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23. Mai 2016 / by kanzleiKerner

Im Annahmeverzug lohnt es sich, genau hinzuschauen

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2016

Zum Umfang der Anrechnung von Zwischenverdienst im Annahmeverzug

Der Alptraum eines arbeitsrechtlich geschulten Arbeitgebers ist ein Kündigungsschutzprozess, dessen Ausgang unklar ist. Ein solcher Arbeitgeber weiß nämlich, dass er die Uhr gegen sich hat. Hat die Kündigung Schwachstellen und stellt sich deshalb nach Monaten vor dem Arbeitsgericht oder womöglich erst im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung heraus, ist er zunächst einmal mit dem Risiko belastet, Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen. Das bedeutet, er muss dem Arbeitnehmer für die Zeit des Streits auch noch das Gehalt bezahlen, auch wenn dieser – wie meistens – gar nicht gearbeitet hat.

Anrechnung von erzieltem oder unterlassenem Zwischenverdienst

Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Arbeitnehmer, dessen berufliche Tätigkeit seine Existenz sichert, nicht arbeiten konnte, obwohl er es wollte und wegen der Unwirksamkeit der Kündigung auch durfte. Andererseits soll der Arbeitnehmer aus dieser Absicherung keinen Gewinn erzielen. Er soll also nicht mehr erhalten als er bei normalem Verlauf der Dinge erlangt hätte. Deshalb wird der Anspruch auf den Annahmeverzugslohn begrenzt: Erzielt der Arbeitnehmer während dieser Zeit bei einer neuen Stelle ein Gehalt, wird dieses angerechnet (§ 615 BGB oder § 11 Nr. 1 KSchG i.V.m. § 615 BGB).

Beispiel: Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus und befindet sich seitdem im Annahmeverzug. Der Arbeitnehmer tritt eine neue Stelle an und verdient hier 500,00 € brutto weniger als zuvor. Er hat gegen seinen alten Arbeitgeber noch einen Annahmeverzugsanspruch in Höhe von 500,00 € monatlich. Verdient er gleich viel oder mehr als zuvor, hat er keinen Anspruch  auf Annahmeverzugslohn für diese Zeit.

Diesen Umstand darf der Arbeitnehmer allerdings wiederum nicht so für sich nutzen, dass er absichtlich untätig bleibt. Angerechnet wird auch der fiktive Betrag, den ein Arbeitnehmer “böswillig zu erweben unterlässt”. Gemeint sind Fälle, in denen ein Arbeitnehmer ohne ausreichenden Grund die Gelegenheit einer neuen Arbeitsstelle ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird.

Keine Anrechnung von “sowieso-Vergütung”

Keine Regel ohne Ausnahme: Der Arbeitnehmer muss sich nicht jeden erzielten Verdienst anrechnen lassen. Es wird nur der Verdienst angerechnet, den der Arbeitnehmer erst dadurch überhaupt erzielen konnte, dass seine Arbeitskraft bei dem alten Arbeitgeber frei wurde.

Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet 20 Stunden in der Woche jeweils vormittags für seinen Arbeitgeber, am Nachmittag möchte er lieber etwas Interessanteres machen. Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus und befindet sich seitdem im Annahmeverzug. Für den Arbeitnehmer ergibt sich danach die Gelegenheit, zwei Mal in der Woche abends in einem Bistro auszuhelfen, was er in der Folge auch tut.

Hier ist das aus dem neuen Arbeitsverhältnis erzielte Verdienst nicht auf den Annahmeverzugslohn anzurechnen. Der Arbeitnehmer hätte die neue Stelle ebenso annehmen und ausüben können, wäre seine Arbeitskraft bei dem ursprünglichen Arbeitgeber nicht frei geworden.

Der Berechnungszeitraum: Von Anfang bis Ende

Um den Annahmeverzugslohn zu ermitteln wird eine Gesamtbetrachtung des Annahmeverzugszeitraums vorgenommen. Es erfolgt also keine monatsweise Gegenüberstellung und Bilanzierung.

