Freistellung „für Verhandlungen“ – oder: Arbeitnehmer mürbe machen für Fortgeschrittene
Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 06.02.2020
Arbeit ist für die meisten Menschen mehr als nur ein notwendiges Übel. Kollegen treffen, ein geregelter Tagesablauf und im besten Fall das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun – all das macht uns zufrieden und motiviert uns. Aus diesen Gründen stellt eine Kündigung neben den finanziellen Einbußen einen so tiefen Einschnitt in das gewohnte Leben dar. Erfolgt dann noch eine mehr oder weniger sofortige Freistellung, ist dies häufig mit einem regelrechten Schock verbunden. Mitarbeiter fühlen sich in solchen Situationen leicht ersetzbar und vor den Kollegen bloßgestellt. Sie befürchten außerdem, dass sie, selbst wenn sie einen Kündigungsrechtsstreit gewinnen, im Betrieb keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Mindestens ebenso unangenehm ist es, in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis freigestellt zu werden, denn hier ist die Intention des Arbeitgebers ebenfalls überdeutlich.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hatte kürzlich einen Fall zu beurteilen, in dem von Seiten des Arbeitgebers eine stattliche Anzahl an herabsetzenden Maßnahmen einschließlich einer einseitigen Freistellung „für Verhandlungen über die Aufhebung des Anstellungsverhältnisses“ gegenüber der Arbeitnehmerin zusammenkamen. Dabei war sich die Arbeitgeberseite augenscheinlich im Unklaren, ob bzw. wie ein solches Vorgehen mit dem Arbeitsrecht vereinbar ist. Anlass für einen Überblick zum Thema!
Das Recht des Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung auch zu erbringen, wenn sie unter Fortzahlung des Gehalts abgelehnt wird, ist gesetzlich nicht geregelt. Schon in den 50er Jahren hat das Bundearbeitsgericht dieses Recht allerdings etabliert. Es wird aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hergeleitet, denn die Verrichtung der Arbeit gestaltet das Leben und damit auch die Persönlichkeit. Dennoch besteht dieser Anspruch nicht unbegrenzt. Folgende Konstellationen können sich ergeben:
Freistellung während Kündigungsschutzverfahren (Weiterbeschäftigungsanspruch)
Nach dem Ausspruch einer Kündigung können Sie einen Weiterbeschäftigungsanspruch als betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch nach § 102 BetrVG oder als allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch aus dem Persönlichkeitsrecht geltend machen.
In ersterem Fall muss der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung widersprochen haben und der Arbeitnehmer daraufhin neben der Kündigungsschutzklage die Weiterbeschäftigung verlangen. Dann ist der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtsstreits verpflichtet.
Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ist häufiger und besteht in der Regel, wenn die Kündigung unwirksam ist, ein entsprechender Antrag bei Gericht gestellt wird und überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers einer Weiterbeschäftigung nicht entgegenstehen. Solche Interessen können etwa vorliegen, wenn konkret zu befürchten ist, dass Betriebsgeheimnisse an die Konkurrenz weitergegeben werden.
Freistellung im laufenden Arbeitsverhältnis (Beschäftigungsanspruch)
Ist bislang keine Kündigung ausgesprochen bzw. die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen, besteht ein Beschäftigungsanspruch nach den Bedingungen des Arbeitsvertrags. Juristisch gesehen handelt es sich hierbei um eine Nebenpflicht des Arbeitgebers, die unabhängig von der Zahlung des Gehaltes besteht. Die Freistellung als Entbindung von den Aufgaben ist nur zulässig, wenn überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers vorliegen. In der Regel kann der Arbeitgeber seine Mitarbeiter im laufenden Arbeitsverhältnis nicht gegen ihren Willen freistellen. Insbesondere ist dies in der Regel nicht wirksam möglich, solange keine Kündigung ausgesprochen wurde. Sobald dies geschehen ist, muss der Fall nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts differenzierter je nach den wechselseitigen Interessen betrachtet werden.
Abwertung oder Entzug der Tätigkeiten
Eine besondere Art der „Freistellung“ ist der Entzug der bisherigen Aufgaben. Wenn Sie hiervon betroffen sind, werden Sie von Ihrem Chef bzw. Vorgesetzten angewiesen, zwar weiterhin zur Arbeit zu erscheinen, werden aber mit geringwertigeren und / oder weniger Aufgaben betraut. Mitunter wird auch die örtliche Arbeitsplatzsituation zu Ihrem Nachteil verändert. Geschieht ein solches Verhalten zielgerichtet, handelt es sich meistens um einen Versuch, Sie zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder einer Eigenkündigung zu bewegen.
