Betriebsübergang und Standortwechsel
Die Wirtschaftslandschaft ist vielfältig. Unternehmen werden gegründet, je nach den Umständen umstrukturiert, verkauft und in diesem Zuge nicht selten Standorte verlegt. Jeder Arbeitnehmer, der von einem Inhaberwechsel und – womöglich zeitgleich – Standortwechsel betroffen ist, hat plötzlich viele Fragen. Was geschieht eigentlich mit dem Arbeitsverhältnis bei einem Betriebsübergang? Kann bei einer Verlegung des Betriebssitzes immer gekündigt werden? Wir möchten im Folgenden einige dieser Fragen beantworten.
Der wichtigste Paragraf: § 613 a BGB
Arbeitsrechtlich macht es keinen Unterschied, ob der familiengeführte Fachbetrieb an den Junior überschrieben wird oder ein Großunternehmen im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen (Teil-)Verkäufe vornimmt. Immer, wenn ein Betriebsübergang vorliegt, greift dieselbe Regelung: § 613 a BGB.
Die Norm dient Arbeitnehmerinteressen. Gäbe es sie nicht, würde sich nämlich – an einem einfachen Beispiel dargestellt – Folgendes ergeben:
Peter Schmidt ist Inhaber eines Fachgeschäfts mit einigen Angestellten. Er beschließt, sich zur Ruhe zu setzen und sein Unternehmen an Frank Müller zu verkaufen. Der Kaufvertrag wird geschlossen. Ohne eine gesetzliche Anordnung würden die Arbeitsverhältnisse allerdings nicht automatisch übergehen. Herr Schmidt hätte also Arbeitnehmer, aber keinen Betrieb – Herr Müller einen Betrieb, aber keine Arbeitnehmer. Zwar könnten die Beteiligten neue Arbeitsverträge schließen, der Arbeitnehmer ist in einer solchen Situation allerdings strukturell unterlegen. Der Kündigungsschutz würde unterlaufen, Herr Müller hätte er gute Möglichkeiten, schlechtere Löhne durchzusetzen und die erworbenen Betriebszugehörigkeitszeiten der Arbeitnehmer wären ebenfalls verloren.
613 a BGB verhindert ein solches Ergebnis und schützt die Arbeitnehmer vor einer Verschlechterungen ihres Besitzstandes, vor allem dem Verlust ihrer Betriebszugehörigkeitszeiten. Im Wesentlichen gilt Folgendes:
- Geht ein Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über, tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein (= Das Arbeitsverhältnis geht über, “so wie es ist”.)
- Wird das Arbeitsverhältnis durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt, dürfen diese nicht vor Ablauf eines Jahres zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden, es sei denn, bei dem Erwerber besteht ebenfalls ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung.
- Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang umfangreich über Grund und Folgen des Übergangs zu unterrichten.
- Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung widersprechen (= Arbeitnehmer können nicht gegen ihren Willen “mit verkauft” werden, der Erwerber tritt bei einem Widerspruch nicht in die Rechte und Pflichten dieses Arbeitsverhältnisses ein).
Auf unser Beispiel bezogen müssten die Arbeitnehmer also vor dem Betriebsübergang entweder von Peter Schmidt oder Frank Müller ordnungsgemäß unterrichtet werden. Widerspricht ein Arbeitnehmer dem Betriebsübergang bezogen auf sein Arbeitsverhältnis, bleibt er bei dem bisherigen Arbeitgeber und geht das Risiko einer betriebsbedingten Kündigung mangels Beschäftigungsmöglichkeit ein. Widerspricht er nicht, geht das Arbeitsverhältnis auf den neuen Arbeitgeber Frank Müller „so wie es ist“ über.
Die wichtigste Frage: Wahrung der wirtschaftlichen Einheit?
Ein Betriebsübergang kann nur vorliegen, wenn der Inhaber, also der Arbeitgeber, wechselt – umgekehrt ist aber nicht jeder Inhaberwechsel ein Betriebsübergang. Vereinfacht kann man sagen, dass ein Betriebsübergang vorliegt, wenn der Erwerber den Betrieb oder einen Teil davon (eine Abteilung), im wesentlichen so übernimmt und fortführt, dass die wirtschaftliche Einheit gewahrt bleibt.
Zugegeben, jetzt wissen Sie nicht viel genauer als vorher, was ein Betriebsübergang ist. Die Gerichte helfen mit einem „Sieben-Punkte-Schema“. Nicht alle Punkte müssen vorliegen, allerdings je mehr, desto eher liegt ein Betriebsübergang vor:
- Die Art des Betriebs / Unternehmens bleibt gewahrt
- Materielle Betriebsmittel werden übernommen (z.B. Gebäude, bewegliche Güter)
- Immaterielle Betriebsmittel und vorhandene Organisation werden übernommen
- Kundschaft und Lieferantenbeziehungen bleiben bestehen
- Die Hauptbelegschaft wird weiterbeschäftigt
- Es gibt keine nennenswerte Unterbrechung der Tätigkeit
- Vor und nach dem Übergang werden im wesentlichen die gleichen Tätigkeiten verrichtet
Sind diese Kriterien nicht erfüllt, wird § 613 a BGB nicht angewendet. Die Arbeitnehmer sind weiterhin bei dem bisherigen Arbeitgeber angestellt und sind nicht vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.