Beispiel: Bei seiner bisherigen Tätigkeit hatte der Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt von 2.500,00 €. Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus, Annahmeverzug tritt am 01.12.2015 ein. Seitdem hat der Arbeitnehmer also grundsätzlich einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn von 2.500,00 € brutto im Monat. In der Zeit vom 01.12.2015 bis zum 31.12.2015 arbeitet der Arbeitnehmer anderweitig und verdient 2.000,00 € brutto. In der Zeit vom 01.02.2016 bis zum 31.03.2016 arbeitet der Arbeitnehmer wiederum anderweitig und verdient hierbei 3.000,00 € brutto, insgesamt also 6.000,00 € brutto. Am 31.03.2016 endet der Annahmeverzug.

Es wird der gesamte Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 31.03.2016 (4 Monate) betrachtet. In diesem Zeitraum hätte der Annahmeverzugslohn ungekürzt 4 x 2.500,00 € brutto, also 10.000,00 € betragen. Gekürzt wird er um den gesamten in diesem Zeitraum erzielten Zwischenverdienst von 8.000,00 € brutto. Es verbleibt ein Anspruch in Höhe von 2.000,00 € brutto.

Der Fall: Mehr Wochenstunden im neuen Job

Das Bundesarbeitsgericht hatte aktuell einen Fall zu entscheiden, bei dem die Arbeitgeberin auf den Annahmeverzugslohn auch den erzielten Zwischenverdienst anrechnete, den die Klägerin aufgrund einer erhöhten Wochenstundenzahl bei dem neuen Arbeitgeber erzielt hatte.

Die Klägerin arbeitete ursprünglich jeweils montags bis mittwochs jeweils von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr (12 Wochenstunden) bei einer Betriebskrankenkasse.

Die Betriebskrankenkasse kündigte das Arbeitsverhältnis am 18.11.2011 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung. Das Arbeitsgericht stellte noch im April 2011 fest, dass die Kündigung unwirksam war. Hiergegen legte allerdings die Arbeitgeberin Berufung und schließlich Revision ein, was einige Zeit in Anspruch nahm. Die Revision wurde im November 2013 zurückgewiesen, womit feststand, dass das Arbeitsverhältnis die gesamte Zeit über wegen der Unwirksamkeit der Kündigung fortbestanden hatte.

Die Klägerin fand zwischenzeitlich einen neue Arbeit. Seit Anfang des Jahres 2012 war sie für die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Nordrhein Westfalen tätig. Ihre Arbeitszeiten waren etwas länger als bei ihrem ursprünglichen Arbeitgeber, nunmehr jeweils montags bis mittwochs von 09:00 Uhr bis 14:40 Uhr (15 Wochenstunden). Die zusätzlichen insgesamt fünf Stunden waren aus familiären Gründen das Maximum dessen, was die Klägerin zeitlich leisten konnte und diese auch nur deshalb, weil hierfür keine erneuten Wegezeiten anfielen.

Die Arbeitgeberin rechnete das Arbeitsverhältnis für die Jahre 2012 und 2013 ab und rechnete jeweils die bei der neuen Arbeitsstelle der Klägerin erzielte Vergütung vollständig an. Da die Klägerin in ihrer neuen Stelle bereits aufgrund der erhöhten Stundenzahl mehr verdiente als zuvor, zahlte die Arbeitgeberin für diese Zeit kein Gehalt mehr aus.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf: Nur übereinstimmende Zeitfenster werden gezählt

Die Klägerin klagte hiergegen. Sie war der Ansicht, sie müsse sich nur den Verdienst anrechnen lassen, den sie in dem Zeitfenster 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr erworben hatte, was ihrer bisherigen Arbeitszeit entsprach – nicht aber den Verdienst, welcher in dem Zeitfenster 13:01 Uhr bis 14:40 Uhr von ihr erworben wurde.

Die beklagte Arbeitgeberin meinte hingegen, die Klägerin müsste sich den erzielten Zwischenverdienst vollständig anrechnen lassen, also auch die über ihre alte Arbeitszeit hinausgehenden Stunden. Sie argumentierte, dass die Klägerin ein zweites Arbeitsverhältnis mit einem weiteren neuen Arbeitgeber mit lediglich 5 Wochenstunden wegen der Wegezeiten familiär nicht hätte ermöglichen können. Die Ableistung dieser zusätzlichen 5 Stunden sei ihr erst durch das Freiwerden ihrer Arbeitskraft und damit der Möglichkeit, eine neue Tätigkeit mit 17 Stunden wöchentlich „en bloc“ aufzunehmen, möglich geworden.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf gab der Arbeitnehmerin Recht (Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.07.2015, Aktenzeichen 1 Sa 194/15. Zwar war nach Ansicht des LAG die neue Tätigkeit als solche erst durch das Freiwerden der Arbeitsleistung möglich geworden, wie sich bereits an den nahezu deckungsgleichen Arbeitszeiten zeigt.

