Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 07.09.2017
Rückkehr aus Elternzeit bei zugesagter Beförderung
In der Regel hat das Beamtenrecht wenig Auswirkungen auf das Arbeitsrecht, denn Beamtenverhältnisse folgen anderen Regeln und eigenen Gesetzen. Allerdings treten natürlich auch dort die typischen Fragen und Konflikte auf, die wir im Arbeitsrecht kennen. Eines davon ist der Umgang mit Elternzeit. Hier hat der Europäische Gerichtshof nun Beamten und in einem Zug gleich mit den Arbeitnehmern den Rücken gestärkt.
Eine Beamtin hatte sich in Berlin erfolgreich um eine Stelle in leitender Position als Senatsrätin beworben. Dieses Beförderungsamt sollte ihr zunächst für zwei Jahre auf Probe übertragen werden. Schwangerschafts- und elternzeitbedingt trat sie die Beförderungsstelle jedoch gar nicht erst an. Das Land Berlin teilte ihr nach zwei Jahren mit, dass ihre Bewährung im Beförderungsamt nicht feststellbar sei und ihr daher wieder das zuvor ausgeübte niedrigere Amt übertragen werde. Die Beförderungsstelle wurde an einen anderen Bewerber vergeben.
Das Landesbeamtengesetz Berlin schreibt vor, dass für einen Bewerber in einem Amt mit leitender Funktion die Probezeit nicht verlängert wird, wenn sich der Bewerber während der Probezeit überwiegend in Elternzeit befindet.
Die Beamtin klagte vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Dieses hatte Zweifel, ob die gesetzliche Regelung zur Probezeit mit der europäischen Elternzeitrichtlinie vereinbar ist. Es legte daher diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Hintergrund ist, dass bei Zweifeln über europäisches Recht, das im Rang höher steht als das nationale Recht, der Europäische Gerichtshof die Auslegung einheitlich für ganz Europa vornehmen muss.
Die Europäische Elternzeitrichtlinie (RL 2010/18/EU) legt die Mindestvoraussetzung der Elternzeit fest. Deutschland erfüllt diese Vorgaben grundsätzlich über, indem beispielsweise drei Jahre Elternzeit möglich sind. Die Richtlinie verlangt drei Monate. Fraglich war allerdings, ob die europäisch vorgeschriebene Möglichkeit zur Elternzeit überhaupt noch besteht, wenn Beamte (oder Arbeitnehmer) sich sorgen müssen, dass ihnen Rechte verloren gehen, wenn sie Elternzeit in Anspruch nehmen.
Rechtsgrundlage
Elternzeit ist ein gesetzlicher Anspruch, der jeder Mutter und jedem Vater bis zum dritten Geburtstag und unter bestimmten Bedingungen bis zum achten Geburtstag des Kindes zusteht. Sie kann insgesamt bis zu drei Jahren betragen. Die Inanspruchnahme von Elternzeit bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis ruht, also weder Arbeitsleistung noch Gehalt geschuldet ist. Durch besondere gesetzliche Anordnung besteht während dieser Zeit unabhängig von der Betriebsgröße Kündigungsschutz ab acht Wochen vor Beginn der Elternzeit (§ 18 Abs. 1 BEEG).
Der Arbeitsplatz muss dem Arbeitnehmer / der Arbeitnehmerin bei Rückkehr aus Elternzeit erst einmal wieder zur Verfügung gestellt werden. Idealerweise wurde der ursprüngliche Arbeitsplatz freigehalten oder durch eine befristete Vertretung besetzt. Manchmal ist das für den Arbeitgeber aber nicht möglich. Dann kann der Arbeitgeber von seinem Recht Gebrauch machen, dem Arbeitnehmer einen anderen, allerdings gelichwertigen Arbeitsplatz, zuweisen. Erhebliche Nachteile darf der Arbeitnehmer wegen der Elternzeit also nicht erleiden.
