EuGH: Einvernehmliches Hinausschieben des Renteneintritts ist möglich
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 28.02.2018
Befristung und ihre Spielregeln ist ein Thema, das die Politik, die Juristen und natürlich die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber immerfort umtreibt.
Zwar liegt Deutschland mit einer Befristungsquote von 9% der Arbeitsverträge im europaweiten Mittelfeld, allerdings ist die Struktur altersspezifisch: Bei den 25 bis 34-jährigen sind über 17 % der Verträge befristet, bei den unter 25-jährigen sind die Hälfte der Arbeitnehmer von Befristung betroffen.
Das bedeutet jedoch keineswegs, dass ausschließlich junge Menschen sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Auch am anderen Ende des Erwerbslebens spielt Befristung zunehmend eine Rolle, wie die aktuelle Debatte um die Weiterführung von Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern, die bereits die Regelaltersgrenze erreicht haben, zeigt. Mit diesem Thema hatte sich aktuell auch der Europäische Gerichtshof zu befassen und hat hier ein gutes Stück Rechtssicherheit geschaffen.
Vor der Darstellung dieses neuen Urteils zunächst die erforderlichen einführenden Informationen zum Thema:
Befristungen dienen dem Arbeitgeber dazu, wirtschaftlichen Unwägbarkeiten zu begegnen und flexibler zu bleiben, insbesondere durch die gesetzlich legitimierte Umgehung des Kündigungsschutzes. Aus diesem Grunde treibt das Thema auch hauptsächlich mittlere und größere Arbeitgeber um, für deren Mitarbeiter der allgemeine Kündigungsschutz greift (zu den Voraussetzungen näher hier).
Das Arbeitsverhältnis endet mit Eintritt des Befristungsdatums/-ereignisses, ohne dass eine Kündigung ausgesprochen werden muss. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer sich nicht auf Kündigungsschutz berufen kann. Weder auf den allgemeinen Kündigungsschutz, also dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Grund benötigt, noch auf den besonderen Kündigungsschutz, etwa Kündigungsverbote wegen Schwangerschaft oder Schwerbehinderung.
Soll es innerhalb der Befristungszeit die Möglichkeit geben, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, muss das gesondert vereinbart sein. Eine Formulierung kann etwa lauten: „Während der Dauer der Befristung gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen für beide Seiten.” Ist das nicht geregelt, kann sich keine Vertragspartei vor Ablauf der Befristung vom Vertrag lösen.
Für seinen Vorteil trägt der Arbeitgeber ein Risiko: Ist die Befristung aus formellen oder tatsächlichen Gründen unwirksam, kann auf eine so genannte Entfristungsklage hin ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gerichtlich festgestellt werden (§ 16 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG). Dabei neigt der Gesetzgeber dazu, den – strukturell schwächeren – Arbeitnehmer zu schützen. Entsprechend streng werden die gesetzlichen Vorgaben durch die Gerichte üblicherweise ausgelegt. Fehler sollte sich ein Arbeitgeber in diesem Bereich also nicht erlauben.
Ein Arbeitsvertrag ist befristet geschlossen, wenn
- schon zu Beginn die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmt ist, z.B. „bis zum 31.12.2016“, (Zeitbefristung / kalendermäßige Befristung, § 14 Abs. 2 TzBfG)
oder
- ein gesetzlich zugelassener Befristungszweck vereinbart wurde, z.B. „für die Dauer der Erkrankung der Frau Müller“ (Zweckbefristung, § 14 Abs. 1 TzBfG)
Möglich ist auch
- eine Kombination, die sog. Zeitbefristung mit Sachgrund: „Bis zum 31.12.2016 aufgrund der Dauer der Zuweisung von Drittmitteln“ (Kombination: Zeitbefristung mit Sachgrund)
Eine reine Zeitbefristung ohne gesetzlich zugelassenen Befristungsgrund darf zwei Jahre dauern und innerhalb dieses Zeitfensters maximal drei Mal verlängert werden. Wichtig ist allerdings, dass zuvor nicht bereits ein Arbeitsverhältnis zwischen demselben Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestanden haben darf. Es wäre also nicht möglich, einen Arbeitnehmer nach Beendigung eines Arbeitsvertrags befristet mit einer Zeitbefristung wieder einzustellen.
Seit dem 1. Juli 2014 sieht § 41 Abs. 3 SGB VI daher die Möglichkeit vor, für den Fall eines eigentlich aufgrund des Erreichens einer Altersgrenze endenden Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung noch während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben. Es soll also gewissermaßen erlaubt werden, ein befristetes Arbeitsverhältnis an ein bestehendes anzuschließen.
