Was im privaten Chat passiert – geht den Arbeitgeber manchmal doch etwas an.
Die Meinungsfreiheit ist ein, wenn nicht der Wert in unserer Verfassung schlechthin. Auch harte Worte und scharfe Kritik müssen wir uns untereinander ohne Zensur oder Qualitätskontrolle gefallen lassen. Nach unseren geschichtlichen Erfahrungen und auch vor dem Hintergrund der modernen Medien – Stichwort Cyber-Mobbing – kann dieses Grundrecht allerdings nicht schrankenlos gelten. Die Grenze ist da erreicht, wo andere vor Beleidigungen oder gar Hetze geschützt werden müssen. In diesem Fall gibt es dann keine Meinungsfreiheit mehr, aber gegebenenfalls ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Und was hat das alles mit dem Arbeitsrecht zu tun?
Grundsätzlich: Dienst ist Dienst und Chat ist Chat
Arbeitgeber müssen nicht alles gut finden, was ihre Mitarbeiter so machen. Soweit es um die Arbeitsleistung geht, haben sie natürlich das Recht, sich einzumischen, Forderungen zu stellen und Vorgaben zu erlassen. Dieses Recht endet jedoch grundsätzlich dort, wo der Privatbereich des Mitarbeiters beginnt, also der Bereich der eigentlichen Arbeitsleistung verlassen wird. Einen Graubereich gibt es bei Äußerlichkeiten wie der Kleidung (lesen Sie bei Interesse unter diesem Link weiter). Sofern der Arbeitgeber einer Religionsgemeinschaft angeschlossen ist, darf er sich auch für dieses eigentlich private Thema interessieren (bei Interesse folgen Sie diesem Link). Und eine Führungskraft oder ein Pressesprecher sollte bei öffentlichen Äußerungen auch eine „situative Loyalität“ an den Tag legen, wie sich die Rechtsprechung ausdrückt.
Sonstige Meinungsäußerungen im Rahmen der Freizeit in kleineren Gruppen oder im Zweiergespräch gehen den Arbeitgeber erst einmal nichts an. Jedenfalls solange nicht, wie sie nicht auf sein Unternehmen zurückwirken. Was heißt das?
Basis-Loyalität ist mit eingekauft
Jeder Arbeitsvertrag verpflichtet den Arbeitnehmer, auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sich auch außerhalb der Arbeitstätigkeit im weitesten Sinne loyal zu verhalten. Diese Pflichten leiten sich direkt aus dem Gesetz ab (§ 241 Abs. 2 BGB), sie sind daher in der Regel nicht im Arbeitsvertrag niedergeschrieben. Daher ist kaum einem Arbeitnehmer und auch nicht jedem Arbeitgeber explizit bekannt, dass es diese Pflichten gibt. Automatisch hält sich aber fast jeder daran. Hierfür muss kein Arbeitnehmer sein Unternehmen im privaten Umfeld bewerben, im Gegenteil muss sich der Arbeitgeber in der Regel selbst sachlich geäußerte öffentliche Kritik gefallen lassen. Sofern es aber um Beleidigungen jenseits der Meinungsfreiheit oder ähnliches geht, ist Zurückhaltung geboten. Denn neben möglicherweise strafrechtlichen Folgen können solche Handlungen den Arbeitgeber zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen berechtigen.
Eine kleine Auswahl der Gründe für eine fristlose Kündigung bei halböffentlichen Äußerungen (einsehbares Profil, z.B. facebook):
- Unternehmensschädigende Äußerungen
- Preisgabe vertraulicher Interna
- Ehrverletzende Äußerungen jenseits der Meinungsfreiheit („Menschenschinder“, Urteil LAG Hamm vom 10.10.2012, Az. 3 Sa 644/12; „so ein faules Schwein, der noch nie gearbeitet in seinem Scheißleben … diese Dreckssau…“, Urteil Arbeitsgericht Hagen vom 16.05.2012, Az. 3 Ca 2597/11; Behauptung, der Arbeitgeber lüge wie gedruckt und wie er mit Menschen umgehe, da komme er (der Arbeitnehmer) sich vor wie im Dritten Reich (LAG Hessen, Urteil vom 14.09.2010, Az. 3 Sa 243/10); „Besser eine Frau mit Charakter als drei Schlampen.“ gegenüber der Vorgesetzten und zwei Mitarbeiterinnen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.06.2011, Az. 5 Sa 509/10)
- Hetzerische Äußerungen jenseits der Meinungsfreiheit („Ich hoffe, dass alle verbrennen… die nicht gemeldet sind.“ zu einem Brand in einer Asylunterkunft; Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 22.03.2016, Az. 5 Ca 2806/15), siehe hierzu auch die unten besprochenen Fälle
- Umstritten: Drücken eines „Gefällt-mir-Knopfes“ zu Äußerungen wie den oben genannten (Urteil Arbeitsgericht Dessau-Roßlau vom 21.03.2012, Az. 1 Ca 148/11)
Die Zwei-Wochen-Frist und die Form
Möchte ein Arbeitgeber sich aus einem der obigen oder aus einem anderen Grunde fristlos von einem Mitarbeiter trennen, heißt es: Zügig und korrekt arbeiten. Die Kündigung muss binnen zwei Wochen nach Bekanntwerden des Grundes für die Kündigung ausgesprochen werden, denn anderenfalls „kann es ja so dringend nicht sein“, argumentiert der Gesetzgeber. Die Kündigung muss alle Formalia erfüllen, die für eine so genannte ordentliche Kündigung auch gelten. Insbesondere muss sie schriftlich erfolgen (keine E-Mail, keine SMS, kein Chat) und dem Arbeitnehmer rechtzeitig und beweisbar zugehen.
