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9. Januar 2024 / by Kanzlei Kerner

Arbeit auf Abruf: Gesetzlich vorgesehene 20 Wochenstunden gelten auch bei schwankendem Abruf

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2023, Aktenzeichen 5 AZR 22/23

Der 8-Stunden-Arbeitstag ist eine Errungenschaft der Gewerkschaften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die sich auf diese Weise ergebende 40-stündige Arbeitszeit an fünf Tagen der Woche stellt seitdem die Norm dar. Viele Arbeitgeber benötigen allerdings je nach Branche und Arbeitsaufgabe flexiblere Arbeitszeitmodelle. Sowohl bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen als auch bei ihrer Prüfung begegnet uns daher immer wieder die Frage, was in puncto Arbeitszeit eigentlich geregelt werden darf und was nicht.

Feste Arbeitszeit – Darf der Arbeitgeber sie vorgeben?

Meistens ja. Denn im Rahmen des Arbeitsvertrags, der Arbeitsschutzgesetze sowie dem so genannten billigen Ermessen kann der Arbeitgeber anordnen, wann, wie und wo die Arbeit zu leisten ist (Direktionsrecht, § 611a BGB). Zum Arbeitsvertrag gehört auch die Arbeitsdauer, also die Anzahl der zu leistenden Arbeitsstunden pro bestimmter Zeitspanne, in der Regel pro Woche. Eine solche Regelung kann lauten:

Der Arbeitnehmer wird von montags bis freitags je 8 Stunden zuzüglich gesetzlicher Pause von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr beschäftigt.

In diesem Fall schuldet der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in genau dieser Zeit und der Arbeitgeber die Bezahlung genau dieser Arbeitsstunden, nur ausnahmsweise kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen. Möchte der Arbeitgeber einseitig nachträglich in die Lage der Arbeitszeit eingreifen, unterliegt er engen Grenzen – die Anweisung zum Tauschen einer einzelnen Schicht wird noch vom Direktionsrecht gedeckt sein, die dauerhafte Zuweisung anderer Wochentage nicht. Die meisten Arbeitgeber halten sich daher etwas mehr Flexibilität offen und formulieren so:

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 8 Wochenstunden; Beginn und Ende der Arbeitszeit richten sich nach der betrieblichen Einteilung.“  oder „Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden zuzüglich der gesetzlichen Pausen und wird in der Regel an 5 Tagen in der Woche erbracht.

Wird überhaupt keine Lage der Arbeitszeit vereinbart, gilt nach der bisherigen Rechtsprechung die übliche Arbeitszeit im Betrieb.

Hinweise zu dem Thema „arbeitsfreie Zeiten“ (Ruhezeit, Sonn- und Feiertagsarbeit und maximal aufeinanderfolgende Arbeitstage) finden Sie unter diesem Link.

Flexible Arbeitszeit I – Gleitzeit

Gleitzeit ist eine Kombination aus fester und flexibler Arbeitszeit: Einerseits wird ein Zeitraum bestimmt, in dem die Arbeitsleistung erbracht werden muss (Gleitzeitrahmen, z.B. von 6 Uhr bis 20 Uhr), andererseits kann der Arbeitnehmer innerhalb dieses Rahmens über die Lage der Arbeitszeit mitbestimmen. Das Maß an Mitbestimmung kann dabei unterschiedlich ausfallen. So kann dem Arbeitnehmer vorgegeben sein, dass ein Teil der Arbeitsleistung während einer von dem Arbeitgeber festgelegten Kernarbeitszeit stattfinden muss (z.B. 9 Uhr bis 12 Uhr). Gibt es keine Kernzeit, gibt der Arbeitgeber in der Regel Zeiten vor, in denen bestimmte Arbeitsbereiche erreichbar und arbeitsfähig sein müssen, die Koordination des Arbeitsbereichs erfolgt durch diesen intern (sog. Funktionszeit oder zeitautonome Arbeitsgruppe). Selbstverständlich sind stets die gesetzlich vorgesehenen Pausen einzuhalten; Hinweise zum Thema Arbeitspausen finden Sie unter diesem Link.

