Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20.10.2022 (8 Sa 465/22)
Der Weg der verhaltensbedingten Kündigung führt über eine oder mehrere Abmahnungen. Oder anders gesagt: Ohne wirksame Abmahnung bei „normalem“ Fehlverhalten keine Kündigung.
Wirksam ist eine Abmahnung, die folgende Bestandteile enthält:
- Präzise Darlegung des beanstandeten Verhaltens
- Rüge des beanstandeten Verhaltens und Aufforderung zum vertragstreuen Verhalten
- Mitteilung, dass im Wiederholungsfall eine Kündigung ausgesprochen werden wird
Erfüllt eine Abmahnung diese Voraussetzungen nicht, kann der Arbeitnehmer verlangen, sie aus der Personalakte zu entfernen, eine Gegendarstellung zur Personalakte zu nehmen oder sich in einem Kündigungsschutzprozess auf die Unwirksamkeit der Abmahnung berufen. Gerade letzteres kann ein echter gamechanger im Prozess sein, denn eine verhaltensbedingte Kündigung erfordert wie oben beschrieben in aller Regel eine vorangegangene wirksame Abmahnung, anderenfalls ist sie – also die Kündigung – unwirksam.
Wann erfüllt die Abmahnung ihre Warnfunktion – und wann nicht?
Der Kern der Abmahnung ist die Warnung: Tu dies nicht mehr oder tu in Zukunft jenes, anderenfalls droht dir die Kündigung. Nur wenn diese Nachricht zweifelsfrei beim Empfänger ankommt, kann die Abmahnung ihre Warnfunktion erfüllen.
Nun könnte man meinen, je mehr Abmahnungen, umso deutlicher die Warnung. Genau das ist allerdings nach der Rechtsprechung nicht der Fall: Verteilt der Arbeitgeber Abmahnungen inflationär, darf der Arbeitnehmer glauben, der Arbeitgeber mahne lediglich immer wieder ab, aber kündige nie. Die Warnfunktion schwächt sich daher nach einer gewissen Anzahl an Abmahnungen ab. Wann das der Fall ist, kommt auf das abgemahnte Fehlverhalten (stets dasselbe?) und den zeitlichen Ablauf (schnell hintereinander?) an.
Eine Überraschung ähnlicher Art erlebte auch ein Arbeitgeber vor dem Landesarbeitsgericht Köln:
Was war passiert? Kündigung bei nächster Pflichtverletzung nach Abmahnungsbündel
Der seit vier Jahren in der Produktion beschäftigte Arbeitnehmer erhielt im März 2021 zeitgleich drei Abmahnungen, die jeweils den Vorwurf einer verspäteten Arbeitsaufnahme zum Gegenstand hatten. Als der spätere Kläger einige Monate später erneut verspätet zur Arbeit erschien, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt. Gegen die Kündigung legte der Arbeitnehmer Klage ein und argumentierte, die Kündigung sei unwirksam, weil sich – wie es im Falle mehrerer vorheriger und gleichgelagerter Abmahnungen erforderlich sei – keiner der Abmahnungen entnehmen lasse, dass es sich um die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung im Wiederholungsfall handele. Dementsprechend habe der Kläger für den Fall einer erneuten Verspätung nicht mit einer Kündigung gerechnet.
Das Urteil: Zeitgleiche Abmahnungen wirken wie eine Abmahnung
Das Gericht gab dem Kläger Recht und stellte die Unwirksamkeit der Kündigung fest (Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20.10.2022, Az. 8 Sa 465/22). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren Abmahnung bedurft hätte. Hinsichtlich der drei ausgesprochenen Abmahnungen sei zu berücksichtigen, dass diese nicht jeweils unmittelbar nach dem Fehlverhalten ausgesprochen wurden, sondern gebündelt anlässlich des nächsten Verspätungsfalls. Daher habe der Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht lediglich eine Warnung erhalten. Die Situation sei insoweit vergleichbar mit derjenigen, in der der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine einheitliche Abmahnung für mehrere Pflichtverstöße erteilt und bei der nächsten gleichgelagerten Pflichtverletzung kündigt. In beiden Fällen werde dem Arbeitnehmer nach der erteilten Warnung keine zweite Chance eingeräumt. Einer solchen hätte es wegen der verhältnismäßig geringen Schwere der Pflichtverletzung aber bedurft, um dem Kläger eine letzte Gelegenheit zu geben, geeignete Vorkehrungen gegen eine weitere verspätete Arbeitsaufnahme zu treffen.
Fazit
Bei der gebündelten Übergabe mehrerer Abmahnungen handelt es sich zwar um mehrere einzelne Warnungen, die aber zeitlich nur einmal wirken und daher im Endeffekt dieselbe Wirkung entfalten wie eine einzelne Abmahnung. Je nachdem, welches Verhalten gerügt wird, ist daher der Ausspruch einer Kündigung bei nächster Gelegenheit – wie hier im Fall einer verspäteten Arbeitsaufnahme – trotz der „Mehrfachwarnung“ unverhältnismäßig und die Kündigung unwirksam.
An diesem Fall zeigt sich erneut, dass richtiges Abmahnen knifflig sein kann, was in Gerichtsprozesses häufig Arbeitnehmern nutzt. Diese sind also gut beraten, etwaige Abmahnungen überprüfen zu lassen wie auch Arbeitgeber gut beraten sind, sich für die Formulierung und den Ausspruch von Abmahnungen professioneller Hilfe zu bedienen.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Abmahnung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
KERNER Rechtsanwälte
Fachanwälte für Arbeitsrecht
Leisewitzstraße 28
30175 Hannover
T: 0511 279008-0
F: 0511 279008-20
info@kanzlei-kerner.de
www.kanzlei-kerner.de