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Frau Hält Bogen mit zwei Twitter-Vögeln hoch
22. September 2023 / by Kanzlei Kerner

Fristlose Kündigung wegen WhatsApp-Chat kann wirksam sein

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2023

Auf der Arbeit geht es manchmal hoch her. Arbeitsbelastung, Zeitdruck, Kunden und Chefs können an die Nerven gehen und jeder kennt es, wenn im Kreis von Familie, Freunden oder in der Freizeit mit Kollegen das ein oder andere Wort fällt, das man nicht im Mitarbeitergespräch wiederholen würde. Solche Äußerungen sind von der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit umfasst und im oben geschilderten Setting der vertraulichen Sphäre zuzurechnen. In diesem abgeschirmten Rahmen darf der Einzelne seine Emotionen frei auszudrücken, selbst dann, wenn die Grenze sachlicher Kritik überschritten wird und ein Kunde oder ein Kollege beispielsweise als „unfähiger Idiot“ bezeichnet wird. Selbst wenn der Arbeitgeber von diesen Äußerungen unbeabsichtigt Kenntnis erlangt, wären arbeitsrechtliche Konsequenzen deshalb also nicht gerechtfertigt.

Sachliche Kritik muss der Arbeitgeber übrigens auch aushalten, wenn sie ihm gegenüber direkt oder sogar öffentlich geäußert wird (wenn Sie nicht gerade Pressesprecher Ihres Unternehmens sind). Hier greift die Meinungsfreiheit und überwiegt die „Basis-Loyalität“, die Teil jedes Arbeitsverhältnisses ist. Anders ist das, wenn es sich um unsachliche Diffamierungen („Saftladen“, „hat sich nach oben geschlafen“), massive Beleidigungen, fremdenfeindliche oder anderweitig menschenverachtende Äußerungen handelt. Hier sind arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung möglich.

Inzwischen haben moderne Medien dieser Unterscheidung einen Grenzbereich hinzugefügt. Einerseits können Äußerungen nun „halböffentlich“ getätigt werden, also beispielsweise auf einem  eingeschränkt einsehbaren Profil einer sozialen Plattform. Andererseits können Äußerungen nun in geschlossenen Gruppen, also privat, getätigt werden, sind aber anders als das flüchtige gesprochene Wort schriftlich niedergelegt, was den Äußerungen ein anderes Gewicht gibt. Inzwischen gibt es reichlich Urteile hierzu, so dass besser abschätzbar ist, welche Äußerungen in welchem Medium Arbeitgeber noch hinzunehmen haben und welche nicht mehr. Am Ende kommt es aber auf jeden Einzelfall an: Wie stark ist der Bezug der Äußerung zum Arbeitgeber? Wie schwer ist das Vertrauensverhältnis verletzt?

Eine Auswahl bisheriger Gründe für eine fristlose Kündigung bei halböffentlichen Äußerungen (einsehbares Profil, z.B. facebook):

  • Unternehmensschädigende Äußerungen
  • Preisgabe vertraulicher Interna
  • Ehrverletzende Äußerungen jenseits der Meinungsfreiheit („Menschenschinder“, Urteil LAG Hamm vom 10.10.2012, Az. 3 Sa 644/12; „so ein faules Schwein, der noch nie gearbeitet in seinem Scheißleben … diese Dreckssau…“, Urteil Arbeitsgericht Hagen vom 16.05.2012, Az. 3 Ca 2597/11)
  • Hetzerische Äußerungen jenseits der Meinungsfreiheit („Ich hoffe, dass alle verbrennen… die nicht gemeldet sind.“ zu einem Brand in einer Asylunterkunft; Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 22.03.2016, Az. 5 Ca 2806/15)

Zum ersten Mal urteilte das Bundesarbeitsgericht aktuell über eine fristlose Kündigung in einem „Chat-Fall“ zu einer überschaubaren, geschlossene WhatsApp-Gruppe:

