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19. April 2022 / by Kanzlei Kerner

Was ändert die whistleblower-Richtlinie?

Umsetzungsfrist der whistleblower-Richtlinie abgelaufen, und nun?

Die meisten Arbeitnehmer sind nicht Teil der unternehmenseigenen Öffentlichkeitsarbeit und deshalb nicht angestellt, um ihren Arbeitgeber in ein gutes Licht zu rücken. Darf ein Arbeitnehmer also wie jeder nicht dort Beschäftigte nach Belieben über den Arbeitgeber „lästern“? Klare Antwort: Nein, ein Arbeitnehmer darf sich nicht genauso wie ein Nichtarbeitnehmer über seinen Arbeitgeber äußern. Das Arbeitsverhältnis ist mehr als ein Tausch Arbeit gegen Gehalt. Es gibt viele Rechtsnormen, die beim Abschluss eines Arbeitsvertrags zwangsläufig „mitgekauft“ werden, darunter § 241 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift verpflichtet beide Vertragsparteien zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen. Mit Abschluss des Arbeitsvertrags entstehen also per Gesetz Loyalitätspflichten, die die Meinungsfreiheit begrenzen. Das Unternehmen kann von seinen Angestellten keine aktiv positiven Äußerungen verlangen, sehr wohl aber die Unterlassung schädigender Äußerungen, jedenfalls im öffentlichen oder halböffentlichen Kreis (Stichwort: soziale Netzwerke). Das Maß der Zurückhaltung hängt dabei ein Stück weit von der im Unternehmen bekleideten Stellung ab, ein einfacher Angestellter kann sich daher in Maßen kritischer äußern als eine Führungskraft oder ein Prokurist.

Sensible Betriebsinterna müssen grundsätzlich alle Arbeitnehmer für sich behalten. Genau das bringt allerdings mitunter Arbeitnehmer in Gewissensnöte, wenn es sich nämlich bei diesen Betriebsinterna – tatsächlich oder vermeintlich – um Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen ethische Normen handelt, z.B. Korruption oder Missbrauch persönlicher Daten. Bemerkt ein Mitarbeitender solche Missstände, fühlt er sich mitunter persönlich verpflichtet, diese zum Schutz der Allgemeinheit öffentlich bekannt zu machen, z.B. durch eine Mitteilung an die Presse. Hierbei handelt es sich um sog. whistleblowing, in der deutschen Rechtslandschaft werden solche Menschen Hinweisgeber genannt. Der wohl bekannteste Fall von whistleblowing ist der US-Amerikaner Edward Snowden. Dieser enthüllte die Sammlung von persönlichen Daten durch die NSA, woraufhin er zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung aus den USA floh.

Die europäische Richtlinie 2019/1937/EU soll zu mehr Rechtssicherheit im Umgang mit Hinweisgebern führen. Deutschland hätte diese Richtlinie bereits in deutsches Recht umsetzen müssen, was bislang nicht geschehen ist. Einstweilen bewirkt der Fristablauf, dass die europäische whistleblower-Richtlinie mindestens Vorwirkung entfaltet, ggf. sogar unmittelbar heranzuziehen ist.

Wie ist also die aktuelle Rechtslage, welche Konsequenzen kann ein sog. Hinweis haben, hat sich der rechtliche Status von Hinweisgebern verbessert bzw. schränkt sie Arbeitgeber in ihren Handlungsoptionen ein?

Bisherige Rechtslage: Maßregelungsverbot

In gewissem, aber vagem Rahmen waren und bleiben hinweisgebende Arbeitnehmer durch § 612a BGB (Maßregelungsverbot) und die Grundrechte (Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung lassen sich allerdings kaum klare Fallgruppen ausmachen. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht als Nebenpflicht verpflichtet den Arbeitnehmer einerseits dazu, die Interessen des Arbeitgebers in zumutbarem Umfang zu wahren. Jedoch ist der Arbeitnehmer nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht verpflichtet, im Fall von Missständen stets und ausschließlich die innerbetriebliche Klärung zu suchen, da dies dem verfassungsrechtlichen Rahmen und den grundrechtlichen Positionen des Arbeitnehmers nicht gerecht würde. Es soll vielmehr im Einzelfall zu bestimmen sein, wann dem Arbeitnehmer eine vorherige innerbetriebliche Anzeige bzw. Klärung zumutbar ist (BAG, Urteil vom 03.07.2003, Az. 2 AZR 235/02 m.w.N.). Ein Hinweisgeber war nach bisheriger Rechtslage also darauf angewiesen, dass sein persönlicher Einzelfall von einem Gericht als noch verhältnismäßiges Verhalten gewertet wurde.