Wenig überraschend ist ein solches Verhalten dem Arbeitgeber grundsätzlich untersagt. Allerdings ist der Fall nicht immer eindeutig. Die Beschäftigung muss sich in den Grenzen des Arbeitsvertrags bewegen. Häufig erlaubt dieser Rahmen dem Arbeitgeber durchaus die Veränderung der Aufgaben. Auch können rechtmäßig die Zusammensetzung des Teams und die Raumsituation etc. verändert werden. Es kommt also auf den konkreten Fall an, ob das Vorgehen (noch) rechtmäßig ist. Klare Grenzen sind allerdings die folgenden:
Werden die Aufgaben vollständig entzogen oder signifikant abgewertet, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die Zuteilung von Aufgaben im Rahmen seines Arbeitsvertrags (also z.B. Aufgaben „als IT-Techniker“). Im öffentlichen Dienst gibt die Entgeltgruppe darüber hinaus Anhaltspunkte hinsichtlich der Qualität der zu übertragenden Aufgaben.
Erfolgt ein Aufgabenentzug oder die Zuweisung abgewerteter Tätigkeiten bzw. nonsens-Aufgaben, obwohl weiterhin Bedarf an der Erledigung der ursprünglichen Aufgaben besteht, und wird der Arbeitnehmer darüber hinaus im Betrieb zielgerichtet isoliert, kann es sich um Mobbing bzw. Bossing handeln. Ein solches Verhalten kann neben dem Beschäftigungsanspruch einen Schmerzensgeldanspruch auslösen. Indizien hierfür wären eine zielgerichtete Trennung von der bisherigen Vernetzung (z.B. Löschung des E-Mail-Accounts), ein von den übrigen Mitarbeitern signifikant isoliertes Büro (Stichwort: Kellerraum) oder die Zuweisung eines nicht eingerichteten Arbeitsplatzes.
Sämtliche Beispiele entstammen realen Rechtsstreitigkeiten. Ein weiteres Beispiel für einen Arbeitgeber, der „sämtliche Register“ gezogen hat, war Anlass für diesen Blog-Beitrag und trug sich wie folgt zu.
Was war passiert? Geschäftsführende Oberärztin wird zwecks Verhandlungen freigestellt
Die spätere Klägerin arbeitete seit dem Jahr 2001 als Ärztin in einer Universitätsklinik. Im Jahr 2016 wurde sie geschäftsführende Oberärztin für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie und habilitierte im selben Jahr. Als Hochschullehrerin betreute sie mehrere Promotionsverfahren. Um sich erfolgreich für eine Professur bewerben zu können, hätte sie noch anderthalb Jahre aktiv als Ärztin arbeiten müssen. Das Arbeitsverhältnis verlief bis zum Jahr 2018 spannungsfrei. Als im Jahr 2018 ein neuer Chefarzt die Klinik übernahm und eigenes Personal mitbrachte, entstand ein Personalüberhang. Es kam zu Spannungen zwischen der späteren Klägerin und dem neu eingesetzten Chefarzt. Erstmalig in ihrer Beschäftigung erkrankte die Klägerin daraufhin länger und wiederholt.
Im Juli 2019 setzte der Arbeitgeber ein Organigramm in Kraft, in welchem die Klägerin keine Bereichsleitung mehr innehatte. Als die spätere Klägerin im November 2019 ihren Dienst wieder antreten wollte, erhielt sie ein Freistellungsschreiben. Hier wurde ausgeführt, dass die Freistellung für die Dauer der Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche gelte sowie wie folgt:
„Im Anschluss daran bleibt die Freistellung aufrechterhalten, insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses oder für den Fall, dass eine – vorübergehende – Tätigkeit aus betrieblichen Gründen notwendig ist. …..“
Ihre Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Visitenkarten sowie das dienstliche Notebook musste sie abgeben. Ihr Account im System der Klinik wurde gelöscht. Aus den Telefonlisten und dem Urlaubsplaner wurde sie gestrichen.
