Arbeitnehmerpflichten bei Stellensuche und Zwischenverdienst
Gegen eine Kündigung können Arbeitnehmer binnen drei Wochen nach der Zustellung der Kündigung Klage erheben. Das Arbeitsgericht überprüft, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht – falls nicht, besteht das Arbeitsverhältnis fort. 175.000 solcher Klagen werden jährlich eingereicht, binnen weniger Wochen nach Klageerhebung werden drei viertel davon durch eine gerichtlich moderierte finanzielle Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erledigt. Kommt es allerdings zu keiner Einigung, dauert der Rechtsstreit deutlich länger. Wird die Kündigung schließlich durch das Gericht für unwirksam erklärt, hat der Arbeitnehmer also ohne sein Verschulden schon einige Zeit keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Daher hat der Arbeitnehmer bei Unwirksamkeit der Kündigung dennoch Anspruch auf das Gehalt für diesen Zeitraum. Diesen Anspruch nennt man Annahmeverzugslohn. Dieses Risiko des Arbeitgebers ist ein wesentlicher Grund, weshalb Arbeitgeber so häufig bereit sind, sich auf eine Abfindung zu einigen. Das Bundesarbeitsgericht erlegt allerdings den Arbeitnehmern im Laufe des Kündigungsrechtsstreits Pflichten auf und hat diese in jüngerer Rechtsprechung konkretisiert.
Grund genug für einen Blog mit den wichtigsten Fragen zum Annahmeverzugslohn.
Wann wird kein Annahmeverzugslohn gezahlt?
Wie oben gezeigt hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Annahmeverzugslohn in Höhe des bisherigen Gehalts, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer unwirksamen Kündigung die Arbeitsleistung nicht annimmt. Extra anbieten muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung dafür nicht. Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht allerdings nicht uneingeschränkt. Der Arbeitnehmer soll sich an dieser Absicherung nicht bereichern, deshalb muss er sich auf den Annahmeverzugslohn das anrechnen lassen,
- was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
- was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen,
- was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist.
Hat der Arbeitnehmer also während des Kündigungsschutzverfahrens eine andere Stelle angenommen oder sich selbständig gemacht, wird die auf diese Weise erhaltene Summe bei der Ermittlung des Annahmeverzugslohns abgezogen (§ 11 KSchG). Dasselbe gilt für Transferleistungen, insbesondere ALG I.
Beispiel: Während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens nimmt der Arbeitnehmer eine andere Stelle an, verdient hier aber 500,00 Euro weniger als zuvor. Er hat gegen seinen alten Arbeitgeber noch einen Anspruch in Höhe dieser 500,00 Euro monatlich. Verdient er gleich viel oder mehr als zuvor, hat er keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Der Annahmeverzugslohn wird allerdings im Ergebnis nicht monatsweise ermittelt, sondern für den gesamten Zeitraum dem erzielten oder unterlassenen Verdienst gegenübergestellt.
Beispiel: Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus, Annahmeverzug tritt ein. Der dem Arbeitnehmer zustehende Annahmeverzugslohn in Höhe des bisherigen Gehaltes wird gekürzt um das Einkommen, dass der Arbeitnehmer im Verlaufe des Kündigungsschutzprozesses bis zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erwirbt (z.B. 4 x 2.500 Euro bisheriges Gehalt abzüglich 3 x 2.000 Euro zwischenzeitlich erzieltes Gehalt = 4.000 verbleibender Annahmeverzugslohn).
Eine Ausnahme von der Anrechnung ist die „sowieso-Vergütung“. Das ist Einkommen, welches der Arbeitnehmer auch dann hätte erzielen können, wenn alles beim Alten und seine Arbeitskraft im bisherigen Umfang gebunden geblieben wäre.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet 20 Stunden in der Woche jeweils vormittags für seinen Arbeitgeber. Der Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus und befindet sich seitdem im Annahmeverzug. Für den Arbeitnehmer ergibt sich während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens die Gelegenheit, zwei Mal in der Woche abends in einem Bistro auszuhelfen, was er in der Folge auch tut. Das im neuen Arbeitsverhältnis erzielte Einkommen muss sich der Arbeitnehmer nicht auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen.
