Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.08.2018
„Was tut eigentlich mein Mitarbeiter in der Zeit, für die ich ihn bezahle?“ fragen sich Arbeitgeber, seit es Erwerbsarbeit gibt. Und seit der Digitalisierung der Arbeitswelt nutzen einige die immer vielfältigeren Möglichkeiten der Mitarbeiterüberwachung: Mitlesen von E-Mails, Auslesen von Browserverläufen, Keylogging und nicht zuletzt Videoüberwachung. Besonders „praktisch“ in diesem Zusammenhang sind Arbeitsplätze von Mitarbeitern, deren Tätigkeit ohnehin aufgezeichnet wird wie Schalterpersonal in einer Bank oder Kassenpersonal in Geschäften.
Bei den meisten Arbeitnehmern hinterlässt (Video-)Überwachung hingegen ein ungutes Gefühl. Nicht unbedingt, weil sie sich etwas vorzuwerfen hätten, aber wer wird schon gerne bei jedem Handgriff beobachtet? Der Gesetzgeber verlangt eine Abwägung beider Interessen und im Arbeitsrecht sind bereits deutliche Tendenzen entstanden, was erlaubt ist und was nicht. In Bezug auf die technische Überwachung haben wir uns hier in Bezug auf Keylogging und hier in Bezug auf Auswertung von Browserverläufen mit dem Thema auseinandergesetzt. In diesem Beitrag geht es um die Videoüberwachung von Mitarbeitern.
Ist Videoüberwachung am Arbeitsplatz erlaubt?
Nur unter strengen Anforderungen. Das Recht am eigenen Bild und Wort sind Grundrechte, die auch im Arbeitsverhältnis fortbestehen. Eine permanente Überwachung greift massiv in diese Rechte ein. Zwar befindet sich der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz nicht in seinem privatesten Lebensumfeld, sondern ein Stück weit in der Öffentlichkeit. Was bei dem Mitarbeiter zu Hause also ein absolutes No-Go wäre, ist dem Arbeitgeber am Arbeitsplatz daher erlaubt, wenn es kein anderes gleich wirksames Mittel gibt, um die Sicherheit zu gewährleisten. In Räumen ohne Kundenverkehr dürfte dies aber kaum jemals der Fall sein.
Dürfen Räume mit Kundenverkehr überwacht werden?
Ob eine Videoüberwachung erlaubt ist oder nicht richtet sich nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), welches durch das kürzliche Inkrafttreten der DSGVO nicht etwa überflüssig geworden ist. Für öffentlich zugängliche Räume, z.B. Geschäfte, gilt § 4 BDSG. Hier ist geregelt, dass eine Videoüberwachung zulässig ist, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist. Berechtigte Interessen sind insbesondere der Schutz vor Straftaten oder Gefahrensituationen, z.B. Raubüberfällen, wenn es hierzu einen konkreten Anlass gibt.
Die erste Frage, die ein Arbeitgeber also vor der Installation einer Videoüberwachung beantworten muss, lautet: Gibt es abgesehen von der Videoüberwachung ein milderes Mittel, um z.B. Überfälle oder Diebstähle zu verhindern? Hierzu können Änderungen an Schlössern etc. zählen. Kommt der Arbeitgeber zu dem Ergebnis, dass nur eine Videoüberwachung ausreichend Schutz bietet, ist für den Fall der Existenz sodann der Betriebsrat zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Dieser soll seinerseits die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter überwachen.
Arbeitnehmer sind ebenso wie das übrige Publikum von der Videoüberwachung durch geeignete Aushänge von der Überwachung zu informieren. Von Mitarbeitern kann zur Absicherung auch eine ausdrückliche Genehmigung eingeholt werden.
Was ist tabu?