Diese Grundsätze gehen auf § 5 der Europäischen Elternzeitrichtline („Arbeitnehmerrechte und Nichtdiskriminierung“) zurück:
Im Anschluss an den Elternurlaub hat der Arbeitnehmer das Recht, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder, wenn das nicht möglich ist, eine entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis gleichwertige oder ähnliche Arbeit zugewiesen zu bekommen.
Die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bleiben bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten ergeben.“
Ereignisse, die an Zeitablauf gebunden sind, werden während der Elternzeit unterbrochen. Beispielsweise läuft die tarifvertragliche Stufenlaufzeit während der Elternzeit nicht ab (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.01.2017, Az. 6 AZR 526/09).
Das gilt auch für den Ablauf der Probezeit: Das Arbeitsrecht hat keine gesetzliche Regelung wie das Berliner Beamtenrecht hierzu, der arbeitsrechtliche Mechanismus ist allerdings derselbe: Während der Elternzeit (nicht: Elternteilzeit) ist die Probezeit unterbrochen, läuft also nicht ab, sondern „pausiert“.
Die Entscheidung des EuGH
Die Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage, ob die Beförderung widerrufen werden durfte, fällt entsprechend der europäischen Richtlinie eindeutig aus: Die Klägerin muss auf den ihr zugesagten Erprobungsposten = Beförderungsposten zurückkehren dürfen und dort ihre Probezeit antreten oder fortsetzen dürfen. Dieser Posten darf grundsätzlich nicht anderweitig besetzt werden. Sollte dies tatsächlich unmöglich sein, muss der Klägerin eine gleichwertige Beförderungsposition zur Erprobung zugewiesen werden – notfalls muss ein solcher Posten geschaffen werden. Es ist unzulässig, der Beamtin die vorherige niedrigere Stelle wieder zuzuweisen, weil sie sich nicht bewährt habe.
Der EuGH betont ausdrücklich, dass die Elternzeitrichtlinie die Vereinbarung von Familie und Beruf sowie die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau verfolgt. Junge Eltern sollen sich bei der Inanspruchnahme von Elternzeit keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen müssen, sondern sich bereits erworbene Rechte in genau dieser Form erhalten.
Das Beamte und in diesem Zuge auch Arbeitnehmer auf einen gleichwertige Arbeitsstelle zurückkehren dürfen, ist unumstritten. Das Berliner Gesetz führte allerdings durch die Anordnung, dass die Probezeit in Zusammenhang mit einer Elternzeit nicht verlängert wird, auch dazu, dass der Klägerin ein Recht wieder genommen werden konnten, das sie sich bereits erworben hatte. Wohlgemerkt: Genommen wurde ihr die Möglichkeit, sich auf dem neuen Arbeitsplatz zu bewähren. Nichts anderes hat der EuGH wieder angeordnet.
Der Europäische Gerichtshof berief sich auf § 5 der Richtlinie, welcher (im Gegensatz zu den deutschen Gesetzen) relativ ausdrücklich regelt, dass erworbene Rechte bestehen bleiben müssen. Die deutschen Gesetze sind also in diesem elternzeitfreundlichen Sinne auszulegen und wenn das nicht geht, sind sie unanwendbar.
Fazit
Wenn das Ergebnis auch wenig überraschend ist, ist bemerkenswert die klare Ansage des EuGH: Ein Beamter und ein Arbeitnehmer kann nach der Elternzeit exakt da weitermachen, wo er (bzw. statistisch häufiger sie) aufgehört hat – nicht besser, vor allem aber nicht schlechter. Dazu gehört auch, dass wenn eine Stelle in dieser Form selten ist, sie unter Umständen jahrelang freigehalten werden muss, bis sie antreten werden kann.
Das ist auch relevant für Arbeitgeber, die eine Beförderung zugesagt haben und anschließend von Schwangerschaft und Elternzeit erfahren.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Elternzeit? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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