Wann wird eine Chance auf Einkommen böswillig unterlassen?
Dass zwischenzeitlich erzieltes Einkommen auf den Annahmeverzugslohn angerechnet wird, darf der Arbeitnehmer nicht so für sich nutzen, dass er absichtlich untätig bleibt. Wie oben dargestellt wird auch der fiktive Betrag angerechnet, den ein Arbeitnehmer “böswillig zu erwerben unterlässt”. Gemeint sind Fälle, in denen ein Arbeitnehmer ohne ausreichenden Grund die Gelegenheit einer neuen Arbeitsstelle ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird.
Seit langem besteht auf Arbeitgeberseite das Problem, dass sich eben diese Untätigkeit in einem Rechtsstreit schwer beweisen lässt. Denn der Arbeitgeber trägt zwar als klagende Partei die Beweislast, kann aber kaum in Erfahrung bringen, ob der Arbeitnehmer zwischenzeitlich einer anderen Arbeit nachgeht oder ob er gar ein Arbeitsangebot ausgeschlagen hat.
Diesem Umstand trägt das höchste deutsche Arbeitsgericht seit seinem Urteil vom 27.05.2020 (Az. 5 AZR 387/19) verstärkt Rechnung und stellt fest: Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich arbeitssuchend zu melden und dem Arbeitgeber über ihm zugeleitete Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit Auskunft zu erteilen. Anderenfalls kann er Annahmeverzugslohnansprüche verlieren. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat auf Grundlage dieses Urteils einem Arbeitnehmer, der sich nicht arbeitssuchend gemeldet hat, den Annahmeverzugslohn vollständig abgesprochen (LAG Niedersachsen, Urteil vom 09.11.2021, Az. 10 Sa 15/21). Auch der Umstand, dass der gut ausgebildete und ehemals in einer herausgehobenen Managementposition tätige Arbeitnehmer durch die Arbeitssuchendmeldung einen „Imageschaden“ befürchtete, änderte daran nichts.
Beispiel für unterlassenen Zwischenverdienst: Ein Arbeitgeber spricht eine unwirksame Kündigung aus. Der gut qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt gefragte Arbeitnehmer meldet sich weder arbeitssuchend noch kümmert er sich anderweitig um eine andere Beschäftigung. Obgleich er aufgrund des Annahmeverzugs eigentlich Anspruch auf Annahmeverzugslohn in Höhe seines Gehaltes hätte, wird ihm der auf diese Weise entgangene, also fiktive Verdienst angerechnet. Je nach Qualifikation des Arbeitnehmers und dem bisherigen Gehalt kann er seinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn so vollständig verlieren.
Ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, nach der Arbeitssuchendmeldung über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit hinaus eigenitiativ nach einer neuen Stelle zu suchen, ließ das Bundesarbeitsgericht bislang offen.
Fazit
Arbeitgeber haben seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2020 bessere Möglichkeiten, das Risiko des Annahmeverzugs zu mindern, indem der Arbeitnehmer mindestens aufgefordert werden kann, sich zu den Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit zu äußern. Arbeitnehmer sind also stärker als bisher in der Darlegungslast hinsichtlich ihrer Bemühungen um einen Zwischenverdienst. Es bleibt aber abzuwarten, wie die weitere Rechtsprechung diese Bemühungen und ihren Nachweis ausgestaltet – eine neue, auf den Einzelfall abgestimmte strategische Bewertung ist so oder so auf beiden Seiten nötig.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Annahmeverzug bzw. Annahmeverzugslohn? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
KERNER Rechtsanwälte
Fachanwälte für Arbeitsrecht
Leisewitzstraße 28
30175 Hannover
T: 0511 279008-0
F: 0511 279008-20
info@kanzlei-kerner.de
www.kanzlei-kerner.de