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5. Dezember 2022 / by Kanzlei Kerner

Urlaub verfällt und verjährt nicht – EuGH stärkt erneut Urlaubsanspruch

EuGH, Urteil vom 22.09.2022 (Az. C-120/21)

Oft vergehen viele (Urlaubs-)Jahre, bevor ein Arbeitnehmer zum ersten Mal mit dem Thema Urlaubsrecht in Kontakt kommt. Im Jahr 2018 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings ein Grundsatzurteil zum Thema Urlaubsgewährung, das es bis in die Tageszeitungen schaffte. Der EuGH hatte damals geurteilt, dass Urlaub nicht mehr ohne Weiteres zum Jahresende verfallen darf, sondern nur dann, wenn der Arbeitgeber über die Folgen der nicht erfolgten Inanspruchnahme des Urlaubs informiert und die Inanspruchnahme des Urlaubs dann auch ermöglicht hat (EuGH, Urteile vom 06.11.2018, Az.: C-619/16 und 684/16). Wann dieser in das neue Urlaubsjahr übernommene Urlaubsanspruch statt dessen verfallen oder ob es sich hierbei um einen „Ewigkeitsanspruch“ handeln sollte, klärte der EuGH damals nicht. Zu diesem Thema ist nun ein weiteres Urteil des EuGH ergangen, das ebenfalls Beachtung verdient.

Wie kommt es zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über deutsches (Urlaubs-)Recht?

Neben dem Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union steht das europäische Recht. Hier werden insbesondere Richtlinien erlassen, also europäische Vorgaben, die die Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht umzusetzen haben. Die Richtlinien stehen im Rang über den nationalen Gesetzen, sie dürfen also von deutschen Gerichten – wie auch immer die dortigen Vorgaben durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt wurden – nicht ignoriert werden. Ist ein deutsches Gericht unsicher, ob deutsches und europäisches Recht nach einer solchen Umsetzung in Einklang stehen, kann es den europäischen Gerichtshof um eine Klärung dieser Frage bitten.

Was sieht das europäische Urlaubsrecht vor?

 Nach Art. 7 Abs. 1 der europäischen Richtlinie 2003/88 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie darf der Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Nur unter besonderen Umständen kann der Urlaubsanspruch eingeschränkt werden, wenn es um das Ansammeln von Urlaubsansprüchen in großem Umfang geht. Der EuGH hat sich in der Vergangenheit sehr arbeitnehmerfreundlich in seiner Urlaubsrechtsprechung gezeigt und legt diese Vorgaben weit aus, so etwa bei den Themen Krankheit und Urlaub, Obliegenheiten des Arbeitgebers bei der Gewährung des Urlaubs oder jetzt Verjährung und Urlaubsanspruch.

Der Fall: Deutsches Recht sieht Verjährung von Urlaubsansprüchen vor

 In dem kürzlich durch den EuGH (vorläufig) entschiedenen Fall verlangte die spätere Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses von ihrem Arbeitgeber Vergütung für den während der vergangenen fünf Jahre nicht genommenen Urlaub in Höhe von 101 Tagen. Der Arbeitgeber erhob die Einrede der Verjährung nach §§ 194, 195 BGB. Hiernach verjähren Ansprüche grundsätzlich nach drei Jahren. Der Klage wurde vor dem Landesarbeitsgericht entsprechend nur hinsichtlich der Urlaubstage der vergangenen drei Jahre stattgegeben und für die davor liegenden Jahre abgewiesen. In der Revision legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Rechtsstreit wegen Betroffenheit europäischen Rechts dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts war die Arbeitnehmerin einerseits nicht über ihre Urlaubsansprüche informiert worden und anderseits auch nicht in die Lage versetzt worden, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Das Bundesarbeitsgericht empfand es als unbillig, würde der Arbeitgeber finanziell davon profitieren, dass er sich seinen Pflichten entzogen hatte. Entsprechend erfragte es von dem EuGH, ob diese Auslegung des deutschen Rechts mit europäischem Recht übereinstimme.

Das Urteil des EuGH: Urlaub kann nur verjähren, wenn er auch genommen werden kann

Der EuGH stellte fest, dass die Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften festzulegen haben, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrgenommen wird und die europäische Richtlinie das Thema Verjährung nicht regele. Die hier angefragte Verjährungsregel würde jedoch eine Einschränkung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub darstellen, welcher in der Richtlinie ausdrücklich geregelt sei. Auch wenn es sich hier „nur“ um eine zeitliche Beschränkung von immerhin drei Jahren handele, dürfe – so der EuGH – nicht übersehen werden, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses sei. Sofern also wie in dem vorgelegten Fall der Arbeitgeber die Inanspruchnahme des Urlaubs tatsächlich gar nicht zulasse, könne der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch nicht verloren gehen. Daraus folge, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Urlaubsjahres oder eines Übertragungszeitraums (z.B. im Fall von Krankheit) nur unter der Voraussetzung verloren gehen könne, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben. Anderenfalls sei der Arbeitgeber selbst dafür verantwortlich, wenn er mit Anträgen aus lange zurückliegenden Jahren konfrontiert werde.

Fazit

Es gilt also für Arbeitgeber weiterhin, Arbeitnehmer rechtzeitig über ihren bestehenden Resturlaub zu informieren und ihnen anheimzustellen, diesen dann auch rechtzeitig zu nehmen. Ein Verfall zum Jahresende wie nach deutschem Recht vorgesehen findet anderenfalls nicht statt. Das neue Urteil klärt nun, dass selbst die gesetzlichen Verjährungsregelungen von immerhin drei Jahren nicht eingreifen, wenn ein Arbeitgeber diesen Pflichten nicht nachkommt. Dies ist angesichts der traditionell arbeitnehmerfreundlichen Urlaubsrechtsprechung des EuGH kaum überraschend. Herausfordernd bleibt aber für Arbeitgeber, gerade diese Bereitschaft zur Gewährung des Urlaubs nachzuweisen – zumal bei einem mehr als drei Jahre zurückreichenden Zeitraum. Das Bundesarbeitsgericht hat nun die Aufgabe, den mit der Beantwortung der Vorlagefrage an dieses zurückverwiese Rechtsstreit abschließend zu entscheiden und hiermit das Urteil des Europäischen Gerichtshof in die deutsche Rechtslandschaft zu transferieren. Ob dieser Transfer hart oder mild ausfällt, wird maßgeblich an der Ausgestaltung eben dieser Beweislastverteilung liegen und bleibt einstweilen noch abzuwarten.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Urlaubsanspruch? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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