Mehr Rechtssicherheit durch die whistleblower-Richtlinie

Die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden vom 23.10.2019 (EU-Richtlinie 2019/1937, kurz „Whistleblower-Richtlinie“) war bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umzusetzen. Da bislang lediglich ein Gesetzesentwurf vorliegt, können sich Hinweisgeber nicht auf das noch nicht in Kraft getretene deutsche Hinweisgebergesetz berufen. Ob sich Hinweisgeber wegen des Fristablaufs derzeit direkt auf die Richtlinie berufen können, wird derzeit unterschiedlich gesehen. Jedenfalls aber entfaltet sie Vorwirkung. Das bedeutet, dass die bestehenden nationalen Rechtsnormen im Wege einer „europarechtskonformen Auslegung“ soweit möglich unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu interpretieren sind, um Kollisionen zwischen europarechtlichen Vorgaben und innerstaatlichem Recht zu vermeiden.

Seit Inkrafttreten der Richtlinie sind daher die o.g. Normen, insbesondere § 612a BGB, im Lichte der Whistleblower-Richtlinie auszulegen. Da der Wortlaut des § 612a BGB sehr allgemein formuliert ist, führt diese Auslegung dazu, dass der Großteil der Whistleblower-Richtlinie in die Norm hineindiffundiert. Es ist daher davon auszugehen, dass Maßnahmen gegen hinweisgebende Arbeitnehmer, die richtlinienkonform gehandelt haben, entweder gegen die unmittelbar anzuwendende Richtlinie oder gegen § 612a BGB in richtlinienkonformer Auslegung verstoßen.

Geschützt sind Hinweisgeber im Bereich der Verstöße gegen vielfältige Rechtsnormen, darunter solche zum Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie der Sicherheit von Netz- und Informationssicherheitsystemen, aber auch z.B. Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz und öffentliche Gesundheit (Art. 2 lit. a) x) whistleblower-Richtlinie). Der Anwendungsbereich ist also groß. Zwar sind in die Richtlinie zunächst nur Verstöße gegen Unionsrecht einbezogen. Allerdings ermuntert der Richtliniengeber den nationalen Gesetzgeber, dies auf nationale Verstöße zu erweitern. Außerdem hat das Unionsrecht längst alle Bereiche der nationalen Rechtslandschaft erreicht und insbesondere solche, für die die whistleblower-Richtlinie anwendbar ist, so dass hier stets (auch) Unionsrecht tangiert sein wird.

Hinweisgeber haben Anspruch auf Schutz nach der Richtlinie, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen, dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen und sie intern oder extern Meldung erstattet haben. Hinweisgeber sollen zunächst interne Kanäle nutzen, sind hierzu jedoch nicht verpflichtet.

In der Folge untersagt die Richtlinie jegliche Form von Repressalien oder Androhung solcher aus Anlass der Meldung, insbes. Abmahnung, Kündigung, Versetzung, negative Leistungsbeurteilung oder Verweigerung der Entfristung (Art. 19). Es findet eine Beweislastumkehr dahingehend statt, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass Benachteiligungen eines Hinweisgebers nicht aus Anlass der Meldung vorgenommen wurden.

Fazit

Bewegt sich ein Hinweisgeber in dem weiten Anwendungsbereich der Richtlinie und hatte hinreichenden Grund zu der Annahme, dass die gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen, würde eine aus Anlass der Meldung – auch wenn diese ohne vorherige betriebsinterne Mitteilung unmittelbar z.B. an eine Tageszeitung erfolgt – vorgenommene arbeitsrechtliche Maßnahme sehr wahrscheinlich für unwirksam erklärt. Erfolgt eine arbeitsrechtliche Maßnahme im zeitlichen Zusammenhang mit der Meldung, ist der Arbeitgeber beweispflichtig dafür, dass der Grund hierfür nicht in der Meldung lag. Nicht untersagt ist jedoch ein Gespräch zur Klärung der Sachlage, sofern hierbei nicht der Eindruck einer Drohung erweckt wird.

In Bezug auf whistleblower bzw. Hinweisgeber besteht also derzeit ein gutes Stück mehr Rechtssicherheit als in der bisherigen Einzelfallbetrachtung; noch konkretisieren wird sich diese mit der in Kürze zu erwartenden Umsetzung in nationales Recht durch das Hinweisgeberschutzgesetz.

Haben Sie Fragen zu dem Thema whistleblowing bzw. Hinweisgebergesetz? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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