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4. April 2025 / by Kanzlei Kerner

Keine Pflicht zur Job-Annahme bei Freistellung

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24)

Lange Zeit war unklar, welche genauen Pflichten ein Arbeitnehmer hat, wenn sich während der Kündigungsfrist die Möglichkeit einer neuen Stelle bietet. Das Bundesarbeitsgericht hat nun ein Urteil erlassen, das mehr Klarheit während der Freistellung nach einer Kündigung schafft und die Arbeitnehmerrechte in diesem Zeitraum stärkt.

Annahmeverzugslohn und Zwischenverdienst

Der Hintergrund ist, dass Arbeitgeber mitunter Arbeitnehmer gleichzeitig mit der Übergabe einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung freistellen. Das bedeutet, der Arbeitnehmer ist zwar noch angestellt, muss aber seine Arbeit nicht mehr leisten und erhält gleichwohl sein Gehalt. Das kann als widerrufliche oder als unwiderrufliche Freistellung geschehen, wobei nur in diesem Fall der Resturlaub angerechnet werden kann. Der Grund für diese Entscheidung ist in der Regel ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis, so dass der Arbeitgeber befürchtet, die weitere Anwesenheit des Arbeitnehmers könnte dem Betriebsfrieden schaden oder der Arbeitnehmer könnte Sabotage bzw. Datendiebstahl vornehmen.

Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von seiner Arbeitsleistung frei, gerät er in den so genannten Annahmeverzug (§ 615 BGB), der Gehaltsanspruch in dieser Zeit heißt deshalb Annahmeverzugslohn. Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn wird allerdings begrenzt: Erzielt der Arbeitnehmer bei einer neuen Stelle ein Gehalt, wird dieses angerechnet. Antworten auf Detailfragen zu diesem Thema wie die Berechnungsformel finden Sie hier in unserem Annahmeverzugslohn-Blogbeitrag. Zum Verständnis des aktuellen Urteils reicht es zu wissen, dass der Arbeitnehmer diesen Umstand wiederum nicht so für sich nutzen darf, dass er absichtlich untätig bleibt. Denn angerechnet wird auch der fiktive Betrag, den ein Arbeitnehmer “böswillig zu erwerben unterlässt“ – also wenn ein Arbeitnehmer ohne ausreichenden Grund die Gelegenheit einer neuen Arbeitsstelle ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird. Was das genau bedeutet war wie gesagt lange unklar, so haben die Gerichte beispielsweise eine gute oder schlechte Arbeitsmarktlage zur Bewertung der Pflicht zur Annahme eines neuen Jobs herangezogen. Das Bundesarbeitsgericht hat nun wegweisend festgestellt:

„Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig iSd. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht.“

Hintergrund des Falls: Arbeitgeber schickt gekündigtem Arbeitnehmer Job-Angebote

Im konkreten Fall hatte ein Arbeitgeber einem Senior Consultant ordentlich gekündigt und ihn für die dreimonatige Kündigungsfrist unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt. Während dieser Zeit erhielt der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber 43 Stellenangebote mit der Aufforderung, sich darauf zu bewerben. Der Arbeitnehmer kam dieser Aufforderung erst gegen Ende der Kündigungsfrist nach. Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Zahlung der Vergütung für den letzten Monat der Kündigungsfrist und argumentierte, der Arbeitnehmer habe es “böswillig” unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, wie es § 615 Satz 2 BGB vorsieht.

Das Urteil: In der Regel keine Pflicht zur Job-Annahme

Das BAG gab jedoch dem Arbeitnehmer Recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung während der gesamten Kündigungsfrist. Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber durch die einseitige Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist in Annahmeverzug geraten und daher gemäß § 615 Satz 1 i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet war. Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe böswillig anderweitigen Erwerb unterlassen (§ 615 Satz 2 BGB) wies das Gericht zurück. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung darstelle und eine Anrechnung nur gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer wider Treu und Glauben untätig bleibe. Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber jedoch nicht darlegen, dass es unzumutbar gewesen wäre, den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Zudem bestehe für den Arbeitnehmer in der Regel keine Verpflichtung, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Beschäftigung aufzunehmen, um den Arbeitgeber finanziell zu entlasten.

Fazit

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung für oder gegen die Entscheidung über eine Freistellung während der Kündigungsfrist. Arbeitgeber müssen sich bewusst sein, dass sie in solchen Fällen weiterhin zur Zahlung der Vergütung verpflichtet sind und nach dem neuen Urteil kaum noch eine Anrechnung fiktiver Einkünfte werden vornehmen können. Anzurechnen werden demnach nur noch tatsächliche Einkünfte sein, wenn diese während der Kündigungsfrist erzielt werden. Arbeitnehmer haben durch das Urteil deutlich mehr Rechtsklarheit darüber, dass sie in der Regel nicht verpflichtet sind, während der Kündigungsfrist eine neue Beschäftigung aufzunehmen, um ihren Vergütungsanspruch zu erhalten.

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