In beiden Fällen wird durch den Arbeitgeber oft festgelegt, dass sowohl Minusstunden als auch Plusstunden möglich sind, aber ein bestimmtes Maß nicht überschreiten dürfen (z.B. 10 Minusstunden und 40 Plusstunden). Es obliegt der Verantwortung des Arbeitnehmers, Plusstunden zeitnah abzubauen bzw. Minusstunden nachzuarbeiten. Hierin unterscheidet sich dieses Arbeitszeitmodell von dem Arbeitszeitkonto, in dem Plus- oder Minusstunden auch über gewisse Zeiträume hinweg einkalkuliert sind.

Flexible Arbeitszeit II – Arbeitszeitkonto

Während feste Arbeitszeiten in manchen Arbeitsbereichen ein Muss sind – denken Sie nur an einen Busfahrer oder einen Kassierer ohne definierte Arbeitszeit – ist unter anderem bei projektbezogener Tätigkeit gerade Flexibilität zum Abfangen von Arbeitsspitzen von Vorteil. Solche Tätigkeiten können Anwendungsbereiche von Arbeitszeitkonten sein, mit denen Plus- und Minusstunden über einen bestimmten Zeitraum saldiert werden. Am Ende des vereinbarten Zeitraums ergibt sich entweder ein ausgeglichenes Konto, ein Zeitguthaben oder eine Zeitschuld. Da eine Zeitschuld mit dem Gehalt verrechnet werden kann, muss ein Arbeitszeitkonto im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden, hierbei sollte unbedingt auch der Umfang an mögliche Plus- und Minusstunden, deren Definition und die Verrechnung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geregelt sein. Ist das Arbeitszeitkonto auf einen langen Zeitraum angelegt, kann der Arbeitnehmer je nach Vereinbarung in großem Umfang Zeitguthaben ansammeln und nutzen (z.B. für einen Vorruhestand oder eine berufliche Auszeit), diese Konten nennt man Langzeitkonto bzw. Zeitwertkonto.

Flexible Arbeitszeit III – Abrufarbeit

Bei entsprechender Vereinbarung im Arbeitsvertrag und unter Einhaltung gewisser Regeln kann der Arbeitgeber Arbeitszeit flexibel abrufen (§ 12 Abs. 1 Satz 1, 2 TzBfG). Diese Regeln sind im Wesentlichen die Folgenden:

  • Die Ankündigungspflicht für den Abruf der Arbeitszeit beträgt vier Tage im Voraus (§ 12 Abs. 2 TzBfG), anderenfalls ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit verpflichtet,
  • enthält der Arbeitsvertrag oder eine anderen Vereinbarung keine Mindestdauer pro Einsatz, muss diese mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden pro Einsatz betragen (§ 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG) und
  • ist eine wöchentliche Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen (§ 12 Abs. 2 S. 1 TzBfG). Ist eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen (§ 12 Abs. 2 S. 2 TzBfG).

„Die Anzahl der Arbeitsstunden richtet sich nach den betrieblichen Bedürfnissen“ heißt es in manchem Arbeitsvertrag – eine solche Regelung ist allerdings arbeitsrechtlich unzulässig, denn die  Menge der zu leistenden Arbeitsleistung muss Teil des Arbeitsvertrags sein. Der Gesetzgeber korrigiert daher diese Lücke des Arbeitsvertrags und legt für den Fall, dass überhaupt keine Regelung über die zu leistenden Arbeitsstunden besteht, fest, dass 20 Stunden wöchentliche Arbeitszeit vereinbart sind (§ 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG). Hat der Arbeitgeber weniger Zeit abgerufen, muss der Arbeitgeber gleichwohl diese 20 Wochenstunden vergüten. Hat der Arbeitgeber mehr Arbeitszeit abgerufen, muss er die gesamte abgerufene Arbeitszeit vergüten.

Über das Thema Abrufarbeit ohne vereinbarte Arbeitszeit hat jüngst das Bundesarbeitsgericht entschieden und hierbei die Abgrenzung und Definition der fiktiven vereinbarten Arbeitszeit geschärft.

