Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.02.2019
Zum Gebot fairen Verhandelns um einen Aufhebungsvertrag
Haben Sie schon einmal etwas von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gehört? Schon das Wort ist für Nichtjuristen irritierend: Sind das Pflichten, die nebenbei erledigt werden? So ganz falsch ist das nicht; es handelt sich um Pflichten, die nicht den Kern des Arbeitsverhältnisses ausmachen, denn dieser lautet „Arbeit gegen Geld“ (das sind die Hauptpflichten). Nebenpflichten sind dagegen mit weichen Worten wie „Rücksichtnahme“ umschrieben – am Ende resultieren daraus aber ganz harte Handlungspflichten, die einen Rechtsstreit entscheiden können.
Grund für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, einen kleinen Grundkurs „Nebenpflichten“ zu machen. Wir konzentrieren uns heute auf die Pflichten des Arbeitgebers, über die arbeitnehmerseitige „Haupt-Nebenpflicht“ zur Loyalität können Sie hier nachlesen.
Welchen Inhalt haben Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis?
Die Vertragsfreiheit gestattet sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, für die eigenen Interessen zu verhandeln und einen möglichst guten „Deal“ zu machen, solange das Geregelte noch auf dem Boden des Rechts steht (zu dem Sonderfall AGB-Kontrolle näher hier). Während Vertragsverhandlungen und im laufenden Arbeitsverhältnis gelten allerdings auch Rücksichtnahme-, Fürsorge- und Schutzpflichten (§ 241 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Hierbei handelt es sich um die Nebenpflichten. Seine Grenze hat die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers, wenn dieser in angemessener Weise seine schützenswerten Interessen verfolgt – so schließt sich der Kreis zur Vertragsfreiheit. Es ist also je nach Einzelfall abzuwägen, ob den Interessen des Arbeitgebers ein Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers gegenübersteht und wie dieses im Verhältnis zu bewerten ist.
Um es etwas konkreter zu machen, folgendes Beispiel (nach Urteil des BAG vom 17.10.2000, Az. 3 AZR 605/99):
Frau Schuhmann ist seit 10 Jahren bei dem Betrieb blitzblank als Reinigungskraft tätig. Es ist absehbar, dass sie aufgrund gesundheitlicher Probleme ihre Tätigkeit nicht mehr lange wird ausüben können. Die Zusatzversorgungskasse macht Frau Schuhmann im Vorfeld auf die Risiken einer sofortigen Beendigung ihrer Tätigkeit aufmerksam, was auch ihrem Arbeitgeber bekannt ist. Dennoch bietet der Arbeitgeber der mit den finanziellen Belangen überforderten Frau Schuhmann einen Aufhebungsvertrag an, welcher auch geschlossen wird. Da Frau Schuhmann aus diesem Grund bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr bei der Zusatzversorgungskasse pflichtversichert war, erhält sie keine Versorgungs-, sondern lediglich eine sehr viel niedrigere Versicherungsrente. Sie fordert von ihrem Arbeitgeber Schadenersatz wegen unzureichender Aufklärung über die Folgen eines Aufhebungsvertrags.
Frau Schuhmann kann eine Entschädigung verlangen. Zwar ist es grundsätzlich Sache der jeweiligen Partei, sich vor dem Abschluss eines (Aufhebungs-)Vertrags zu informieren. Aus § 241 BGB lassen sich aber erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten ableiten, wenn die Umstände wie hier besonders sind. Den Arbeitgeber treffen jedenfalls dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vorschlägt, der Arbeitnehmer offensichtlich mit den Besonderheiten der ihm zugesagten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht vertraut ist, sich der baldige Eintritt eines Versorgungsfalles (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach längerer Krankheit) bereits abzeichnet und durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses außergewöhnlich hohe Versorgungseinbußen drohen (Versicherungsrente statt Versorgungsrente).
Welche Folgen sind möglich, wenn der Arbeitgeber Nebenpflichten verletzt?
Kommt der Arbeitgeber seinen Rücksichtnahme-, Fürsorge- und Schutzpflichten im laufenden Arbeitsverhältnis nicht nach, kann der Arbeitnehmer in der Regel ein Handeln verlangen, z.B. zur Installation von Sicherungseinrichtungen für das Eigentum der Mitarbeiter, wenn diese sich zur Arbeitsleistung umziehen müssen oder zur Ergreifung von Maßnahmen gegen Mobbing. In extremen Fällen, in denen die Arbeitsbedingungen unzumutbar werden, kann der Arbeitnehmer als letztes Mittel seine Arbeitsleistung einstellen; das kommt z.B. bei massiven Mobbing-Sachverhalten in Betracht. Zur Weiterleistung des Gehaltes bleibt der Arbeitgeber in Fällen rechtmäßiger Arbeitseinstellung verpflichtet, weshalb an diesen Schritt hohe Anforderungen gestellt werden. Daher: Bitte nicht ohne Rücksprache mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht, sonst riskieren Arbeitnehmer umgekehrt arbeitsrechtliche Sanktionen.
