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1. März 2021 / by Kanzlei Kerner

Neues zum Entgeltgleichheitsgesetz: Nun sind die Arbeitgeber im Zugzwang

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.01.2021

Zu der Darlegungs- und Beweislast im Entgeltgleichheitsgesetz

Als Gender-Pay-Gap, auf deutsch geschlechtsspezifisches Lohngefälle, bezeichnet man den durchschnittlichen Gehaltsunterschied zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern. Dieser Gehaltsunterschied beträgt in Deutschland unbereinigt knapp 20 % und erklärt sich unter anderem dadurch, dass in „Frauenberufen“ typischerweise geringere Löhne gezahlt werden als in „Männerberufen“ sowie durch die typischen Unterschiede in der Erwerbsbiografie. Aber auch wenn man diese Effekte herausrechnet beträgt die so genannte bereinigte Gender-Pay-Gap noch ca. 6 %. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den unbereinigten Wert bis zum Jahr 2030 auf 10 % zu senken. Ein Schritt auf diesem Weg soll das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) sein. Das EntgTranspG richtet sich nicht explizit und ausschließlich an Frauen, soll ihnen aber in besonderer Weise dienen, um ein geschlechtsspezifisches und damit nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersagtes Lohngefälle aufdecken zu können.

Das EntgTranspG hatte bei seinem Inkrafttreten im Juli 2017 für ein paar Wochen Wellen geschlagen („Kann ich jetzt bei der Personalabteilung fragen, was Kollege Müller verdient?“ – die Antwort ist übrigens nein, dazu gleich näher), schnell wurde es aber wieder recht still ums neue Gesetz. Warum eigentlich und was kann man damit überhaupt machen? Das Bundesarbeitsgericht hat dem EntgTranspG aktuell ein „Upgrade“ verpasst, das sowohl Arbeitnehmer/innen wie auch Arbeitgeber/innen kennen sollten.

Der Mythos „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“

Sie haben gerade aus sicherer Quelle erfahren, dass der Kollege Müller – der zwei Jahre nach Ihnen angefangen hat – fast 500,00 € mehr verdient. Ungerecht! Aber nicht per se ein Fall für das Arbeitsgericht. Das Argument „gleicher Lohn für gleiche (oder gar bessere) Arbeit“ hat nämlich keine gesetzliche Grundlage und führt sie daher ohne weitere, rechtlich begründete Argumente nicht weiter. Rechtlich relevant wäre es, wenn Sie einer Diskriminierung wegen Ihres Geschlechts, Ihrer Ethnie, Religion oder Weltanschauung, Ihres Alters oder einer Behinderung unterlägen, Sie also aus diesen Gründen schlechter bezahlt würden als Ihre Kollegen in gleicher Position. Ansonsten ist die Verhandlung, welche Geldleistung für welche Arbeitsleistung geschuldet ist, Sache zwischen Arbeitgeber und genau diesem/r Arbeitnehmer/in, wobei günstige Marktbedingungen und Verhandlungsgeschick legitim ausgenutzt werden dürfen.

Wie funktioniert das Entgelttransparenzgesetz?

Das EntgTranspG möchte im Gegensatz dazu Arbeitnehmer/innen in größeren und großen Betrieben ein Instrument an die Hand geben, um herauszufinden, ob sie willkürlich bzw. geschlechtsspezifisch als Teil einer Arbeitnehmergruppe im Verhältnis zu einer anderen Arbeitnehmergruppe strukturell schlechter bezahlt werden.

Art. 157 des europäischen AEUV regelt das gleiche Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) untersagt folglich eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgeltes aus Gründen des Geschlechts. Und schließlich regelt § 3 Abs. 2 des EntgTranspG auch noch einmal das Verbot der Lohndiskriminierung.

Der Anspruch aus dem EntgTranspG ist ein Auskunftsanspruch. Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer/innen in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten, in denen mindestens sechs Beschäftigte des jeweils anderen Geschlechts als der/die Auskunftseinholende gleiche oder gleichwertige Arbeitsleistung erbringen. Der Anspruch richtet sich auf Auskunft über das Vergleichsgehalt dieser Mitarbeitergruppe (sog. Median). Es ist möglich, diese Auskunft anonym zu erhalten, wenn der Anspruch über den Betriebsrat geltend gemacht wird. Um das Auskunftsverfahren einleiten zu können, müssen auch Angaben zu der eigenen Tätigkeit und dem eigenen Gehalt gemacht werden, damit eine korrekte Vergleichsgruppe gebildet werden kann.

In Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten kann der / die Auskunftsberechtigte ein betriebliches Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit einleiten. Der Arbeitgeber muss hier einen Bericht über die gesamte Gehaltsstruktur erteilen statt lediglich eines Berichts über die Vergleichsgruppe.

Es ist mit dem Gesetz nicht möglich und auch nicht Ziel des Gesetzes, Auskunft über einzelne Gehälter zu erlangen. Die Gruppenbildung von mindestens sechs Vergleichsgehälter soll einerseits gerade Rückschlüsse auf bestimmte Personen verhindern und andererseits die ggf. vorliegende strukturelle Ungleichbehandlung aufdecken.

Warum galt das Entgelttransparenzgesetz bis jetzt als zahnlos?

Das EntgTranspG soll den auskunftsbegehrenden – zumeist – Frauen einen unbürokratischen Weg ebnen, den Median der Vergleichsgruppe zu erfahren. Jedoch: Falls sich aus dieser Auskunft ergibt, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt mehr verdient, sieht das Gesetz keine Konsequenzen vor. Dabei ist es durchaus verständlich, dass der Gesetzgeber nicht schlankerhand angeordnet hat, dass die Gehaltsdifferenz geschuldet ist. Denn: Ein Gehaltsgefälle zur Vergleichsgruppe kann zwar einen geschlechtsspezifischen Hintergrund haben, es kann sich aber auch zufällig durch legitime Gründe ergeben. So können die Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe etwa aus einer anderen Qualifikation heraus in ihre Position befördert worden sein, was ein höheres Gehalt rechtfertigen kann. Fraglich ist aber nun, was mit der Auskunft anzufangen ist. Einen Hebel könnte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bieten. In § 22 AGG ist geregelt, dass der erste Anschein einer Diskriminierung zu einem Indiz führt, welches die andere Partei – hier also der Arbeitgeber – zu entkräften hat. Auf dieser Basis könnte anhand der erteilten Auskunft eine Klage auf Zahlung des Gehaltsunterschiedes eingereicht werden und es wäre am Arbeitgeber, darzulegen, warum die Gehaltslücke gerade nicht auf geschlechtsspezifischen Gründen beruht. Ob diese Wirkung durch eine Gehaltslücke in der erteilten Auskunft ausgelöst wird, war bis jetzt umstritten. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Fall aktuell entschieden.

Was war passiert? Arbeitnehmerin deckt Gehaltslücke auf

Geklagt hatte eine Abteilungsleiterin, die wegen geschlechterdiskriminierender Vergütung ein Differenzentgelt geltend machte. Sie ist in der Versicherungsbranche beschäftigt, wobei ihre Tätigkeit außertariflich mit einem Grundgehalt von 5.688,90 € zzgl. einer übertariflichen Zulage von 550,00 € vergütet wurde. Im Juli 2018 beantragte sie die Erteilung einer Auskunft nach § 11 EntgTranspG. Der Arbeitgeber informierte sie darüber, dass der Median der männlichen Abteilungsleiter, bezogen auf die Abteilungsleiter, denen wie der Klägerin seit 2012 eine Führungsaufgabe übertragen war, ein Grundentgelt von 5.595,00 € brutto und übertarifliche Zulage von 550,00 € brutto monatlich erhielten. Auf eine Monierung der späteren Klägerin hin erteilte der Arbeitgeber eine weitere Auskunft, der zur Folge der Median aller männlichen Abteilungsleiter 6.292,00 € brutto Grundgehalt und 600,00 € Zulage betrage, wobei die Führungstätigkeit im Durschnitt seit dem Jahr 1999 wahrgenommen wurde. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin auf Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen ihrer Vergütung und dem Vergleichsentgelt aller männlichen Abteilungsleiter mit dem Argument, durch die Auskunft sei eine erhebliche Gehaltsungleichheit zwischen den weiblichen und männlichen Abteilungsleitern belegt.

