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19. Februar 2024 / by Kanzlei Kerner

Krank kurz nach Jahresbeginn: Urlaubsverfall nach 15 Monaten nur bei schnellen Arbeitgebern

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 107/20)

Man kann den Eindruck bekommen, kein anderes Thema erhält beim Bundesarbeitsgericht so viel Aufmerksamkeit wie der Urlaub. Das lässt natürlich keinen Rückschluss auf die Vorlieben der dortigen Richterinnen und Richter zu, sondern auf die Fälle, die dem Bundesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden. Das wiederum heißt: Um Urlaub wird viel gestritten. Warum ist das so? Einerseits ist der Urlaubsanspruch Bestandteil jedes Arbeitsverhältnisses, so dass bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses immer mit dem Urlaubsanspruch verfahren werden muss. Andererseits war gerade der Urlaub in den vergangenen Jahren Teil der europäischen Regelungen und Rechtsprechung, die dann wiederum vom Bundesarbeitsgericht aufgenommen werden musste. Dabei ist das Verhältnis von Urlaub und Krankheit eigentlich im deutschen Recht nicht allzu kompliziert geregelt:

Krank während des Urlaubs – und nun?

Krankheit sucht man sich nicht aus, deshalb werden natürlich auch urlaubende Arbeitnehmer krank. § 9 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) regelt dazu:

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

Das bedeutet, unter Vorlage eines ärztlichen Attestes kann sich der Arbeitnehmer die Urlaubstage, an denen er erkrankt war, wieder gutschreiben lassen. Der Grund hierfür ist, dass der Gesetzgeber dem Urlaub den Zweck zugewiesen hat, die Erholung und Regeneration der Arbeitskraft des Arbeitnehmers zu gewährleisten. Dieser Zweck kann aber während einer Erkrankung nicht erfüllt werden.

Ein ganzes Jahr krank: Urlaubsverfall nach 15 Monaten

Da während einer Erkrankung Urlaubstage nach § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, besteht am Ende eines Jahres, in dem der Arbeitnehmer vollständig erkrankt war, noch der gesamte Jahresurlaub. Der gesetzlich vorgesehene Untergang von Urlaubstagen nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) findet also nicht statt. Legt man ausschließlich das Bundesurlaubsgesetz zugrunde, hat ein Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer drei Jahre lang durchgehend erkrankt ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses also Anspruch auf eine Urlaubsabgeltung für mindestens 72 Urlaubstage bzw. legt man den durchschnittlichen Urlaubsanspruch zugrunde für 90 Urlaubstage. Eine große Summe und das, obwohl in den drei Jahren keinerlei Arbeitsleistung erbracht wurde. Dieses Ergebnis mutet überraschend an und ist daher Gegenstand vieler Streitigkeiten gewesen. Eine wesentliche Frage ist inzwischen geklärt: Das Bundesarbeitsgericht hat vor dem Hintergrund einer europäischen Richtlinie entschieden, dass Urlaubsansprüche bei einer ganzjährigen Erkrankung 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres verfallen.

Beispiel: Bei einer Erkrankung vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2023 ist der Jahresurlaub des Jahres 2021 am 31.03.2023 – 15 Monate nach dem Ende des Jahres 2021 – verfallen.

Krank im laufenden Jahr: Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers

Seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2022 ist der Verfall des Urlaubs im Arbeitsverhältnis daran gekoppelt, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Inanspruchnahme des Urlaubs zuvor in gebotener Weise ermöglicht hat (näheres dazu hier). Damit ist vor allem ein klarer Hinweis auf den bestehenden Urlaubsanspruch und dessen Befristung gemeint. Mit dieser Entscheidung wurde nicht nur ein Teil der allgemeinen „Urlaubsverantwortung“ auf den Arbeitgeber verlagert, sondern auch das Risiko der Nichtinanspruchnahme von Urlaub wegen Erkrankung. Denn nur wenn ein Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr erkrankt und der Arbeitgeber bis dahin seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist, greift nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die 15-monatige Frist für das Erlöschen des Urlaubsanspruch sein, anderenfalls hingegen nicht.

Beispiel: Bei einer Erkrankung vom 17.05.2021 bis zum 31.12.2023 ist der Jahresurlaub des Jahres 2021 nur dann am 31.03.2023 – 15 Monate nach dem Ende des Jahres 2021 – verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer so zeitgerecht im Jahr 2021 auf seinen bestehenden Urlaubsanspruch und dessen Befristung hingewiesen hat, dass der Arbeitnehmer diesen noch hätte nehmen können. Anderenfalls besteht der Urlaubsanspruch für das Jahr 2021 auch über den 30.04.2021 fort.

Krank kurz nach Jahresbeginn: Schnelle Arbeitgeber sind im Vorteil

Ein neueres Urteil des Bundesarbeitsgerichts unterscheidet nun zwischen dem Eintritt der Erkrankung irgendwann im laufenden Urlaubsjahr und dem Eintritt der Erkrankung ganz früh im Jahr (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 107/20).