Sonderfall Chat
Messenger-Dienste, unter denen WhatsApp der weitverbreitetste ist, sind insofern ein Sonderfall, als dass sie ein Privatgespräch abbilden. Ein Chat bildet z.B. die Situation einer Kommunikation im Familienkreis ab, wie sie sonst beim Abendessen stattgefunden haben könnte. Oder einen Plausch zwischen Kollegen, die nach der Arbeit in der Bar zusammenkommen. Der Arbeitgeber würde kaum jemals etwas vom Inhalt solcher Gespräche erfahren haben. Der große Unterschied liegt darin, dass der Gesprächsinhalt in dem Chatdienst festgeschrieben ist, also auch nach Tagen und Wochen noch abrufbar und damit beweisbar ist.
Hier gilt wie auch in halböffentlicher oder gar öffentlicher Runde, dass strafbare Äußerungen im Bereich der groben Beleidigung, Menschenverachtung, üblen Nachrede oder Hetze den Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung berechtigen können, während das bei so genannten einfachen Formalbeleidigungen – die auch strafbar sein können – in der Regel nicht der Fall ist (z.B. Vollidiot, Schlampe).
Diese Grenze sah das LAG Baden-Württemberg in diesem Fall als erreicht an:
Fristlose Kündigung wegen übler Nachrede
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt der Kündigung seit drei Tagen als kaufmännische Angestellte bei dem Arbeitgeber angestellt war. Sie hatte in ihrer Freizeit ein Café besucht und dort einen Bekannten getroffen. Dieser äußerte, dass ein Mitarbeiter des Arbeitgebers und gleichzeitig der Vater des Geschäftsführers angeblich ein verurteilter Vergewaltiger sei. Diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen, wie die Mitarbeiter später – im Zusammenhang mit ihrer Kündigung – erfuhr. Noch am selben Tag schickte die spätere Klägerin einer Kollegin über den Messenger-Dienst WhatsApp mehrere Nachrichten, auszugsweise schrieb sie: „Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber er soll ein verurteilter Vergewaltiger sein, deswegen will ganz L. nichts mehr mit ihm zu tun haben.“ und „Keine Ahnung, das haben die Leute nicht dazu gesagt, aber ganz EHRLICH für so jemanden werde ich nicht arbeiten. Und DU auch nicht. Ich lasse mir etwas einfallen. Mäuschen. So was ist schon eine krasse Behauptung. Das haben mir mehrere Leute unabhängig voneinander erzählt. . …. Er soll früher wohl auch Betrug in der Versicherungsbranche durchgeführt haben. Das soll aber nie angezeigt worden sein. … Ich weiß es auch nicht, aber die Leute, die mir das erzählt haben, haben noch nie Mist erzählt. Bin auch schockiert gewesen, als ich das gehört habe.”
Die auf diese Weise angeschriebene Kollegin erbat sodann einen Gesprächstermin mit dem Geschäftsführer, welche noch am selben Tag stattfand und an welcher auch der Vater des Geschäftsführers teilnahm. Nachdem die Gesprächsteilnehmer Kenntnis von der WhatsApp-Kommunikation erlangt hatten, kündigten sie der Arbeitnehmerin, welche die Nachrichten verschickt hatte, fristlos. Diese erhob gegen die Kündigung Klage vor dem Arbeitsgericht und argumentierte, sie habe auf die Vertraulichkeit der Kommunikation mit ihrer Kollegin vertraut.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg urteilte, dass die fristlose Kündigung wirksam ist (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2019, Az. 17 Sa 52/18). Das Verhalten der Arbeitnehmerin erfüllt den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) zu Lasten des Arbeitgebers bzw. ihres Vorgesetzten. Die unzutreffende Behauptung, der Vater des Geschäftsführers sei ein verurteilter Vergewaltiger ist geeignet, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dass die Mitteilung an nur eine Person und dies vermeintlich vertraulich gerichtet war, hindert nicht einen vollständigen Vertrauensverlust des Arbeitgebers. Zu Ungunsten der Klägerin hat das Gericht in diesem Zusammenhang gewertet, dass diese das Gerücht nicht einer Überprüfung, z.B. durch eigene Nachfragen an ihren Bekannten unterzogen, sondern die Behauptung in dem Chat mit ihrer Kollegin als feststehende Tatsache behandelt hat.
