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2. September 2022 / by Kanzlei Kerner

Widerruf Home-Office

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2021 (7 ABR 34/20)

Ein langfristig angelegtes Arbeitsverhältnis prägt das Leben weitreichend; häufig wird der Wohnort und damit auch die grundlegende Lebensplanung rund um die Arbeitsstelle angesiedelt; nicht selten wird gar eine Immobilie in der Nähe des Arbeitsortes erworben. Auf der anderen Seite sind Arbeitgeber in einer immer dynamischer werdenden Wirtschaftswelt gewillt oder gezwungen, Arbeitsorte zu verlegen. Die meisten Arbeitsverträge sehen deshalb vor – nicht immer ist dies Arbeitnehmern bewusst! – dass der örtliche Einsatz weitreichend verändert werden kann.

Im Arbeitsvertrag kann z.B. eine Formulierung wie folgt verwendet sein:

Der Arbeitnehmer wird als Projektmanager eingestellt. Arbeitsort ist Hannover. Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zuzuweisen.

Soweit der Arbeitgeber die Grenzen des sog. billigen Ermessens wahrt, gestattet das Gesetz solche Vorbehalte auch. Genau genommen kann der Arbeitgeber selbst ohne vertraglichen Vorbehalt nach billigem Ermessen den Arbeitsort näher bestimmen und ändern (§ 106 GewO). Insbesondere (aber nicht nur dann) wenn der Betriebssitz verlegt wird, ist es dem Arbeitgeber in der Regel gestattet, den künftigen Betriebssitz als Arbeitsort vorzugeben.

Eine Lösung kann in solchen Fällen die Vereinbarung einer Tätigkeit vom Wohnort aus bieten, also die Einrichtung eines Homeoffice. Dieses stellt gewissermaßen den Sonderfall einer Verlegung des Arbeitsortes dar. Eine besondere Variante, die vor allem seit der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen hat, ist einerseits die zwangsweise Versetzung ins Homeoffice (näher dazu hier), aber mit zunehmender Pandemiedauer auch die Zurückversetzung vom Homeoffice in den Betrieb.

Wer bestimmt über das Ende des Homeoffice?

Sofern Arbeitnehmer im Homeoffice tätig sind, kann der Arbeitgeber aus unterschiedlichsten Gründen ein Interesse daran haben, dass die Tätigkeit künftig ganz oder teilweise wieder im Betrieb des Arbeitgebers verrichtet wird. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Beendigung der Homeoffice-Tätigkeit möglich ist, lässt sich pauschal nicht sagen. Ohne vertragliche Regelung wird der Arbeitnehmer in der Regel jedenfalls keine dauerhafte Beibehaltung der häuslichen Arbeitsstätte beanspruchen können. Sofern die Tätigkeit im Homeoffice auf vertraglicher Grundlage eingeräumt wurde, kommt es für die Beendigung wiederum auf die konkrete Vertragsgestaltung an. Denkbar sind hier zur Beendigung insbesondere eine einvernehmliche Vertragsanpassung, ein Widerruf oder eine Änderungskündigung.

Was gilt in Betrieben mit Betriebsrat?

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) legt dem Arbeitgeber zusätzliche Pflichten auf. Denn bei der Verlegung des Arbeitsorts ins Homeoffice und wieder zurück handelt es sich jeweils um eine Versetzung. Eine Versetzung im Sinne des BetrVG ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist (§ 95 Abs.3 Satz 1 BetrVG). Eine Versetzung zurück ins Büro, was mit höheren Fahrtzeiten und / oder einem Umzug verbunden ist, erfüllt diese Voraussetzungen. Verfügt das Unternehmen über mehr als 20 Arbeitnehmer ist daher in solchen Fällen ein bestehender Betriebsrat vorab zu informieren und um seine Zustimmung zu bitten (§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Der Betriebsrat kann die Zustimmung allerdings nur aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründen verweigern, insbesondere wegen eines Verstoßes gegen Regelungen eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung bzw. gegen eine gerichtliche Entscheidung oder wenn der Arbeitnehmer durch die Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass hierfür  betriebliche oder persönliche Gründe vorliegen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen (§ 99 Abs. 4 BetrVG).

Einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden.

