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30. März 2016 / by kanzleiKerner

Umweg über das Gericht auf eigene Gefahr?

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.03.2016

Zur Wahrung von Ausschlussfristen durch rechtzeitige Klage

Steht Ihnen aus Ihrem Arbeitsverhältnis noch Gehalt oder ein anderer Anspruch zu, ist das immer unangenehm: Läuft das Arbeitsverhältnis noch, belastet eine Geltendmachung das Betriebsklima. Besteht es nicht mehr, befinden Sie sich in einer Situation, in der Sie wahrscheinlich noch nie waren – Sie müssen sich jetzt einlesen, was Ihnen genau zusteht und wie Sie diesen Anspruch durchsetzen können oder einen Anwalt aufsuchen. Wenn das Ende Ihres Arbeitsverhältnisses dann auch noch mit Reibungsverlusten einherging, werden Sie obendrein wenig Lust haben, Ihren Arbeitgeber (oder Arbeitnehmer) vor Gericht wiederzusehen.

Sind Sie also nicht dringend auf das, was Ihnen zusteht, angewiesen, schieben Sie Maßnahmen unter Umständen erst einmal vor sich her. Vielleicht kennen Sie auch die dreijährige Verjährungsfrist und denken sich, dass drei Jahre eine lange Zeit sind.

Das alles ist zwar verständlich, aber auch sehr riskant.

Ausschlussfristen – Deadline im Arbeitsrecht

Vielen Arbeitnehmern, aber auch vielen Arbeitgebern, ist nicht bewusst, dass es im Arbeitsrecht eine Besonderheit gibt, die sie keinesfalls unterschätzen dürfen. Häufig gibt es zusätzlich zu der – langen – Verjährungsfrist noch eine – sehr viel kürzere – Ausschlussfrist von wenigen Monaten.

Warum diese Verkürzung der Verjährung? Arbeitsverhältnisse sind auf eine schnelle Abwicklung aller Ansprüche ausgelegt, damit Sie entweder zügig gemeinsam wieder nach vorne schauen oder zügig gemeinsam das Arbeitsverhältnis vergessen können. Diesen Zweck erfüllten Ausschlussfristen sehr effizient und mit harten Konsequenzen: In der Tat können Sie nach dem Ablauf einer wirksamen (!) Ausschlussfrist Ihren Anspruch vergessen. Das Gericht wird den Ablauf der Frist von sich aus prüfen und feststellen, dass Ihr Anspruch ersatzlos entfallen ist, es wird nicht mehr prüfen, ob und in welcher Höhe er Ihnen ohne die Ausschlussfrist zugestanden hätte.

Deshalb ist es für Sie absolut notwendig, sich vor der Frage, ob und wie Sie Ihren Anspruch durchsetzen wollen, zu fragen, bis wann Sie Zeit für diese Entscheidung haben.

Wie häufig sind Ausschlussfristen? Sehr häufig!

Ausschlussfristen kommen sehr häufig vor. Das liegt unter anderem daran, dass solche Fristen eher dem Arbeitgeber nutzen und dieser den Arbeitsvertrag in der Regel vorbereitet. Außerdem enthält fast jeder Tarifvertrag eine Ausschlussfrist.

Möchten Sie wissen, ob Sie eine Ausschlussfrist beachten müssen, kann also ein Blick in den Arbeitsvertrag oder den Tarifvertrag, in der Regel unter der Überschrift „Ausschlussfrist“ oder „Verfallfrist“, weiterhelfen. Wichtig hierbei ist aber, dass eine solche Vereinbarung auch mittelbar geschehen kann: Nimmt Ihr Arbeitsvertrag Bezug auf einen Tarifvertrag, in dem eine Ausschlussfrist geregelt ist, gilt diese für Sie!

Zwar können Ausschlussfristen nicht beliebig kurz sein, gerade in Arbeitsverträgen wird die Frist gelegentlich zu kurz bemessen, oft genug sind die Klauseln aber wirksam, so dass Sie im Zweifelsfall die Ausschlussfrist wahren sollten.

Was muss ich bis wann tun?

Die am häufigsten verwendete Ausschlussfrist regelt, dass der Anspruchsinhaber innerhalb von drei Monaten seit der Fälligkeit des Anspruchs seinen Anspruch schriftlich geltend machen muss. Im Fall von Gehaltsansprüchen tritt Fälligkeit in der Regel am ersten Tag des Folgemonats ein. Die schriftliche Geltendmachung muss nicht per Brief erfolgen, eine E-Mail reicht aus (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.12.2009, Aktenzeichen 5 AZR 888/08). Den Ihnen zustehenden Anspruch müssen Sie zur Geltendmachung so genau bezeichnen, wie es Ihnen möglich ist, und vor allem den richtigen Adressaten wählen, nämlich als Arbeitnehmer den Arbeitgeber selbst, den Vorgesetzten, die Personalabteilung oder die sonst in Ihrem Betrieb maßgebliche Stelle.

Achtung: Oft werden so genannte zweistufige Ausschlussfristen vereinbart, nach der Geltendmachung haben Sie dann unter Umständen noch nicht alles Erforderliche getan. Die zweite Stufe sieht vor, dass Sie Ihren Anspruch innerhalb einer weiteren Frist einklagen müssen, wenn der andere den Anspruch nicht auf Ihre Geltendmachung hin erfüllt bzw. nicht reagiert.