Arbeitgeberwechsel und Standortverlagerung
Wie Sie an dem obigen Schema sehen, schließt die Verlegung des Standortes für sich genommen die Annahme eines Betriebsübergangs nicht aus. Wird allerdings ein Betrieb mehrere hundert Kilometer weit entfernt verlegt, dürfte es je nach Branche nicht möglich sein, die vorhandene Kundschaft und die Lieferantenbeziehungen zu halten. Auch die anderen Kriterien werden typischerweise mit zunehmender Entfernung weniger gegeben sein. Die Rechtsprechung ist daher eher kritisch, bei Standortverlagerungen über weitere Entfernungen noch einen Betriebsübergang anzunehmen. Allerdings kommt es auch hier auf den Einzelfall an: Das Bundesarbeitsgericht hat schon eine Verlegung von Berlin nach Lyon und das Landesarbeitsgericht Hamburg eine Verlegung von Hamburg nach Irland als Betriebsübergänge eingeordnet.
Liegt kein Betriebsübergang vor, soll regelmäßig der alte Standort stillgelegt werden. Ist das der Fall, ist der Arbeitgeber vor Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen verpflichtet, freie Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten, falls es solche freien Stellen gibt und das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Auf Umwegen kann der Arbeitnehmer so doch wieder zu einer Stelle beim alten Arbeitgeber kommen – wenn er bereit ist, umzuziehen.
Standortwechsel ins Ausland – Was ist “IPR”?
IPR ist die Abkürzung für Internationales Privatrecht. Dieses Rechtsgebiet beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Frage, welches Recht für welche Rechtsbeziehung anzuwenden ist. Diese Frage wird wichtig, wenn ein Standortwechsel ins Ausland erfolgt.
Selbst eine Verlagerung ins Ausland schließt – wenn sie mit einem Wechsel des Arbeitgebers einhergeht – einen Betriebsübergang nicht aus, sondern wird lediglich mit zunehmender Entfernung unwahrscheinlicher. Liegt ein Betriebsübergang trotz Verlegung ins Ausland vor, gehen wie gezeigt die Arbeitsverhältnisse über und betriebsbedingte Kündigungen wegen Schließung des alten Standortes scheiden aus. Allerdings stößt man hier an ganz praktische Probleme: Das örtliche Versetzungsrecht des Arbeitgebers reicht in der Regel nur bis zur Grenze der Bundesrepublik. Die Arbeitnehmer könnten also nur im Inland eingesetzt werden, hier fehlt es allerdings am Betrieb. Gibt es keine einvernehmliche Lösung, gestaltet sich auch eine (Änderungs-)Kündigung schwierig, denn „wegen“ eines Betriebsübergangs darf nicht gekündigt werden. Außerdem: Im Ausland gilt ausländisches Recht, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist. Das bedeutet, bei einer Standortverlagerung beispielsweise nach Polen würde sich das Arbeitsverhältnis künftig nach polnischem Recht richten. Wie das Thema in der Praxis umzusetzen ist, hat das Bundesarbeitsgericht bisher offen gelassen.
Andersherum gibt es auch reisefreudige Arbeitnehmer, die einen Umzug in Kauf nehmen würden, um die freie Stelle im Unternehmen anzutreten, die sich nun im Ausland befindet. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn es sich um innereuropäisches Ausland handelt, in dem die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften bereits stark angeglichen sind. Ist eine Standortverlegung allerdings nicht mit einem Betriebsübergang verknüpft, entweder weil die Voraussetzungen nicht vorliegen oder weil kein Arbeitgeberwechsel stattfindet, werden diese jedoch (noch) vom Bundesarbeitsgericht gebremst. Zwar muss der Arbeitgeber grundsätzlich freie Arbeitsplätze anbieten, diese Regelung leitet sich aber aus dem (deutschen) Kündigungsschutzgesetz ab. Die Verpflichtung, freie Arbeitsplätze anzubieten, umfasst deshalb nur freie Arbeitsplätze eines im Bundesgebiet liegenden Betriebs des Arbeitgebers (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.08.2013, 2 AZR 809/12). Arbeitsplätze im Ausland müssen nicht angeboten werden. Daher kann der Arbeitgeber in diesem Fall eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen.
Fazit
Betriebsübergänge und Standortverlagerungen treten häufig, aber nicht zwangsläufig, in Kombination auf. So oder so, im Ergebnis erweisen sich die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer jedenfalls bei einer Verlagerung ins Ausland bis zu einer höchstrichterlichen Klärung als relativ zahnlos.
Fraglich ist, ob der Europäische Gerichtshof in der nächsten Zeit einmal Gelegenheit haben wird, sich zu der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu äußern, wonach vor dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung freie Stellen im Ausland nicht angeboten werden müssen. Jedenfalls europaweit besteht nicht nur ein immer stärker angeglichener Schutzstandard für Arbeitnehmer, sondern der Austausch von Arbeitskräften ist auch ausdrücklich erwünscht. Sollte der Europäische Gerichtshof hier Gelegenheit zu einer Stellungnahme bekommen, würde er voraussichtlich versuchen, auf eine Aufhebung dieser Begrenzung hinzuwirken.
Noch Fragen?
Haben Sie Fragen zu den Themen Betriebsübergang und Standortverlagerung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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