Hierdurch sollen diese Arbeitsverhältnisse im beiderseitigen Einvernehmen fortgesetzt werden können, so dass ältere Arbeitnehmer etwa noch ihre Nachfolger einarbeiten oder ihre Erfahrung im Betrieb weitergeben können. Es gibt im Gesetz keine Begrenzungen hinsichtlich der Dauer oder der Anzahl der Verlängerungen.
Der Europäische Gerichtshof hatte aktuell zu entscheiden, ob die Möglichkeit der Befristung nach § 41 Abs. 3 SGB VI eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt und damit unwirksam wäre.
Ein Bremer Lehrer war sich mit dem Land Bremen über eine Verlängerung seines eigentlich aufgrund Renteneintritts enden Arbeitsverhältnisses einig geworden. Die Verlängerung, gestützt auf § 41 Abs. 3 SGB VI, sollte bis zum Ende des Schuljahres andauern. Nachdem auch dieser Zeitraum verstrichen war, klagte der Lehrer auf Feststellung, dass die Befristung unwirksam gewesen sei und deshalb ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliege (§ 16 TzBfG).
Zur Begründung argumentierte der Kläger, die Befristung sei nicht mit dem europäischen Recht vereinbar; die Vorschrift sei altersdiskriminierend und daher unwirksam. Es verhalte sich nämlich so, dass diese Möglichkeit der mehrmals aufeinanderfolgenden Befristung ohne nähere Begrenzung nur gegenüber älteren Arbeitnehmern gestattet sei, da dies bei Erreichen der Regelaltersrente zwingend der Fall sei. Gegenüber jüngeren Arbeitnehmern sei eine Befristung in diesem Umfang nicht möglich, lautet folglich das Argument.
Das Landesarbeitsgericht Bremen gestand dem Kläger zu, dass die Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht zweifelhaft sei und legte den Fall daher dem Europäischen Gerichtshof mit der Bitte um Prüfung vor (LAG Bremen, Beschluss vom 23.11.2016 – 3 Sa 78/16).
Der Europäische Gerichtshof entschied nun, dass die Norm nicht per se ältere Arbeitnehmer benachteiligt. Auch mehrfache, hierauf gestützte Befristungen seien daher möglich und grundsätzlich auch wirksam.
Zur Begründung führte der Europäische Gerichtshof aus, dass es sich dem Grunde nach um eine einvernehmliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, also eine Verschiebung des Renteneintritts, handele. Er zweifelte daher bereits an, ob man diese Konstellation als eine Abfolge befristeter Arbeitsverhältnisse auffassen müsse. Es sei aber jedenfalls nicht davon auszugehen, dass es bei einem potenziellen Bezug einer abschlagsfreien Rente systematisch zu einer Prekarisierung der Lage der Arbeitnehmer durch das Vorgehen kommt. Das Unionsrecht stehe deshalb einer Regelung wie § 41 Abs. 3 SGB VI nicht entgegen und zwar auch dann nicht, wenn die Norm mehrfach genutzt werde (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 28.02.2018, Az. 46/17).
Es ist begrüßenswert, dass der Europäische Gerichtshof nun Klarheit für die Anwendung der Herausschiebung des Renteneintritts geschaffen hat, da § 41 Abs. 3 SGB VI seit seiner Einführung umstritten war und man sich daher kaum trauen konnte, von ihr Gebrauch zu machen. Leider hat sich der Europäische Gerichtshof nicht klar positioniert, ob es sich nun um echte Befristung handelt. Im entschiedenen Fall kam es darauf nicht an, aber in einer anderen Konstellation könnte es durchaus einmal entscheidend sein, ob denn dann auch die Formerfordernisse des Befristungsrechts gewahrt sind (Schriftform (!), § 14 Abs. 4 TzBfG). Diese Beurteilung obläge sodann dem Bundesarbeitsgericht.
Arbeitgeber sollten daher bei der Anwendung des § 41 Abs. 3 SGB VI die Formvorgaben des Befristungsrechts vorsorglich einhalten.
Arbeitnehmer, deren Regelaltersgrenze in Sichtweite ist, können nun bei Wunsch selbstbewusst auf ihren Arbeitgeber zutreten und einen „Verlängerungsvertrag“ nach § 41 Abs. 3 SGB VI vorschlagen und hierbei auf das neue Urteil verweisen, welches dem Arbeitgeber neue Rechtssicherheit vermittelt.
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