Was war passiert? Geschlossene Kollegen-WhatsApp-Gruppe beleidigt und hetzt

Der spätere Kläger war Lagerleiter eines großen Luftfahrtunternehmens und Mitglied eines WhatsApp-Gruppenchats, bestehend aus sieben miteinander befreundeten Kollegen. Der Chat wurde zum Austausch über private Themen genutzt, aber auch für beleidigende, fremdenfeindliche und gewaltverherrlichende Äußerungen über Vorgesetzte und Arbeitskollegen (z.B. „Alle aufknüpfen den Polen zuerst“ und „was wollte die polnische Verräterf***e mit ihrer Scheißmail eigentlich sagen“, wobei es sich hierbei um die „harmloseren“ derjenigen Äußerungen handelt, die in dem Urteil zitiert sind). Der Arbeitgeber erhielt zufällig Kenntnis von dem Inhalt des Chatverlaufs und kündige das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Lagerleiter und zwei weiteren Mitgliedern der Chatgruppe außerordentlich fristlos mit dem Argument, durch die zahlreichen beleidigenden, fremdenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Äußerungen hätten die Arbeitnehmer ihre arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Die Arbeitnehmer erhoben Kündigungsschutzklage.

Das Urteil: Vertraulich – oder doch nicht? Bundesarbeitsgericht stellt Regeln auf.

Sowohl das Arbeitsgericht in erster Instanz wie auch das Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz gaben den Klägern Recht und erklärten die Kündigungen für unwirksam (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Dezember 2022, 15 Sa 284/22). Sind Sie überrascht? Das erklärt sich so: Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass die Äußerungen in der Chatgruppe zwar grundsätzlich geeignet sind, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Aufgrund der Umstände, unter denen diese Äußerungen getätigt wurden, sollten sie jedoch den Schutz der vertraulichen Kommunikation genießen, der schwerer wiege als der Schutz der betroffenen Personen. So sei der Austausch durch die geschlossene Chatgruppe, deren Mitglieder befreundet waren, auf Vertraulichkeit und Privatheit ausgerichtet gewesen.

Das Bundesarbeitsgericht entschied nun, den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurück zu verwiesen und unter der Beachtung folgender Ausführungen neu zu entscheiden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.08.2023, Az. 2 AZR 17/23):

Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Wenn Gegenstand der Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige sind, bedarf es nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben. Das Landesarbeitsgericht soll dem Kläger nun also Gelegenheit geben, darzulegen, weshalb er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums glaubte, eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben zu dürfen.

Fazit: Geschlossene Chat-Gruppe garantiert keine Vertraulichkeit

Die ersten beiden Instanzen hatten es simpel gehalten: In einer geschlossenen, überschaubaren Chatgruppe und einer engen Verbindung der Mitglieder sei ein privater Raum gegeben, in dem man sich auch in menschenverachtenden und beleidigenden Weise „entfalten“ könne. Das Bundesarbeitsgericht wandte nun ein, dass der reine Umstand, dass die Chatgruppe nicht öffentlich sei, noch keinen vertraulichen Raum schafft. Die Art der Nachricht spielt hierbei ebenso eine Rolle wie die Berechtigung der Erwartung, dass die Nachrichten vertraulich behandelt werden. Die Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht durch das Bundesarbeitsgericht wird wohl dazu führen, dass die fristlosen Kündigungen schließlich doch für wirksam erklärt werden. Denn die Gekündigten werden große Mühe haben, darzulegen, dass es in der Gruppe eine berechtigte, also verabredete, Vertraulichkeitserwartung gab. Wäre dies hingegen der Fall gewesen, dann hätten – so deutet es die veröffentliche Pressemitteilung an – auch  Beleidigungen und noch massivere Äußerungen über Dritte ausgetauscht werden dürfen, ohne dass die Arbeitnehmer arbeitsrechtlichen Konsequenzen deshalb hätten fürchten müssen.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Loyalitätspflicht im Arbeitsverhältnis? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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