Der Arbeitgeber argumentierte hiergegen, dass es von entscheidender Bedeutung für die Höhe der Vergütung eines Abteilungsleiters oder einer Abteilungsleiterin sei, wann die betreffende Person die Führungsaufgabe übernommen habe. Für diejenigen Personen, die wie die Klägerin die Führungsaufgabe 2012 übernommen haben, sei diese Differenz mit 225,00 € gering und erkläre sich daraus, dass die Klägerin aufgrund interner Differenzen von der Gehaltserhöhungsrunde des Jahres 2017 ausgenommen wurde.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen: Entgeltdifferenz alleine reicht nicht

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in der Berufungsinstanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht an, nicht hinreichend überzeugt davon zu sein, dass die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt ist (Urteil LAG Niedersachsen vom 01.08.2019, Az. 5 Sa 196/19). Es bedürfe eines Zusammenhangs zwischen der niedrigen Vergütung und dem Geschlecht. Die Klägerin hätte Indizien über die Lohnlücke hinaus vortragen müssen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hierauf schließen lassen. Die vorgetragenen Argumente der Klägerin hat das Gericht hierfür nicht genügen lassen. Insbesondere konnte die Klägerin nach Auffassung des Gerichts die naheliegende Erklärung für die Entgeltdifferenz, dass die männlichen Arbeitskollegen im Durchschnitt wesentlich länger Abteilungsleiter sind, nicht ausräumen.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Arbeitgeber muss Vermutung widerlegen

In der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht wurde der Fall zur neuen Verhandlung wieder zu dem Landesarbeitsgericht zurückverwiesen mit dem Hinweis, dass die Klage jedenfalls mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts nicht abgewiesen werden durfte. Die von der Klägerin vorgetragene im Verhältnis zur Vergleichsperson geringere Entgelt begründet nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die Vermutung, dass die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfolgte (Urteil vom 21.01.2021, Az. 8  AZR 488/19). Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen und den durch den Arbeitgeber vorgetragenen Argumenten konnte das Gericht nicht entscheiden, ob der Arbeitgeber, den sodann die Darlegungs- und Beweislast trifft, diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG entsprechend widerlegt hat. Dem Arbeitgeber muss nun Gelegenheit zu weiterem Vorbringen gegeben werden, um diese Vermutung gegebenenfalls widerlegen zu können.

Fazit: Jetzt bewegt das Entgeltgleichheitsgesetz was

Bis dato war das Entgeltgleichheitsgesetz ein wenig ernüchternd. Zum einen bezieht es sich ausschließlich auf geschlechterdiskriminierende Lohnunterschiede, so dass z.B. Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund nicht hinsichtlich struktureller Lohnunterschiede wegen ihrer Herkunft anspruchsberechtigt sind. Außerdem greift das Gesetz erst ab einem Beschäftigten-Schwellenwert, den viele Betriebe nicht erreichen. Vor allem aber mussten bis dato die  meistens weiblichen Arbeitnehmerinnen, die anhand der Auskunft ersehen konnten, dass sie weniger als die meistens männliche Vergleichsgruppe verdient, noch weitere Indizien für eine geschlechterspezifische Diskriminierung beibringen. Wie sollten sie das können?

So nüchtern wiederum das Ergebnis des Urteils – Rückverweisung an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Klärung – anmutet, so ein Paukenschlag steckt dahinter. Das auf den ersten Blick rein bürokratische EntgTranspG wurde durch das BAG in Verbindung mit § 22 AGG zu einem anspruchsbegründenden Gesetz aufgewertet. Mit einer Auskunft nach dem EntgTranspG, welches eine Gehaltslücke ausweist, liegt der Ball im Fall einer Klage künftig im Spielfeld des Arbeitgebers, der nun darlegen muss, aus welchen Gründen es zu diesem Gehaltsgefälle gekommen ist. Das ist eine enorme Erleichterung für Arbeitnehmer/innen, die aus naheliegenden Gründen keine nähere Kenntnis über die Gründe der Zusammensetzung der Kolleg/innen-Gehälter haben.

 
Haben Sie Fragen zu dem Thema Entgelttransparenz? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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