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Menschenmasse von oben fotografiert
27. Juli 2023 / by Kanzlei Kerner

Fehler bei Massenentlassungsverfahren doch nicht schlimm? EuGH stärkt Arbeitgeber

Urteil des EuGH vom 13.07.2023 (C-134/22)

Der Auslöser für den Entschluss, sich von mehreren Mitarbeitern gleichzeitig zu trennen, ist in der Regel eine schwierige wirtschaftliche Situation. Oft ist es dann auch bereits der Insolvenzverwalter, der die Entlassungen tatsächlich vornimmt. Wie der Name Massenentlassung sagt, handelt es sich um die Entlassung von mehreren, einer „Masse“ von Arbeitnehmern. Genauer gesagt spricht man von einer Massenentlassung, wenn gleichzeitig oder innerhalb von 30 Tagen eine in § 17 Absatz 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) definierte Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wird:

  • in Betrieben mit 20 bis 60 Arbeitnehmern ab dem 6. Arbeitnehmer,
  • in Betrieben unter 500 Arbeitnehmern ab dem dem 26. Arbeitnehmer oder ab 10 % der Belegschaft und
  • in Betrieben ab 500 Arbeitnehmern bei mindestens 30 Arbeitnehmern.

 

Wer ist als Arbeitnehmer in diesem Sinne zu zählen? Das haben wir hier für Sie erklärt.

Dem Arbeitgeber werden bei der Durchführung einer Massenentlassung zusätzliche Pflichten auferlegt, unter anderem die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit. Wie eine Massenentlassungsanzeige aussieht und welche Pflichten außerdem für den Arbeitgeber bestehen, haben wir hier für Sie erklärt.

Fehler bei der Durchführung des Massenentlassungsverfahrens können die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen zur Folge haben. Welche Fehler zur Unwirksamkeit der Kündigung führen und welche Fehler noch hinzunehmen sind, ist gesetzlich nicht geregelt.  Das Bundesarbeitsgericht beurteilt diese Frage danach, ob bei der Abarbeitung der einzelnen Anzeigepflichten nach § 17 KSchG gegen eine „den Arbeitnehmer individuell schützende Pflicht“ verstoßen wurde. In diesem Fall wird die Kündigung für unwirksam erklärt. Soll die Pflicht allerdings lediglich der Agentur für Arbeit nützen, ist die Kündigung nicht bzw. jedenfalls nicht wegen dieses Fehlers unwirksam.

Da es auch europäische Vorgaben zur Durchführung von Massenentlassungen gibt, kann neben dem Bundesarbeitsgericht der Europäische Gerichtshof (EuGH) Urteile zu diesem Thema sprechen. Dies ist aktuell geschehen. Konkret ging es um die unterlassene Zuleitung eines an den Betriebsrat gerichteten Schreibens auch an die Agentur für Arbeit – ein Fehler im Massenentlassungsverfahren. Der Fall gelangte per Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vor den EuGH (Beschl. vom 27.01.2022, Az. 6 AZR 155/21 (A)) und sorgte für Brisanz, da der Schlussantrag des Generalanwalts die gesamte Rechtsprechung im deutschen Massenentlassungsrecht in Frage stellte. Der EuGH urteilte nun erst einmal, dass die besagte Verpflichtung des Arbeitgebers nicht den Zweck hat, den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren (EuGH, Urteil vom 13.07.2023, Az. C-134/22). Das Bundesarbeitsgericht ist für die abschließende Entscheidung zuständig und wird die betroffenen Kündigungen voraussichtlich für wirksam erklären.

Fazit

Der EuGH hat hier zu einer Spezialfrage geurteilt. Zugleich ist der Fall interessant, da er zeigt, dass das Bundesarbeitsgericht den EuGH in der Frage, wann eine Kündigung im Massenentlassungsverfahren unwirksam ist, einbezieht – und dieser im Verhältnis zum Bundesarbeitsgericht eine deutlich arbeitgeberfreundlichere Haltung einnimmt, Fehler im Verfahren also eher als hinzunehmen beurteilt. Möglicherweise steht daher in den nächsten Jahren die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Fall für Fall auf dem Prüfstand. Weitere Vorlageverfahren des Bundesarbeitsgerichts liegen dem EuGH bereits vor (Beschluss vom 11.05.2023, Az. 6 AZR 157/22 (A)).

Haben Sie Fragen zu dem Thema Massenentlassung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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