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8. August 2025 / by Kanzlei Kerner

BAG zum Betriebsübergang: Zuordnung ist keine Formsache

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Januar 2025 (Aktenzeichen: 2 AZR 98/23)

Der Betriebsübergang gehört zu den besonders praxisrelevanten, aber auch komplexen Bereichen des Arbeitsrechts. § 613a BGB regelt, was passiert, wenn ein Unternehmen, ein Betrieb oder ein Betriebsteil von einem anderen Rechtsträger übernommen wird, sei es durch Kauf, Ausgliederung, Verschmelzung oder andere Formen der Rechtsnachfolge. Das Gesetz schützt in solchen Fällen die Rechte der Arbeitnehmer: Geht der Betrieb oder ein Betriebsteil auf einen neuen Inhaber über, so treten die dort beschäftigten Arbeitnehmer grundsätzlich mit allen Rechten und Pflichten in die Arbeitsverhältnisse mit dem neuen Arbeitgeber ein. Das geschieht automatisch, kraft Gesetzes. Kündigungen „wegen des Übergangs“ sind unzulässig (§ 613a Abs. 4 BGB). Allerdings bleibt es nicht dabei: Arbeitnehmer haben das Recht, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie vom alten oder vom neuen Arbeitgeber rechtzeitig, vollständig und korrekt über den bevorstehenden Betriebsübergang unterrichtet wurden. Erst dann beginnt die gesetzliche Frist von einem Monat, innerhalb derer der Widerspruch erklärt werden kann (§ 613a Abs. 6 BGB).

Doch wie so oft in der Praxis: Die Theorie klingt einfacher, als sie in komplexen Konzernstrukturen ist. Wann liegt überhaupt ein „Betriebsteil“ im Sinne des Gesetzes vor? Wie wird ein Arbeitnehmer einem übergehenden Bereich korrekt zugeordnet? Und was passiert, wenn die Unterrichtung fehlerhaft oder unvollständig ist? Mit diesen Fragen hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 30. Januar 2025 beschäftigt und liefert hierbei wichtige neue Leitlinien für die Praxis (auch wenn der eigentliche Fall gar nicht entschieden wurde).

Was war passiert?

Ein bei einem namhaften Automobilhersteller beschäftigter Ingenieur widersprach im Jahr 2020 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, obwohl der Betriebsübergang bereits im Sommer 2019 vollzogen wurde. Hintergrund war die Übertragung eines betrieblichen Teilbereichs samt Testanlagen, Gebäuden, IT-Strukturen und Personalführung auf eine Konzerntochter. Die übertragene Einheit war wirtschaftlich eigenständig organisiert, hatte eigene Leitungsstrukturen und war räumlich vom übrigen Betrieb getrennt. Kurz: Vieles sprach für einen klassischen Betriebsübergang nach § 613a BGB. Doch der Teufel steckt, wie so oft im Arbeitsrecht, im Detail. Hier genauer gesagt in der Frage, ob der Kläger tatsächlich dieser Einheit zugeordnet war und ob die Widerspruchsfrist überhaupt zu laufen begonnen hatte. Der Arbeitgeber hingegen war der Ansicht, der Widerspruch sei ohnehin verspätet gewesen.

Die Entscheidung des BAG: Betriebsübergang ja, aber nur mit klarer Zuordnung

Das BAG urteilte, dass auch wenn eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des § 613a BGB übergeht, das allein nicht ausreicht, um ein Arbeitsverhältnis übergehen zu lassen. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer zuvor dieser Einheit konkret zugeordnet wurde, etwa durch eine Versetzung oder anderweitige arbeitsorganisatorische Maßnahme. In dem entschiedenen Fall ließ sich das nicht klar feststellen, denn der Kläger war über Jahre in unterschiedlichen Bereichen tätig gewesen und der Umstand, ob und wann er der übergegangenen Einheit tatsächlich zugeordnet wurde, war nicht ausreichend geklärt. Das Landesarbeitsgericht Hessen hatte diese Aufklärung versäumt und muss nun nachbessern.

Und der Widerspruch – zu spät oder noch wirksam?

Normalerweise gilt: Wer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen will, muss das innerhalb eines Monats nach ordnungsgemäßer Unterrichtung tun (§ 613a Abs. 6 BGB). Der Kläger widersprach erst über ein Jahr später. Also scheinbar zu spät; aber nur, wenn die Unterrichtung überhaupt korrekt war. Denn nur eine vollständige, verständliche und präzise Unterrichtung setzt die Frist in Gang. Das Bundesarbeitsgericht äußerte Zweifel daran, ob diese Voraussetzungen erfüllt waren. Ein weiterer Punkt, den das Landesarbeitsgericht Hessen noch einmal prüfen muss.

Was bedeutet das für die Praxis?

Für Arbeitgeber: Sorgfalt bei Zuordnung und Unterrichtung

Ein Betriebs(teil)übergang ist kein Selbstläufer: Unternehmen müssen nicht nur eine wirtschaftliche Einheit übertragen, sondern auch dokumentieren, welche Beschäftigten dieser Einheit zugeordnet waren. Versetzungen sollten klar erfolgen – und nicht nur implizit oder organisatorisch vermutet werden. Gleichzeitig muss die Unterrichtung nach § 613a BGB vollständig, individuell und nachvollziehbar erfolgen, sonst droht die unangenehme Überraschung, dass Arbeitnehmer sich noch Monate später auf ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis mit dem alten Arbeitgeber berufen.

Für Arbeitnehmer: Wachsam bleiben und rechtzeitig handeln

Beschäftigte, die sich gegen einen Betriebsübergang wehren möchten, sollten die Unterrichtung genau prüfen. Bei Unsicherheiten gilt: Frühzeitig rechtlichen Rat einholen. Gleichzeitig zeigt der Fall aber auch, dass selbst ein später Widerspruch noch durchgreifen kann, wenn die gesetzliche Belehrung unzureichend war.

Fazit: Klarheit vor Geschwindigkeit

Das Urteil des BAG ist ein deutliches Signal: Betriebsübergänge müssen strukturiert, rechtssicher und nachvollziehbar ablaufen. Weder dürfen Arbeitnehmer einfach „mitübertragen“ werden, nur weil sie formal in der Nähe des übergehenden Bereichs arbeiten noch kann man sie mit lückenhaften Informationen abspeisen. Unternehmen sollten daher nicht nur an die Technik und Infrastruktur denken, sondern auch an das arbeitsrechtliche Fundament.

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