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23. November 2015 / by kanzleiKerner

Im Praktikum kann man sich nicht gut genug kennenlernen

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.11.2015

Zur Frage der Anrechnung von vorangegangenen Praktika auf die Probezeit im Ausbildungsverhältnis

Ausbildungsverhältnis = Pflicht zur Probezeit

Eine Ausbildung ist ein besonderer Lebensabschnitt. Auch rechtlich gelten im Vergleich zu “normalen” Arbeitsverhältnissen in vielerlei Hinsicht Besonderheiten. Eine dieser Besonderheiten ist, dass Azubis einen ungewöhnlich großen Schutz vor Kündigungen genießen – nach Ablauf der Probezeit ist die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses für beide Seiten nur unter deutlich erschwerten Voraussetzungen möglich; in der Regel nur außerordentlich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.

Die Probezeit hat deshalb maximale Bedeutung im Ausbildungsverhältnis. Sie ist nach § 20 Berufsbildungsgesetz (BBiG) zwingend vorgeschrieben und muss mindestens einen Monat, darf aber höchstens vier Monaten betragen. Während dieser Zeit ist eine Kündigung von beiden Seiten ohne Angabe von Gründen und ohne Einhaltung einer Frist möglich.

Dabei ist der Zweck der Probezeit der gleiche wie auch bei jedem Arbeitsverhältnis, in dem eine Probezeit vereinbart wird: Die Möglichkeit, sich gegenseitig kennen zu lernen. In der Ausbildung ist die Probezeit zugleich Bedenkzeit, ob das Ausbildungsverhältnis gemeinsam durchgeführt werden soll.

Der Fall – Vorgeschaltetes Praktikum im gleichen Betrieb

Die Frage, wann dieser Zweck des gegenseitigen Kennenlernens erreicht ist, hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun auf die Klage eines gekündigten Auszubildenden hin zu klären.

Im Frühjahr 2013 bewarb sich der spätere Kläger bei der späteren Beklagten um einen Ausbildungsplatz zum Kaufmann im Einzelhandel. Hier überzeugte er und die Parteien einigten sich auf einen Ausbildungsbeginn zum 01.08.2013. Um die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn zu überbrücken, schlossen sie zusätzlich einen “Praktikantenvertrag” und führten bis zum 31.07.2013 ein betriebliches Praktikum durch. Der Ausbildungsvertrag für das anschließende Ausbildungsverhältnis sah sodann eine Probezeit von drei Monaten vor.

Am 29.10.2013, also innerhalb dieser dreimonatigen Probezeit, kündigte der Betrieb dem Auszubildenden.

Hiergegen wehrte sich dieser mit der Begründung, die Zeit des Praktikums sei auf die Probezeit des Ausbildungsverhältnisses anzurechnen. Schließlich habe sich der Betrieb schon in dieser Zeit ein Bild über ihn machen können. Daher sei die Probezeit bereits abgelaufen.

Das Urteil

Schon in den Vorinstanzen scheiterte er mit diesem Argument und auch das Bundesarbeitsgericht folgte nun der formalen Sichtweise (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.11.2015, Az. 6 AZR 844/14): § 20 BBiG ordnet zwingend an, dass das Berufsausbildungsverhältnis mit einer Probezeit beginnt. Die Zweckrichtung dieser Probezeit, nämlich die beiderseitige Prüfung der für die Ausbildung wesentlichen Umstände, ist dabei nur unter den Bedingungen des Ausbildungsverhältnisses – und eben nicht im Praktikum – möglich. Die Tätigkeit des Klägers im Praktikum war deshalb nicht zu berücksichtigen und die Kündigung rechtzeitig in der Probezeit ausgesprochen worden.

Fazit

Die Gestaltung eines Praktikums ist etwas anderes als die Gestaltung eines Ausbildungsverhältnisses. Die Unterschiede können gering sein, häufig sind sie jedoch enorm. In der Regel wird einem Praktikanten weniger Verantwortung übertragen, der Anteil des “Schnupperns” im Betrieb ist im Vergleich zum Ausbildungsverhältnis häufig deutlich erhöht, die Erwartungshaltung an einen Praktikanten ist in der Regel niedriger. Entsprechend können erst nach Beginn des eigentlichen Ausbildungsverhältnisses die für dieses Verhältnis prägenden Besonderheiten überprüft werden. Diese Unterschiede greift das Bundesarbeitsgericht auf und gestattet es Ausbildern und Auszubildenden auch nach einem vorgeschalteten Praktikum, die vereinbarte Probezeit vollständig zu nutzen.

Haben Sie Fragen zu den Themen Probezeit, Ausbildung oder Praktikum? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

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