Der Fall: Klage liegt bei Fristablauf bei Gericht

Das Bundesarbeitsgericht hatte aktuell über einen Fall zu entscheiden, in dem die schriftliche Geltendmachung zwar rechtzeitig bei dem Gericht einging, aber den Arbeitgeber nicht mehr innerhalb der Frist erreichte.

Der Kläger war Angestellter des Landes und hatte noch Gehaltsansprüche für den Monat Juni 2013. Nach einiger Bedenkzeit erhob er Klage, was neben einem außergerichtlichen Schreiben eine legitime Form der schriftlichen Geltendmachung ist. Die Klage reichte er am 18. Dezember 2013 bei Gericht ein, leider mitten in der Urlaubszeit. Dem beklagten Arbeitgeber wurde die Klageschrift daher erst am 7. Januar 2014 zugestellt.

Der anwendbare § 37 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sieht vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Die sechs Monate liefen für den Kläger am 30. Dezember 2013 ab, die Einreichung der Klage war daher rechtzeitig, ihre Zustellung beim Arbeitgeber zu spät.

Der Kläger war der Ansicht, er habe die Ausschlussfrist eingehalten. Er argumentierte, dass er die Klage noch vor dem 30. Dezember 2013 bei Gericht eingereicht hat.

Der Arbeitgeber war der Ansicht, der Anspruch des Arbeitnehmers sei wegen der Ausschlussfrist ersatzlos entfallen. Er argumentierte, dass es auf den tatsächlichen Zugang des Geltendmachungsschreibens in Form der Klageschrift ankommen muss, weil die Ausschlussfrist ja erst einmal außergerichtlich gewahrt werden könne.

Um das Problem nachzuvollziehen, muss man eine prozessuale Besonderheit kennen: Üblicherweise hilft in Fällen, in denen eine Klage rechtzeitig zum Beispiel vor Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingeht und den Beklagten erst nach dieser Frist erreicht § 167 ZPO über den Fristablauf hinweg. Verhält der Kläger sich insgesamt ordnungsgemäß, wird die Zustellung bei dem Beklagten gewissermaßen rückdatiert auf den Eingang bei Gericht. Der Kläger soll vor Zufällen aus der Sphäre des Gerichts geschützt werden, auf die er keinen Einfluss hat.

Das Urteil: Wenn eine Klage nicht nötig ist, geschieht sie auf eigenes Risiko

Die Vorinstanzen hatten die Ausschlussfrist als eingehalten angesehen und dem Kläger den eingeklagten Anspruch zugesprochen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) korrigierte in der Revision diese Entscheidungen, da die Ausschlussfrist abgelaufen war (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.03.2016, 4 AZR 421/15). Die Richter des vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts entschieden wie schon früher in ähnlichen Fällen, dass der Kläger bei der Wahrung von (tariflichen) Ausschlussfristen eine durch die Gerichte entstehende Verzögerung hinzunehmen hat (so z.B. schon das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.09.1996, Az. 10 AZR 678/95). Die „Brückenvorschrift“ § 167 ZPO ist laut nicht anwendbar, weil die Inanspruchnahme des Gerichts zur Geltendmachung nicht erforderlich war und der Umweg daher zulasten des Klägers geht.

Aber: Bundesarbeitsgericht ist nicht gleich Bundesarbeitsgericht

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in der jüngeren Vergangenheit auch anders entschieden und dem Kläger mit § 167 ZPO über die spätere Zustellung der Klage hinweggeholfen. Genauer gesagt hat der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts so entschieden, der eine andere Zuständigkeit hat als der aktuell entscheidende vierte Senat (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2014, Aktenzeichen 8 AZR 662/13). In den Urteilsgründen dieses Urteils heißt es, dass die Klage die stärkste Form der Geltendmachung ist und der Kläger daher auf die Klage besonders vertrauen können muss.

Fazit: Der Weg ist nicht das Ziel

Es herrscht also Uneinigkeit bei dem höchsten deutschen Arbeitsgericht.

Für den aktuellen Fall ging diese Uneinigkeit zulasten des Arbeitnehmers: Er hätte dafür sorgen müssen, dass entweder die Klageschrift oder eine andere schriftliche Geltendmachung rechtzeitig dem Arbeitgeber zugeht. Auf die Zustellung der Klage hatte er keinen Einfluss und in diesem Fall Pech.

Neben dem achten Senat des Bundesarbeitsgerichts sehen das die Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte immer mal wieder anders und hatten auch in diesem Fall die „Brücke“ § 167 ZPO für anwendbar gehalten, welche dem Kläger über den Fristablauf hinweggeholfen hätte.

Es ist nicht absehbar, ob auch der achte Senat diese Frage in Zukunft ebenso entscheiden wird. Es wird zunächst abzuwarten sein, wie vertieft sich das Urteil mit den Gegenargumenten auseinandersetzt.

Aktuell ist Arbeitnehmern und Arbeitgebern schon aus Vorsicht dringend zu raten, sich keinesfalls auf eine rechtzeitige Weiterleitung der Klageschrift zu verlassen. Wir raten dringend dazu, den Anspruch parallel zu einer Klage selbst schriftlich geltend zu machen – wenn Sie es noch rechtzeitig schaffen, Klage zu erheben, dann schaffen Sie es auch noch rechtzeitig, der Gegenseite eine Kopie davon vorbeizubringen oder eine E-Mail zu schreiben.

Noch Fragen?

Haben Sie Fragen zu den Themen Ausschlussfristen? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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