Daraufhin klagte sie auf vertragsgemäße Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin. Sie obsiegte in erster Instanz, wurde jedoch am Tag darauf vollständig von der Homepage der Klinik gelöscht. Man einigte sich sodann für die Dauer des Rechtsstreits auf ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen einer Assistenzärztin im Schichtdienst in einem anderen Arbeitsbereich mit reduzierter Vergütung und unter Versagung eines ursprünglich bereits bewilligten Urlaubs.
In zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht begehrte die Klägerin nach wie vor die vertragsgemäße Beschäftigung. Sie argumentierte, dass ihre fehlende angemessene berufliche Beschäftigung erhebliche Auswirkungen auf ihre berufliche, insbesondere auch wissenschaftliche Tätigkeit habe. Sie erleide weiter einen massiven Reputationsschaden, auch sei die Möglichkeit des Erhalts einer Professur stark beeinträchtigt.
Der Arbeitgeber verwies darauf, dass die begehrte Oberarztstelle bereits besetzt sei. Die Freistellung sei außerdem nicht grundlos erfolgt, sondern aufgrund von beruflichen Spannungen zwischen der Klägerin und dem dortigen Chefarzt. Schließlich zeigen die wiederholten längeren Krankheitszeiten, dass der Klägerin eine vorübergehende Freistellung zumutbar sei.
Das Urteil: Klare Worte für den Beschäftigungsanspruch
Das Landesarbeitsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil, wonach die Klinik verurteilt worden war, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag genannten Bedingungen als geschäftsführende Oberärztin zu beschäftigen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Arbeitgeber nicht befugt war, den sich aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der Klägerin ergebenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses zu suspendieren. Das Gericht verwies darauf, dass aus der Trennung von allen Systemen und EDV-Zugängen der Klägerin zweifelsfrei ein Reputationsverlust folge und absehbar auch Beeinträchtigungen für ihre wissenschaftliche Tätigkeit. Die Erkrankungen der Klägerin hingegen führten nicht zu einem rechtlich relevanten Verlust der hierarchischen Position.
Weiter führte das Gericht ausdrücklich aus, dass es rechtlich unbeachtlich ist, wenn ein neuer Chef das Team anpasst und bestimmt, mit welchen Mitarbeitern er zusammenarbeiten möchte. Wird eine neue Person für eine Leitungsposition zusammen mit dem von diesem favorisierten Team angeworben, obliegt es dem Arbeitgeber, das Problem der Doppelbesetzung unter Beachtung der arbeitsvertraglichen Ansprüche seiner Arbeitnehmer zu lösen. Ein Teamüberhang oder ein nicht (mehr) passendes Team kann daher nicht als schutzwürdiges Interesse der Arbeitgeberseite anerkannt werden. Diese Fragestellung hätte die Beklagte ggf. bereits vor Entstehung des Überhangs lösen müssen.
Schließlich ist das Gericht auch der Auffassung, dass der Arbeitgeber die rechtliche Möglichkeit der einseitigen Freistellung zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht hat. Kein Arbeitnehmer sei rechtlich verpflichtet, Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages durchzuführen. Das versuche die Klinik mit der Freistellung jedoch durchzusetzen. Eine solche Vorgehensweise sei nicht schutzwürdig.
Fazit
Das Urteil findet für das Vorgehen des Arbeitsgebers deutliche Worte der Missbilligung. Nicht immer liegt der Fall so klar. Vor allem aber bringen Arbeitnehmer nicht immer den Mut auf, in einem (noch) ungekündigtem Arbeitsverhältnis ihren Beschäftigungsanspruch durchzusetzen. Der Versuch, eine solche Situation auszusitzen, wird hingegen kaum jemals Erfolg haben. Vielleicht ist es hilfreich, zu wissen, dass zwischen Untätigkeit und einem Gerichtsverfahren noch vieles möglich ist: Als Anfang eine Beratung „hinter den Kulissen“, in denen die verschiedenen Optionen erwogen werden und Klarheit über Ihre Rechtsposition entsteht. Im Folgenden können außergerichtliche Gespräche mit anwaltlicher Unterstützung (mit oder ohne Präsenz nach außen) zu guten Ergebnissen führen. Ob stattdessen oder hieran anschließend ein Gerichtsverfahren geführt wird oder die Situation anders beigelegt wird, entscheiden Sie. Für diese Entscheidung ist eine gute Beratung allerdings die Basis.
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