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17. Mai 2018 / by kanzleiKerner

Kopftuch am Arbeitsplatz in Drogerie darf laut LAG Nürnberg nicht verboten werden

 Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 28.03.2018

Nur wenige Dinge müssen in einem Arbeitsvertrag unbedingt geregelt sein: Die Art der Arbeitsleistung und die Vertragspartner. Falls Sie sich nun fragen, wie viel Sie bei einem solchen Minimal-Arbeitsvertrag verdienen würden: Ist nichts geregelt, erhalten Sie die für eine derartige Tätigkeit an diesem Ort zu dieser Zeit „übliche Vergütung“, die notfalls ein Sachverständiger ermitteln muss (§ 612 Abs. 2 BGB).

Aber zurück zum Thema: Es ist unmöglich, den gesamten Inhalt des kommenden Arbeitsverhältnisses im Arbeitsvertrag zu beschreiben. Zum einen sind Mitarbeiter mit einer ganzen Reihe komplexer Aufgaben befasst, die man kaum zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses abschließend festlegen kann („Herr Müller wird montags von 8:00 Uhr bis 8:05 Uhr das Hallentor aufschließen. Er wird anschließend bis 8:10 Uhr eine Werkbank in Betrieb nehmen. …“). Auch die Änderung eines Aufgabenbereiches möchte der Arbeitgeber sich natürlich möglichst vorbehalten. Und schließlich möchte der Arbeitgeber unter Umständen auch bei dem äußeren Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter ein Wörtchen mitsprechen.

Beholfen wird sich so, dass der Arbeitsvertrag in aller Regel nur die Tätigkeitsbezeichnung, eventuell ergänzt um die Hauptaufgaben, enthält. Zusätzlich wird der Arbeitgeber mit einem Weisungsrecht ausgestattet. Dieses Weisungsrecht ist in § 106 Gewerbeordnung (GewO) und § 315 BGB geregelt, es besteht daher auch dann, wenn es im Arbeitsvertrag nicht noch einmal gesondert erwähnt wird. Der Arbeitgeber wird so in die Lage versetzt, innerhalb des arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbereiches die Aufgaben festzulegen und zu verändern und seinen Mitarbeitern auch andere zulässige Weisungen zu erteilen.

Das Weisungsrecht ist außer durch den Arbeitsvertrag bzw. den Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung auch begrenzt durch die sog. Billigkeit. Der Arbeitgeber muss also bei dem Ausspruch einer Weisung auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und mit seinen Interessen abwägen.

Darf der Chef Vorschriften für die äußere Erscheinung machen?

Dieser spannenden Frage haben wir uns hier ausführlich gewidmet. In Kürze: Der Arbeitgeber darf seine Mitarbeiter per Weisungsrecht zu einem ordentlichen, dem Arbeitszweck angemessenen Äußeren anhalten.

Erlaubt ist, was erforderlich ist, um verständliche Interessen durchzusetzen und den Arbeitnehmer dabei nicht übermäßig belastet – also beispielsweise je mehr Kundenkontakt und desto gehobener die Tätigkeit, desto mehr Mitspracherecht des Arbeitgebers. Je detaillierter die Vorgaben, desto eher werden sie als „Geschmacksdiktat“ von den Gerichten als unzulässig bewertet.

Den Wünschen des Arbeitgebers gegenüber steht nämlich das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, also seine Freiheit, sich zu kleiden, wie er möchte. Das Tragen religiöser Kleidung oder Symbole wird hierneben von der verfassungsrechtlichen Religionsfreiheit erfasst. Zusätzlich flankiert § 3 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) diese Freiheit, indem sie Diskriminierungen aufgrund der Religion eines Mitarbeiters / einer Mitarbeiterin verbietet. Auf diese Grundrechte können sich Mitarbeiter berufen, die religiös motiviert ein bestimmtes Kleidungs- oder Schmuckstück bei der Arbeit tragen möchten.

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hatte kürzlich einen Fall zu diesem Thema zu entscheiden, in dem eine Mitarbeiterin Kopftuch tragen wollte.

Was war passiert? Kassiererin kehrt mit Kopftuch aus Elternzeit zurück

Die Arbeitnehmerin war seit dem Jahr 2002 bei der Drogerie-Kette Müller als Kassiererin und Einkaufsberaterin beschäftigt. Einige Tage vor Beendigung ihrer knapp dreijährigen Elternzeit erschien die spätere Klägerin im Betrieb und trug hierbei, anders als vor der Elternzeit, ein Kopftuch. Die Filialleiterin wies die Arbeitnehmerin darauf hin, dass man sie nicht beschäftigen werde, wenn sie ein Kopftuch trage.

Die Angestellte beantragte daraufhin bei dem Arbeitsgericht, festzustellen, dass die Weisung, ohne Kopftuch am Arbeitsplatz zu erscheinen, unwirksam sei. Sie berief sich hierbei auf ihre Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot.

Der Arbeitgeber wandte ein, eine Vielzahl an Mitarbeitern zu beschäftigen, die aus insgesamt 88 Nationen stammen. Es träfen daher verschiedene Kulturen und Religionen aufeinander. Damit sich die Mitarbeiter nicht durch andere Mitarbeiter in ihrer religiösen Überzeugung verletzt sähen und es hierdurch zu (vermeidbaren) Konflikten komme, bestehe die allgemeine Verpflichtung, auf auffällige Symbole aller Art zu verzichten. Im Verkauf bestehe zusätzlich das Ziel, dass sich Kunden in ihrer religiösen Überzeugung nicht verletzt sähen. Seit jeher sähe daher die Kleiderordnung des Unternehmens vor, dass unter anderem Kopfbedeckungen aller Art bei Kundenkontakt nicht getragen werden dürfen.