Heimliche Videoüberwachungen am Arbeitsplatz sind in aller Regel unzulässig. In absoluten Ausnahmefällen gestattet die Rechtsprechung eine solche, um einen Arbeitnehmer in einer konkreten (!) Verdachtssituation eines massiven Fehlverhaltens zu überführen. Sollten Sie als Arbeitgeber solche Maßnahmen in Erwägung ziehen oder als Arbeitnehmer solche bemerken, sollten Sie sich mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht in Verbindung setzen. Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte von Angestellten, also eine unzulässige heimliche Videoüberwachung, können empfindliche Bußgelder nach sich ziehen und können zur Begründung einer Kündigung nicht verwendet werden.
Videoüberwachungen an Orten, die nicht der Arbeitsausübung dienen, sondern mehr ins Private zielen (z.B. Pausenräume) sind ebenfalls nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Ausgeschlossen sind Überwachungen, die auf die Intimsphäre zielen (z.B. Umkleidekabinen, Sanitärräume).
Wie lange dürfen Aufnahmen gespeichert werden?
Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen (§ 4 Abs. 5 BDSG). Eine konkrete Frist nennt das Gesetz nicht. Bislang wird eine Aufbewahrung von bis zu 72 Stunden als zulässig erachtet. Diese Vorschrift dient dem Datenschutz der Betroffenen, also neben den Kunden auch der Arbeitnehmer. Verstöße gegen Datenschutzvorschriften können in massiven Fällen zu Bußgeldern seitens der Aufsichtsbehörde führen.
Eine andere Frage ist, wie lange die Aufzeichnungen in einem Gerichtsverfahren verwertet werden können. Darf also eine rechtmäßig erstellte Videoaufzeichnung, die älter als 72 Stunden ist, nicht mehr zur Überführung eines Verstoßes gegen den Arbeitsvertrag verwertet werden? Das Stichwort zu dieser Frage lautet Beweisverwertungsverbot.
Wann besteht ein Beweisverwertungsverbot?
Ein Beweisverwertungsverbot bringt das Gericht in die unangenehme Situation, einen Beweis „direkt vor der Nase“ ignorieren zu müssen, da der Beweis unrechtmäßig erlangt wurde. Sie kennen das aus amerikanischen Gerichtsserien; in den Staaten sind Beweisverwertungsverbote weit umfangreicher als in Deutschland. In Deutschland sind Beweisverwertungsverbote hingegen Ausnahmen, nicht jeder Verstoß gegen ein Gesetz führt sofort zu einem solchen.
Es kommt auf darauf an, wie massiv der Verstoß gegen eine Rechtsnorm war und welche Gewichtigkeit diese hat. So ist die Nutzung gestohlener persönlicher Aufzeichnungen wie eines Tagebuches oder heimlicher Gesprächsaufnahmen untersagt, da es sich um massive Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht handelt.
Verstöße gegen „schlichtes“ Datenschutzrecht im Arbeitsverhältnis werden von dem Bundesarbeitsgericht eher selten als Beweisverwertungsverbot betrachtet. Führen beispielsweise Daten zur Aufdeckung von Arbeitszeitbetrug, dürfen diese im Kündigungsschutzprozess auch verwendet werden. Hier gewichten die Gerichte das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher als das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz „seiner“ Daten.
Konkret für die offene Videoüberwachung hat das Bundesarbeitsgericht schon im Jahr 2012 festgestellt: „Ein Verstoß gegen die Datenschutzgesetze führt nicht per se zur Unverwertbarkeit von Videoaufnahmen.“ (BAG, Urteil vom 21.06.2012, Az. 2 AZR 153/11). Sogar ein Zufallsfund bei einer rechtmäßigen verdeckten Videoüberwachung kann zulässig sein (BAG, Urteil vom 22.09.2016, Az. 2 AZR 848/15).
Es kommt also auf eine Abwägung im Einzelfall an, wobei das Bundesarbeitsgericht eher der Zulassung eines Videobeweises zuneigt, sofern die Videoüberwachung offen erfolgte. So auch in einem Fall, den das Bundesarbeitsgericht aktuell entschieden hat.
