Prozessbeschäftigung kann das Risiko des Annahmeverzugslohns mindern, denn nimmt der Arbeitnehmer eine ihm angebotene Arbeit nicht an, kann der Annahmeverzugslohn gekürzt werden. Die Prozessbeschäftigung zwischen Kündigung und Urteil ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Antrag des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung im Rahmen der Kündigungsschutzklage, dieser greift häufig erst nach einem obsiegenden Urteil.

Vorausgesetzt, es handelt sich nicht um eine Vertrauensposition kann das Vorgehen über eine Prozessbeschäftigung in bestimmten Einzelfällen sinnvoll sein. In den meisten Konstellationen hat es allerdings so seine Tücken, ist deshalb für Arbeitgeber eher selten ratsam und kommt praktisch auch selten vor. Bei einer betriebsbedingten Kündigung beispielsweise ist es für die Wirksamkeit der Kündigung gerade erforderlich, dass die Position des Arbeitnehmers weggefallen ist, was eine Weiterbeschäftigung auf genau dieser Position eklatant widerlegen würde. Außerdem handelt es sich bei der Prozessbeschäftigung um ein neues Arbeitsverhältnis, das dem Teilzeit- und Befristungsgesetz und damit auch diversen rechtlichen Stolpersteinen unterliegt – Fehler in diesem Bereich können dazu führen, dass der Arbeitgeber wieder einreißt, was er mit einer gegebenenfalls wirksamen Kündigung schon fast erreicht hatte. Sollte ein Arbeitgeber also eine Prozessbeschäftigung anstreben, ist fachanwaltliche Begleitung sehr sinnvoll.

Das musste auch ein Arbeitgeber lernen, den ein voreiliges Angebot auf Weiterbeschäftigung teuer kam:

Was war passiert? Arbeitgeber kündigt fristlos, erwartet aber Weiterarbeit „bei Ablehnung der Kündigung“

Der spätere Kläger war seit August 2018 als technischer Leiter beschäftigt. Der Arbeitgeber sprach eine außerordentliche Kündigung „zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr“ aus. Im Kündigungsschreiben heißt es weiter, der Arbeitnehmer werde im Fall der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung spätestens am selben Tag um 12:00 Uhr zum Arbeitsantritt erwartet.

Daraufhin erschien der Arbeitnehmer zwar nicht zur Arbeit, reichte aber Kündigungsschutzklage ein. Mit Erfolg: Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam. Den Antrag auf Zahlung von Annahmeverzugslohn, also der Zahlung des Gehalt für den Zeitraum von der Kündigung bis zum Urteil wiesen Arbeits- und später Landesarbeitsgericht allerdings ab. Hiergegen legte der Arbeitnehmer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht ein und verlangte weiterhin die Zahlung des Annahmeverzuglohns.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitgeber widerspricht sich selbst

Das Bundesarbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber sodann zur Zahlung des Annahmeverzuglohns für den Zeitraum des Kündigungsschutzprozesses (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.03.2023, Az. 5 AZR 255/22).

Zur Begründung führte das Gericht aus, dass Voraussetzung für eine fristlose Kündigung die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei. Ein Arbeitgeber, der eine fristlose Kündigung ausspreche, dem Arbeitnehmer aber gleichzeitig eine Weiterbeschäftigung anbiete, verhalte sich widersprüchlich. In diesem Falle zeigte sich diese Widersprüchlichkeit besonders deutlich, da der Arbeitgeber im Rechtsstreit auf stattlichen 40 Seiten das – aus seiner Sicht – vielfache Fehlverhalten des Arbeitnehmers dargelegt und dabei geltend gemacht hatte, ihm sei die vom Arbeitnehmer geltend gemachte Weiterbeschäftigung unzumutbar und das Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört. Aus der Unvereinbarkeit von fristloser Kündigung und Weiterbeschäftigungsangebot schloss das Gericht, dass das Angebot der Weiterbeschäftigung unter solchen Umständen nicht ernst gemeint sei, sondern nur dazu diene, das Risiko von Annahmeverzugslohnansprüchen zu reduzieren. Zwar habe auch der Arbeitnehmer einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt, ohne jedoch dem Angebot des Arbeitgebers nachzukommen und sich damit ebenfalls in gewisser Weise widersprüchlich verhalten. Dieser Antrag sei allerdings auf die Beschäftigung nach zumindest erstinstanzlich festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet gewesen. Aus Sicht des Gerichts macht es einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen gravierenden Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann. Das „Angebot“ des Arbeitgebers hinderte den Anspruch auf Annahmeverzugslohn also ebenso wenig wie die Nichtannahme dieses „Angebots“ trotz des eigenen Antrags auf Beschäftigung durch den Arbeitnehmer.

Fazit: Prozessbeschäftigung ist mit Vorsicht zu handhaben

Im Fall einer fristlosen Kündigung müssen gravierende Gründe vorliegen, die das Vertrauensverhältnis zum Arbeitnehmer massiv beschädigt haben – hier passt das Angebot einer Weiterbeschäftigung offenkundig nicht ins Bild und hat dem Arbeitgeber schlussendlich auch mehr geschadet als genutzt. Aber auch in weniger extremen Kündigungungskonstellationen gilt meistens: Schon das Angebot einer Weiterbeschäftigung durch den Arbeitgeber kann ein Prozessrisiko für den sich anschließenden Kündigungsschutzprozess darstellen, da es oft die Begründung der Kündigung schwächt, sei es eine verhaltensbedingte Kündigung („Wenn er Weiterbeschäftigung anbietet, kann es ja nicht so schlimm gewesen sein.“) oder eine betriebsbedingte Kündigung („Wenn er Weiterbeschäftigung anbietet, scheint es doch genug Arbeit für den Arbeitnehmer zu geben.“). Demgegenüber steht die Chance des Arbeitgebers, durch das Angebot einer Prozessbeschäftigung das Annahmeverzugslohnrisiko zu mindern. Letztendlich gilt es, den Einzelfall abzuwägen. Dasselbe gilt auf Arbeitnehmerseite: Ob ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsantrag im Prozess im jeweiligen Einzelfall sinnvoll ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab – in dem hier besprochenen Fall hätte ein Verzicht auf den Antrag dem Arbeitnehmer ein Prozessrisiko erspart.

Haben Sie Fragen zu den Themen Annahmeverzug, fristlose Kündigung oder Weiterbeschäftigung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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