In anderen Fällen kommt ein Schadenersatzanspruch in Betracht. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Aufklärungspflicht verletzt hat, wie das obige Beispiel zeigt. Der Schadenersatz kann auch darin bestehen, dass der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt wird, zum Beispiel ein geschlossener Aufhebungsvertrag als unwirksam bewertet wird und das Arbeitsverhältnis fortbesteht – oder zumindest eine deutlich bessere Verhandlungsposition für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hergestellt wird.
Welche Aufklärungspflichten hat der Arbeitgeber?
Wie Sie oben gesehen haben, kann es passieren, dass ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer über bestimmte Umstände aufklären muss, auch wenn er dadurch seine Verhandlungsposition schwächt. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das ist nicht die Regel, grundsätzlich ist jede Vertragspartei für ihre eigene Rechtsposition verantwortlich. Der Arbeitgeber kann aber aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht des § 241 BGB gehalten sein, von sich aus Hinweise auf mögliche Rechtsnachteile zu geben, wenn besondere Umstände vorliegen. Ein Gericht prüft in solchen Fällen die jeweiligen Interessenlagen, insbesondere das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers.
Hierbei kommt es vor allem darauf an,
- wie kompliziert die Rechtslage,
- wie groß die drohenden Nachteile und
- wie vorhersehbar der Eintritt dieser Nachteile ist.
Die Rechtsprechung nimmt einen Anspruch auf Aufklärung des Arbeitnehmers vor allem in Fällen an, in denen das Informations- und Kompetenzgefälle so groß ist, dass vom Arbeitnehmer nicht mehr erwartet werden kann, sich bestimmte Kenntnisse selbst zu verschaffen. Kurz: Je mehr der Arbeitgeber offenkundig überlegen ist, desto eher muss er dem Arbeitnehmer unter die Arme greifen.
Für einen etwas anders gelagerten Fall hat das Bundesarbeitsgericht diese Grundsätze noch einmal bekräftigt.
Was war passiert? Reinigungskraft unterschreibt während Krankheit zu Hause Aufhebungsvertrag
Die spätere Klägerin war seit dem Jahr 2014 bei dem Arbeitgeber als Reinigungskraft beschäftigt. Eines Abends erschien der Lebenspartner der Betriebsinhaberin in der Wohnung der Klägerin. Er legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor, welchen die Arbeitnehmerin auch unterschrieb. Zwei Tage später erklärte die Arbeitnehmerin den Widerruf des Aufhebungsvertrags mit dem Argument, sie sei krankheitsbedingt geschwächt gewesen und habe den Sachverhalt nicht überschauen können. Der Lebenspartner der Arbeitgeberin habe sie außerdem zum Abschluss gedrängt. Die Arbeitgeberin bestreitet das.
Exkurs: Was ist ein Widerruf?
Der Widerruf ist ein Recht, welches Verbrauchern gegenüber Unternehmern in bestimmten Situationen zusteht. Neben dem Fernabsatzvertrag, also z.B. einem Kauf in einem Onlineshop, besteht insbesondere bei sog. Haustürgeschäften ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Arbeitnehmer sind Verbraucher im Sinne des Gesetzes, so dass ihnen in dem seltenen Fall, dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, ein Widerrufsrecht auch im Arbeitsverhältnis zustehen kann.
Das Urteil: Kein Haustür-Widerruf – aber es muss trotzdem fair verhandelt werden
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat entschieden, dass der Klägerin kein Widerrufsrecht zustand und der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis daher wirksam beendet hat. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass ein Aufhebungsvertrag kein „Vertriebsgeschäft“ im Sinne des Haustürwiderrufs sei.
Das Bundesarbeitsgericht war im Revisionsverfahren ebenfalls der Ansicht, dass ein Aufhebungsvertrag – auch wenn er in der Privatwohnung des Arbeitnehmers geschlossen werde – nicht zum Widerruf berechtigt. Das Bundesarbeitsgericht hat aber dennoch den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, denn es müsse auch das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags beachtet werden. Diese arbeitsvertragliche Nebenpflicht werde verletzt, wenn der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwere. Wäre hier die krankheitsbedingte Schwäche der Arbeitnehmerin bewusst ausgenutzt worden, wäre dies der Fall und die Arbeitnehmerin so zu stellen, als sei der Aufhebungsvertrag nicht geschlossen worden. Das Landesarbeitsgericht war dieser Frage aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts nicht ausreichend nachgegangen und hat nun den Sachverhalt unter diesem Aspekt aufzuklären (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.02.0219, Az. 6 AZR 75/18).
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