Was war passiert? Kiosk wertet Video nach Monaten aus und kündigt
Die spätere Klägerin war als Minijobberin bei einem Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle beschäftigt. Nach einem halben Jahr erhielt sie eine fristlose Kündigung wegen „der begangenen Straftaten“. Die Arbeitnehmerin klagte gegen diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht.
Im Gerichtsverfahren erklärte der Arbeitgeber, während der Tätigkeit der Mitarbeiterin sei es zu Warenschwund insbesondere bei den Tabakwaren gekommen. Aus diesem Grund seien die Videoaufnahmen der permanent installierten Videokamera überprüft worden. Aus diesem Videomaterial ergebe sich, dass die Klägerin Geld für Tabakwaren entgegengenommen, dieses aber nicht ordnungsgemäß im Kassensystem hinterlegt und schließlich an sich genommen habe. Hierdurch sei die fristlose Kündigung begründet, ferner verlangte der Arbeitgeber einen Betrag von knapp 400,00 € als Schadenersatz für den Arbeitsaufwand durch das Sichten des Videomaterials.
Das Urteil: Späte Auswertung ist in Ordnung
In den ersten beiden Instanzen gewann die Klägerin das Verfahren, die Kündigung wurde für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht Hamm ging hinsichtlich des Beweisvideos von einem Beweisverwertungsverbot aus. Dieses sei dadurch entstanden, dass die Videoaufnahmen erst rund sechs Monate nach den vermeintlichen Taten ausgewertet worden seien. Sie hätten allerdings nach § 6 BDSG unverzüglich gelöscht werden müssen, jedenfalls deutlich vor der Auswertung zu Lasten der Arbeitnehmerin. Durch den Verstoß gegen diese Norm und die damit entstandene Grundrechtsverletzung könne das Video im Prozess nicht mehr genutzt werden, so das Landesarbeitsgericht.
Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Urteil aktuell abgeändert (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.08.2018, Az. 2 AZR 133/18; Pressemitteilung). Zeigen Videosequenzen Straftaten eines Arbeitnehmers zu Lasten des Arbeitgebers, werden diese Beweise nicht durch bloßen Zeitablauf unverwertbar, urteilte das höchste deutsche Arbeitsgericht. Eine rechtmäßige offene Videoüberwachung verletze nicht das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so dass auch die Auswertung und anschließende Löschung nicht sofort erfolgen müsse. Vielmehr könne damit gewartet werden, bis ein berechtigter Anlass besteht.
Der Fall wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, das nun klären muss, ob die Videoüberwachung vollständig rechtmäßig erfolgte. In diesem Fall wird die Kündigung für wirksam erklärt werden.
Fazit
Das Bundesarbeitsgericht hat den Videobeweis des Arbeitgebers hier mit einem Kunstgriff gerettet, indem es behauptet hat, eine offene und gerechtfertigte Videoüberwachung sei gar kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, weshalb auch die Löschungsvorschrift des BDSG nicht bindend gewesen sei. Videoüberwachung stellt allerdings immer einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, dieser kann vielmehr nur gerechtfertigt sein. Es sind die ausführlichen, aktuell noch nicht veröffentlichten, Urteilsgründe abzuwarten, um festzustellen, ob und wie sich das Gericht mit diesem Umstand auseinandersetzt.
Das Bundesarbeitsgericht zeigt aber erneut, dass es Beweisverwertungsverbote im Datenschutzrecht streng handhabt. Jedenfalls für das Arbeitsverhältnis ist § 4 Abs. 5 BDSG damit zum Papiertiger geworden, faktisch kann der Arbeitgeber nach dem aktuellen Urteil Videoaufzeichnungen so lange aufbewahren und zur Überführung von Arbeitnehmern nutzen, wie er möchte.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Mitarbeiterüberwachung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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