Das Urteil: Kopftuchverbot unzulässig

Das Landesarbeitsgericht bejahte eine Diskriminierung der Klägerin und erklärte die Weisung für unwirksam; die Klägerin darf also mit Kopftuch zur Arbeit erscheinen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen (Urteil des Landearbeitsgerichts Nürnberg vom 27.03.2018, Az. 7 Sa 304/17).

Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht aus, dass mit dem Untersagen jeglicher religiöser Symbole zwar alle Arbeitnehmer zunächst einmal gleich behandelt würden. Allerdings könne eine solche Vorgabe dann eine mittelbare Diskriminierung darstellen, wenn durch die vermeintlich neutrale Regelung Personen mit einer bestimmten Religion in besonderer Weise benachteiligt werden. Hier beeinträchtige die Regelung Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens in erhöhtem Maß. Während die Gläubigen anderer Religionen aufgrund ihrer Religion nicht gehalten seien, auf ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild zu achten, habe eine Frau, die sich nach dem muslimischen Bedeckungsverbot richte, unter anderem den Kopf zu bedecken. Diese Art der Bedeckung werde von der Frau als Ausdruck religiösen Bekenntnisses begriffen und wahrgenommen. Das Verbot, sichtbare religiöse Zeichen zu tragen, beträfe daher muslimische Frauen in weit stärkerem Maße als alle anderen Arbeitnehmer. Aus diesem Grunde liegt nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts eine Diskriminierung in Bezug auf die Merkmale (muslimische) Religion und (weibliches) Geschlecht vor.

Müsste die Klägerin der Weisung folgen, könne sie ihren Glauben nach Ansicht des Gerichts im Arbeitsverhältnis nicht leben, zugleich sei die Ausführung der Arbeit mit Kopftuch aber möglich. Es bestehe daher keine ausreichende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigung der Drogerie-Kette, die ein Kopftuch-Verbot rechtfertigen könnte. Der Weisung, ohne Kopftuch zur Arbeit zu erscheinen, musste die Arbeitnehmerin also nicht folgen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen.

Fazit: Es kommt darauf an…

Der Europäische Gerichtshof hatte anders als hier das Landesarbeitsgericht im Jahr 2016 in zwei Verfahren das arbeitgeberseitige Kopftuch-Verbot „durchgewunken“ (Az. C-157/15 und C-188/15). Mit diesen Urteilen hat sich das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil auseinandergesetzt, aber anders entschieden. In den dortigen Fällen ging es um eine Rezeptionistin und eine Software-Entwicklerin mit regem Kundenkontakt. Es sei jedoch – so das Landesarbeitsgericht – ein Unterschied, ob sich ein Unternehmen im Dienstleistungssektor bewege und damit besonders auf das Wohlwollen der Kunden angewiesen sei und anderenfalls wirtschaftliche Nachteile zu erwarten habe. In einem solchen Verhältnis sah das Landesarbeitsgericht den aktuellen Fall nicht.

Voraussichtlich wird das Verfahren erst vor dem Bundesarbeitsgericht, gegebenenfalls mit Zwischenstation bei dem Europäischen Gerichtshof, sein endgültiges Ergebnis finden. Ob diese Gerichte genauso entscheiden, ist indessen offen. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2016 gezeigt, dass bei aller gebotenen Weltoffenheit und Religionsfreiheit der Wunsch des Arbeitgebers nach Neutralität überwiegen kann. Ob sich das Verhältnis Einkaufsberaterin/Kassiererin in Sachen Servicegedanken und Dienstleistungsorientierung so weit weg von einer Rezeptionistin oder Software-Entwicklerin bewegt, werden diese Gerichte beurteilen.

Arbeitnehmer seien an dieser Stelle auf eine neuere Entwicklung im Weisungsrecht hingewiesen: Bis zu dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14.09.2017 (Az. 5 AS 7/17) mussten Arbeitnehmer auch unbillige Weisungen bis zu einer gerichtlichen Klärung zwingend befolgen, anderenfalls lieferten sie alleine wegen der Nichtbefolgung Abmahnungs– oder gar Kündigungsgründe. Die verschiedenen Senate des Bundesarbeitsgerichts haben sich nun geeinigt, dass unbillige Weisungen von dem Arbeitnehmer nicht befolgt werden müssen. Aber Achtung: Dies geschieht auf eigenes Risiko! Sollte sich die Weisung später als doch noch rechtmäßig herausstellen, ist die zwischenzeitliche Nichtbefolgung nach wie vor ein Abmahnungs– oder Kündigungsgrund. Bei der aktuell unübersichtlichen Rechts- und Rechtsprechungslage ist muslimischen Arbeitnehmerinnen daher nach wie vor zu raten, ein „Kopftuchverbot“ nicht einfach zu übergehen und gegebenenfalls Eilrechtschutz in Anspruch zu nehmen.

Haben Sie Fragen zu dem Thema Beschäftigungsanspruch? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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