Der Fall: Abrufarbeit ohne Arbeitszeitbestimmung und verminderte Abrufe

Die spätere Klägerin war seit dem Jahr 2009 bei einem Druckerei-Unternehmen als „Abrufkraft“ beschäftigt. Eine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit enthält der Arbeitsvertrag nicht, die Arbeitnehmerin wurde nach Bedarf des Arbeitgebers zur Arbeit eingeteilt. Nachdem sich der Abruf der Arbeitskraft ab dem Jahr 2020 im Vergleich zu der in den Vorjahren abgerufenen Arbeitskraft deutlich verminderte, berief sich die Arbeitnehmerin darauf, die durchschnittlich in den Jahren 2017 bis 2019 abgerufene Arbeitszeit – knappe 24 Wochenstunden – sei nunmehr geschuldet und damit auch zu vergüten. Sie klagte auf die Differenz des Gehalts zu der weniger abgerufenen und geleisteten Arbeitszeit und auf Feststellung, dass künftig die Arbeitszeit von knapp 24 Wochenstunden für die Arbeitnehmerin gelte.

Das Urteil: Gehaltsnachzahlung ja, Vereinbarung für die Zukunft nein

Das Bundesarbeitsgericht gab der Klage nur insofern statt, als die Differenz des Gehalts zu den gesetzlich vorgesehenen 20 Wochenstunden nachzuzahlen ist (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2023, Aktenzeichen 5 AZR 22/23). Zur Begründung führte das Gericht  aus, dass die oben erläuterte fingierte Arbeitsdauer von 20 Wochenstunden grundsätzlich auch dann gelte, wenn das Abrufverhalten des Arbeitgebers sich ändere, jedenfalls wenn es sich um einen lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum handele. Eine stillschweigende Änderung der Arbeitszeit könne allenfalls angenommen werden, wenn die fingierte Arbeitszeit keine sachgerechte Regelung darstelle und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme sah das Gericht jedoch keine Anhaltspunkte.

Fazit

Schon im Jahr 2011 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass es im Fall einer vereinbarten (und nicht lediglich fingierten) Mindestarbeitszeit auch bei einer längerfristige Änderung der tatsächlichen Arbeitszeiten in der Regel zu keiner stillschweigenden Änderung dieser Vereinbarung kommt (BAG, Urteil vom 21.06.2011, Az. 9 AZR 203/10). Das aktuelle Urteil geht sogar noch einen Schritt weiter: Selbst wenn die Arbeitszeit gar nicht von den Parteien festgelegt wurde, sondern lediglich die gesetzlich fingierte Arbeitszeit von 20 Wochenstunden gilt, verändert sich diese nicht unbedingt durch den tatsächlichen Abruf der Arbeitsleistung und hierbei auftretende Schwankungen. Wohlgemerkt: Tatsächlich abgerufene Arbeit ist vollständig zu vergüten, lediglich besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf dauerhafte Beschäftigung in dem neuen und über den gesetzlich vorgesehenen 20 Wochenstunden liegenden Arbeitsvolumen. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Auf den zweiten Blick ist das aktuelle Urteil allerdings verständlich, denn mit Blick auf ein gesamtes Erwerbsleben einen Zeitraum auszumachen, der als Referenz für eine  vermeintlich stillschweigend vereinbarte Veränderung der Arbeitszeit dient, wäre schwierig – zumal in Konstellationen der Abrufarbeit der Arbeitnehmer hier nicht viel mitbestimmen kann. Letztlich hat das Bundesarbeitsgericht also statt dessen die gesetzliche Regelung konsequent bestätigt. Zur Vermeidung solcher Unklarheiten und unerwünschter Rechtsstreitigkeiten ist allen Parteien des Arbeitsverhältnisses, insbesondere aber dem Arbeitgeber, anzuraten, im Fall von Abrufarbeit klare und mit dem Gesetz übereinstimmende Regelungen zu formulieren.

Haben Sie Fragen zu den Themen Arbeitszeitmodelle und Abrufarbeit? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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