Fristlose Kündigung wegen Fremdenfeindlichkeit
Ganz besonders gelten die oben dargestellten Grenzen der Meinungsfreiheit natürlich, wenn nicht nur mittelbar über Arbeitgeber oder Kollegen „gelästert“ wird, sondern die grobe Beleidigung sogar in direkter Ansprache geschieht. Ebenfalls das LAG Baden-Württemberg entschied in diesem Zusammenhang folgenden Fall:
Der spätere Kläger war seit dem Jahr 1996 bei einem Autobaukonzern als Anlagewart beschäftigt. Er verschickte von seinem Mobiltelefon über WhatsApp an das Mobiltelefon eines türkischen Kollegen, der muslimischen Glaubens ist, verschiedene Text-, Bild- und Tondokumente, welche massiv islamfeindliche Inhalte zum Gegenstand hatten. Ferner beleidigte der Arbeitnehmer den Kollegen in einer Tondatei als „Arschloch“. Nachdem wegen dieser Vorfälle Ermittlungen aufgenommen wurden, beleidigte der spätere Kläger seinen türkischstämmigen Kollegen auch verbal (u.a. „Dreckstürkenpack“, „du hast deine Tochter wahrscheinlich auch schon jemanden versprochen, so macht ihr Türken das doch“, „Du stinkst“, „Du hässlicher Türke“, „jede Kostenstelle braucht seinen Türken“).
Der Arbeitgeber kündigte dem Mitarbeiter fristlos. Dieser griff die Kündigung an und verteidigte sich mit dem Argument, die zugesandten Inhalte seien humorvoll gemeint gewesen und der Umgang untereinander sei auf diesem „gewissen Niveau“ gewesen.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg urteilte, dass die fristlose Kündigung wirksam ist (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.12.2019, Az. 17 Sa 3/19). Das Verhalten des Klägers war weder von der Meinungs- noch von der Kunstfreiheit gedeckt. Die Meinungsfreiheit hat regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurückzutreten. Auch wenn dieser Bereich des Ehrenschutzes wegen des hohen Rangs der Meinungsfreiheit eng zu verstehen ist, stellten die WhatsApp-Nachrichten des Klägers grobe Beleidigungen dar. Das Gericht ging sodann davon aus, dass der Kläger sich durch das kommentarlose Versenden den Inhalt dieser Meinungsäußerungen (Bilder, Ton) zu Eigen gemacht hat und sich hieraus ergibt, dass der Versender die weitergeleitete Meinungsäußerung teilt. Die verbal geäußerten Beleidigungen kamen noch hinzu.
Fazit
Eine fristlose Kündigung hat harte Folgen für den gekündigten Arbeitnehmer und ist deshalb gravierenden Pflichtverletzungen vorbehalten. Ganz besonders muss das gelten, wenn sich der Anlass der Kündigung außerhalb der eigentlichen Arbeitsleistung findet. Wer aber wie im ersten Fall in strafbarer Weise üble Nachrede gegenüber Vorgesetzten, Kollegen oder Auftragnehmern begeht, muss mit einer fristlosen Kündigung selbst dann rechnen, wenn die Kommunikation (nur) in einem Zweier-Gespräch erfolgt. Und auch das Versenden vermeintlich „witziger“ Bilder oder Audiodateien kann, wenn der Versender sich hiervon nicht durch einen eigenen Kommentar distanziert, im jeweiligen Kontext eine schwere Beleidigung gegenüber Kollegen und damit einen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen.
So ist für jeden Einzelfall abzuwägen: Wie stark ist der Bezug der Äußerung zum Arbeitgeber? Wie schwer ist das Vertrauensverhältnis verletzt? Welche Stellung hat der Arbeitnehmer im Unternehmen? Diese und andere Argumente spielen eine Rolle, schematische Lösungen sind weder für die „Soziale-Netzwerke-Fälle“ noch für die „Chat-Fälle“ möglich.
Haben Sie Fragen zu dem Thema fristlose Kündigung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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