Den Mehrverdienst, den die Klägerin deshalb erzielt hatte, weil sie wöchentlich 5 Stunden mehr arbeitete, musste sie sich nicht gegenrechnen lassen. Hierbei handelte es sich nach Ansicht des LAG um einen Verdienst, den die Arbeitnehmerin in einer Zeit erzielte, in der sie auch ihrem alten Arbeitgeber nicht ihre Arbeitskraft hätte zur Verfügung stellen müssen. Nach der Urteilsbegründung soll zwar der Arbeitnehmer unterm Strich nicht mehr erhalten als er erhalten hätte, wenn alles wie bisher weitergelaufen wäre – andersherum muss aber auch gelten, dass der Arbeitnehmer durch die Anrechnung keinen Nachteil erleiden soll. Arbeitet er also länger als bei seinem bisherigen Arbeitgeber und erzielt dadurch eine höhere Vergütung, ist es angemessen, wenn ihm der Mehrverdienst zugutekommt.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Bestätigung des Urteils LAG Düsseldorf)

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte das Urteil des LAG Düsseldorf vollständig und entschied ebenfalls, dass die Arbeitnehmerin sich nur die Vergütung für das ihren alten Arbeitszeiten entsprechende „Zeitfenster“ anrechnen lassen muss (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2016, Az. – 5 AZR 425/15). Angerechnet wurde also nur der Verdienst für die Arbeitszeit jeweils montags bis mittwochs von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Die Vergütung für den Zeitraum 13:01 Uhr bis 14:40 Uhr wurde nicht angerechnet.

Fazit: Mehr Klarheit beim Thema Zwischenverdienst

Der erzielte (wegen fehlender Kenntnis des Arbeitgebers seltener der unterlassene) Zwischenverdienst ist für den Arbeitgeber ein Umstand, der das Risiko der Annahmeverzugszahlung reduziert.

Der Arbeitgeber hat einen Auskunftsanspruch über die Einkünfte des Arbeitnehmers und bei Nichtauskunft das zeitweilige Recht, die Zahlung des Verzugslohns zu verweigern. Gleichwohl lastet auf dem Arbeitgeber im Fall der Unwirksamkeit der Kündigung ein massives finanzielles Risiko, da er in der Regel keine absolut zuverlässige Kenntnis darüber haben kann, welche Einkünfte der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit erzielt.

Genauso wird der Arbeitgeber selten zuverlässige Kenntnis darüber haben, ob die neue Tätigkeit auf dem Freiwerden der Arbeitskraft beruht. Lediglich bei einer „klassischen“ Vollzeitstelle und einer neuen, sich zeitlich deckenden Vollzeitstelle wird das unproblematisch sein. Selbstverständlich sind die Fälle nicht immer so offensichtlich wie in dem obigen Beispiel. So war es auch in dem aktuell entschiedenen Fall. Unzweifelhaft hatte die Klägerin nur deshalb die neue Stelle und damit auch die erhöhte Wochenstundenzahl, weil die Beklagte die Kündigung ausgesprochen hat. Dennoch war die Arbeitstätigkeit der Klägerin ab dem Zeitpunkt, an dem in ihrer alten Stelle die Arbeit beendet gewesen wäre, nicht mehr anzurechnen. Denn für den Arbeitgeber soll durch die Anrechnung nur der Zustand hergestellt werden, der auch bestanden hätte, wenn alles wie bisher weitergegangen wäre.

Das Urteil stellt klar, dass alleine die so genannte Kausalität – also die Verknüpfung des Freiwerdens der Arbeitskraft mit der neuen Arbeitsstelle – noch nicht ausreichend ist, um eine Anrechnung vorzunehmen. Daneben muss für jeden Einzelfall verglichen werden, ob der Zweck der Vorschrift noch erfüllt ist. Damit ist das Urteil vorteilhaft für Arbeitnehmer, denn es baut zusätzliche Hürden bei der Anrechnung auf.

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