Was war passiert? Erkrankung ab dem 18. Januar bis zum Jahresende

Der Kläger war er seit langer Zeit im öffentlichen Dienst beschäftigt, vom 18. Januar 2016 bis zur Beendigung des Arbeitsvertrags im Februar 2019 allerdings erkrankt. Eine Mitteilung über den bestehenden Urlaub und dessen Befristung erfolgte im Jahr 2016 nicht. Der Arbeitgeber zahlte Urlaubsabgeltung für die Jahre 2017 bis 2018 und Januar 2019, allerdings nicht für das Jahr 2016. Diesbezüglich berief er sich darauf, der Urlaubsanspruch sei mit Ablauf des 31. März 2018, also nach 15 Monaten, erloschen. Der Kläger entgegnete hierauf, der Arbeitgeber hätte ihn in die Lage versetzen müssen, diesen Urlaub im Jahr 2016 auch zu nehmen. Aufgrund der Verletzung der arbeitgeberseitigen Obliegenheit sei der Anspruch nicht erloschen, mithin noch der Resturlaub des Jahres 2016 abzugelten.

Das Urteil: Unverzügliche Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers

Das Bundesarbeitsgericht machte einige grundsätzliche, also abgesehen vom vorgelegten Rechtsstreit für alle Fälle, gültige Aussagen: So führte das Gericht aus, das Risiko, dass der Urlaub wegen einer im laufenden Urlaubsjahr eintretenden Krankheit nicht erfüllt werden kann, habe der Arbeitgeber nur dann zu tragen, wenn er tatsächlich die Zeit hatte, seinen Obliegenheiten nachzukommen. Da bei einem Neubeginn des Arbeitsverhältnisses nach sechs Monaten der volle Urlaubsanspruch entsteht, müsse der Arbeitgeber vorher auch keine Urlaubsgewährung initiieren. Danach gelte, dass die Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers unverzüglich, also ohne Zögern, zu geschehen habe. Da der Urlaubsanspruch bei allen außer den im laufenden Jahr eingestellten Arbeitnehmern zum Jahresbeginn entsteht, ist dieser Zeitpunkt grundsätzlich maßgeblich. Das Bundesarbeitsgericht geht also davon aus, dass, wenn keine besonderen Umstände wie Betriebsferien vorliegen, der Arbeitgeber binnen einer Woche nach Jahresbeginn tätig werden muss, um die Obliegenheitspflicht „unverzüglich“ zu erfüllen. Wird der Arbeitnehmer anschließend krank, beginnt die 15-Monatsfrist daher ausnahmsweise zu laufen, obwohl der Arbeitnehmer nicht das gesamte Jahr hindurch erkrankt ist. Anders gesagt: Erfüllt der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit nicht bis eine Woche nach Jahresbeginn, trägt er das Risiko, dass Urlaubsansprüche unterjährig erkrankter Arbeitnehmer nicht mehr verfallen. Der Arbeitgeber hatte hier dem Arbeitnehmer bis zum 18. Januar keine Urlaubsmitteilung zukommen lassen, so dass die 15-Monatsfrist nicht in Gang gesetzt wurde. Eine zweite, hieran anknüpfende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lautet allerdings: Hätte der Arbeitnehmer auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arbeitgeber seinen Urlaub nicht vollständig nehmen können, bleibt ihm nach Ablauf der 15-Monatsfrist auch nur die Anzahl an Urlaubstagen erhalten, die er von einer ordnungsgemäßen Aufklärung bis zum Eintritt der Erkrankung hätte nehmen können. Dem Kläger stand für das Kalenderjahr 2016 ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen zu und er erkrankte am 18. Januar für den Rest des Jahres. Auch bei einer unverzüglichen Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit durch den Arbeitgeber hätte er also keine Gelegenheit gehabt, mehr als zehn Urlaubstage zu nehmen. Insofern hat das Bundesarbeitsgericht unabhängig von dem Verhalten des Arbeitgebers die 15-Monatsfrist für die übersteigenden Urlaubstage in Gang gesetzt.

Fazit

Den meisten Arbeitgebern ist die obergerichtliche Rechtsprechung über ihre Informationspflichten zu Urlaubsansprüchen und Verfallfristen im laufenden Urlaubsjahr inzwischen bekannt. Weniger bekannt ist, dass es hier auch aufs Timing ankommt. Hierzu hat Bundesarbeitsgericht nun konkrete Hinweise gegeben: Arbeitgeber müssen unmittelbar zu Beginn des Kalenderjahres, noch in der ersten Arbeitswoche, ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachkommen. Anderenfalls tragen sie das Risiko, dass bei einer unterjährigen Erkrankung wenigstens ein Teil des Urlaubs nicht verfällt.  Falls noch nicht geschehen, ist Arbeitgebern daher zu raten, das unverzüglich nachzuholen. Auch für Arbeitnehmer ist durch das Urteil Rechtsklarheit geschaffen, sowohl hinsichtlich des Anlaufens der 15-Monatsfrist als auch darüber, wie viele Urlaubstage gegebenenfalls verfallen.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Urlaubsanspruch? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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