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29. Mai 2019 / by kanzleiKerner

Die neue Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019

„Wer hält sich schon ans Arbeitszeitgesetz?“ haben wir provokant in diesem Blogbeitrag gefragt. Anlass war der Strukturwandel in der Arbeitswelt mit seinem Einfluss auf Lage und manchmal auch Länge der Arbeitszeit. Wohin die Reise „work 2.0“ geht, beeinflusst der Europäische Gerichtshof bekanntlich maßgeblich und hat nun ein wegweisendes Urteil gesprochen, welches jede/r Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in kennen sollte.

Was war passiert? Gewerkschaft verlangt Arbeitszeiterfassung

Die Deutsche Bank war im Streit mit der spanischen Gewerkschaft CCOO. Die Gewerkschaft verlangte von der Deutschen Bank ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit mit dem Argument, dass nur so die Einhaltung der Arbeitszeit und Überstunden überprüft werden könnten. Die Bank lehnte dieses Ansinnen mit dem Argument ab, die spanische (und deutsche) Rechtslage verlangten ein solches Vorgehen nicht.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Effektive Überwachung erforderlich

Der Europäische Gerichtshof gab der Gewerkschaft Recht. Zum Schutz der Arbeitnehmer sei ein System zu schaffen, mit welchem die täglich geleistete Arbeitszeit effektiv erfasst werden könne. Weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden noch die Zahl der Überstunden könne verlässlich ermittelt werden, wenn kein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit vorhanden sei. Es müsse gewährleistet sein, dass sowohl die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten als auch die vorgeschriebenen Ruhepausen eingehalten werden. Dabei könne der nationale Gesetzgeber die Modalitäten auf etwaige Besonderheiten der jeweiligen Branche und Betriebsgröße anpassen (Urteil des EuGH vom 14.05.2019, Az. C 55/18).

Für wen gilt das Urteil des EuGH?

Kurz gesagt und zumindest vorläufig für alle Arbeitgeber in der EU. Zwar betrifft das Urteil direkt nur den Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bank und der spanischen Gewerkschaft CCOO. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil aber die Regelungen der so genannten Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG ausgelegt. Diese Richtlinie wurde in Deutschland unter anderem mit dem deutschen Arbeitszeitgesetz umgesetzt. Das europäische Recht steht im Rang höher als das deutsche Gesetz, daher müssen die deutschen Gesetze – wenn sie mit der europäischen Richtlinie nicht bereits genau übereinstimmen – „richtlinienfreundlich“ ausgelegt werden. Und wie die Richtlinie wiederum auszulegen ist, bestimmt für die gesamte EU der Europäische Gerichtshof (EuGH), damit es nicht zu einer Rechtszersplitterung kommt. Es muss also damit gerechnet werden, dass die deutschen Richter die von dem EuGH aus der Richtlinie interpretierten Forderungen an die Arbeitgeber übernehmen. Allerdings kennt das deutsche Arbeitszeitgesetz eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit bislang nicht. An welcher Stelle die Arbeitsgerichte bei der Auslegung also ansetzen werden oder ob zuerst der Gesetzgeber tätig werden muss, ist noch unklar. Arbeitgeber tun jedoch gut daran, das von dem EuGH verlangte „System zur effektiven Erfassung der Arbeitszeit“ zu installieren, falls nicht schon geschehen.

Zu der Betriebsgröße hat sich der EuGH nicht näher geäußert. Das ist folgerichtig, denn der EuGH hat nur den konkreten Rechtsstreit zu entscheiden und in diesem Zuge das europäische Recht auszulegen. Die Folgen aus dieser Auslegung (hier: „Es muss ein System zur Arbeitszeiterfassung geben“) aufzuzeigen, ist nicht Aufgabe des EuGH. In diesem Fall ist es – da es an einer deutschen Regelung komplett fehlt – Aufgabe des Gesetzgebers, das Urteil in das deutsche Recht umzusetzen. Bis dahin obliegt es den Arbeitsgerichten, das deutsche Recht „richtlinienfreundlich“ auszulegen; dass diese Auslegung und auch das spätere Gesetz Unterschiede in der Betriebsgröße macht ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher.

Wie muss das Urteil praktisch umgesetzt werden?

Das Urteil soll der Einhaltung der Arbeitszeitgesetze dienen. Hier können Sie sich noch einmal fit machen im deutschen Arbeitszeitgesetz. Zu diesem Zweck verlangt der EuGH wie oben dargestellt, ein System zu schaffen, mit welchem die täglich geleistete Arbeitszeit effektiv erfasst wird. Die vor allem in größeren Betrieben gelebte elektronische Zeiterfassung (das frühere „Stempeln“) gehört hierzu. Ob es ausreichend ist, den Arbeitnehmern aufzugeben, ihre Arbeitszeiten selbst aufzuschreiben, ist bislang unklar. Einerseits erscheint dies für kleine Betriebe, für die die Einrichtung eines digitalen Zeiterfassungssystems überdimensioniert ist, die einzig praktisch handhabbare Umsetzung des Urteils. Andererseits ist diese Art der Zeiterfassung kein gerichtsfester Nachweis der Arbeitszeit und daher gegebenenfalls nicht „effektiv“ im Sinne des EuGH-Urteils. Ausreichend dürfte es hingegen sein, wenn der Arbeitgeber diese händisch erfassten Arbeitszeiten seinerseits bestätigt, sie also z.B. wöchentlich „abzeichnet“. Der deutsche Gesetzgeber ist aufgerufen, zügig die konkreten Vorgaben an die Arbeitgeber zu formulieren.

Was sind die Vorteile? Was die Nachteile?

Ein Vorteil nach der Umsetzung des Urteils wird für viele Arbeitnehmer die erhebliche Erleichterung beim Nachweis von Überstunden sein. Aber Achtung: Aufgezeichnete Stunden alleine machen noch keine Überstunden! (hier erfahren Sie mehr zum Thema Überstunden). Ein Nachteil aus Sicht der Arbeitgeber – vielleicht auch aus Sicht mancher Arbeitnehmer – wird neben dem erhöhten Verwaltungsaufwand der Umstand sein, dass Vertrauensarbeitszeit mit den Vorgaben des EuGH zumindest vorläufig unmöglich wird. Flexible und gleitende Arbeitszeiten lassen sich hingegen erfassen und sind damit weiterhin möglich. Hier und beim home office fraglich ist dann aber, ob das Erfassungssystem – insbesondere im home office muss der Arbeitnehmer die Arbeitszeit händisch erfassen – den Anforderungen des EuGH auch genügen wird. Ferner werden insbesondere junge Unternehmen, die darauf angewiesen sind, dass ihre Arbeitnehmer/innen sich in der Anfangsphase enorm einbringen und hierbei mitunter an die Grenze der Höchstarbeitszeiten stoßen, Schwierigkeiten mit der Umsetzung haben. Ob dies ein Beweis dafür ist, dass der Arbeitnehmerschutz durch das Urteil verbessert wird oder ob es den Arbeitnehmern auch aus deren Sicht dem 21. Jahrhundert unangemessene Fesseln anlegt, darüber darf man unterschiedlicher Ansicht sein.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Arbeitszeiterfassung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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