Was war passiert? Arbeitgeber widerruft Homeoffice nach über 10 Jahren

Bei einem Tochterunternehmen der Deutschen Telekom AG verfügte die Arbeitnehmerin seit dem Jahr 2007 über einen häuslichen Telearbeitsplatz, von wo aus sie ganz überwiegend ihre Arbeitstätigkeit erbrachte. In der hierzu geschlossenen Regelung hieß es:

„Die Vereinbarung kann von beiden Seiten mit einer Frist von 3 Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Der Arbeitgeber hat außerdem das Recht, die Vereinbarung in besonders begründeten Einzelfällen fristlos zu widerrufen. Der Widerruf bedarf der Schriftform.“

Seit März 2019 wurden bei der Arbeitgeberin aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsleitung sämtliche bestehenden Telearbeitsplätze dahin überprüft, ob weiterhin Gründe für die Beibehaltung eines Telearbeitsplatzes bestehen. Hintergrund dieser Entscheidung war insbesondere die Umsetzung des zukünftigen Arbeitsmodells „Desk Sharing“.

Im April 2019 leitete die Arbeitgeberin dem Betriebsrat einen Antrag auf Zustimmung zum Widerruf der Vereinbarung über die Einrichtung eines alternierenden Telearbeitsplatzes zum 1. Juli 2019 zu. Dem Antrag war ein Word-Dokument beigefügt, in dem es heißt:

„Widerruf des Telearbeitsplatzes zum 01.07.2019, weil der damalige Grund für die Einrichtung dieses alternierenden Telearbeitsplatzes, die Betreuung eines Kindes von 12 Jahren zwischenzeitlich weggefallen ist. Zudem macht es die Veränderung in den Aufgaben und die (…) entstandene Mehrarbeit und Aufgabenstellung notwendig, dass hier engere und kurzfristige Abstimmungen im Team erfolgen müssen und eine Anwesenheit vor Ort erfordern.“

Der Betriebsrat stimmte dem Widerruf der Telearbeit nicht zu, da Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 BetrVG bestünden. Zudem halte die Maßnahme die Vorgaben des § 106 Satz 1 GewO nicht ein. Die Arbeitgeberin könne den Widerruf der Telearbeit nur nach billigem Ermessen vornehmen. Dem genüge allein der Wegfall der Kinderbetreuungsnotwendigkeit nicht. Eine betriebliche Notwendigkeit für die Belastung durch Wegezeiten und Fahrtkosten werde nicht angegeben. Die Erbringung der Arbeit sei nach wie vor vom alternierenden Telearbeitsplatz möglich.

Die Arbeitgeberin hat im Rahmen des von ihr eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahrens unter anderem die Auffassung vertreten, es gelte nunmehr das Leitbild, wonach Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung grundsätzlich im Betrieb erbringen sollten.

Das Urteil: Unternehmerische Gründen können Versetzung begründen

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Beendigung der Telearbeit eine beteiligungspflichtige Versetzung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG darstellt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2021 – 7 ABR 34/20). Ferner hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Frage, ob der Arbeitgeber die Abwägung der Interessen sachgerecht vorgenommen hat, nicht unter die Prüfungskompetenz des Betriebsrats fällt. In der Sache hat das Bundesarbeitsgericht die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Zur Begründung führte das Gericht an, dass die Versetzung der Arbeitnehmerin auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhte, die nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern als vorgegebener betrieblicher Grund hinzunehmen sei. Die unternehmerische Entscheidung ging hier auch darüber hinaus, lediglich diese spezielle Arbeitnehmerin zu versetzen, sondern es handelte sich um eine plausibel begründete arbeitsorganisatorische Maßnahme.

Fazit: Betriebsrat muss einbezogen werden, kann aber Versetzungen oft nicht verhindern

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist wenig überraschend und rechtlich nicht kompliziert; sie ist jedoch sowohl für Arbeitgeber wie auch für Arbeitnehmer eine interessante Erinnerung daran, dass der Betriebsrat nicht die arbeitsvertraglichen Regelungen zu prüfen hat, sondern lediglich die in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten – auf den individuellen Arbeitnehmer bezogenen – Gründe. Darüber hinaus gilt ähnlich wie bei betriebsbedingten Kündigungen der Grundsatz, dass unternehmerische Organisationsentscheidungen nur eingeschränkt überprüfbar sind; nämlich daraufhin, ob diese plausibel und auch praktisch durchführbar ist. Beides war vorliegend der Fall, so dass das arbeitgeberseitige Widerrufsrecht galt und auch vom Betriebsrat nicht gehindert werden konnte.

 

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