Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.11.2015
Zur Unwirksamkeit von pauschalen Sozialplanabfindungen nur für Schwerbehinderte
Ein Sozialplan wird zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart, um wegen einer Betriebsänderung bevorstehende Nachteile für die Belegschaft abzumildern. Solche Nachteile sind beispielsweise Entlassungen. Die am Sozialplan beteiligten Parteien können grundsätzlich frei entscheiden, in welcher Form für diese Nachteile ein Ausgleich gewährt werden soll. Im Fall von Entlassungen sind Abfindungszahlungen ein gebräuchlicher Regelungsinhalt des Sozialplans. In der Praxis haben sich für die Höhe solcher Sozialplanabfindungen Berechnungsformeln entwickelt, die sich am Lebensalter und der Betriebszugehörigkeit orientieren. So kommt es in der Regel zu individuell verschieden hohen Abfindungszahlungen.
Ist die Verwendung einer Berechnungsformel zwingend?
Nein. Nicht nur, ob Abfindungen gezahlt werden, sondern auch in welcher Weise diese ermittelt werden, ist erst einmal Sache der verhandelnden Parteien. Problematisch kann die Berechnung einer Sozialplanabfindung dann werden, wenn unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden und dabei eine Gruppe von Arbeitnehmern diskrimiert wird. Ein solches Vorgehen verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bei Benachteiligungen aus verschiedenen, in § 1 des AGG genannten Gründen. Einer dieser Gründe ist die Benachteiligung wegen einer Behinderung.
Welchen Unterschied machen das Alter oder eine Behinderung in der finanziellen Bewertung des Arbeitsverhältnisses?
Die sog. “Rentennähe” des Arbeitnehmers ist ein Kriterium, das bei der Errechnung von Sozialplanabfindungen herangezogen werden kann. In diesem Fall erhalten Arbeitnehmer, die nahe an dem Eintritt in die Rente sind, weniger Abfindung. Das liegt daran, dass diese in der Lage sind, mit Hilfe des Arbeitslosengeldes die Zeit bis zur Rente zu überbrücken und daher weniger Härte abgefedert werden muss.
Bei schwerbehinderten älteren Arbeitnehmern besteht dazu die Besonderheit, dass diese noch früher in Rente gehen können als ihre nicht schwerbehinderten Kollegen. Hier ist also unter Umständen eine noch geringere Zeitspanne zu überbrücken und eine noch geringe Härte abzufedern.
Der Fall: Pauschale Abfindung nur für Schwerbehinderte
Einen Fall, in denen ein Sozialplan mit dem AGG in Konflikt kam, hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden:
Geklagt hatte ein schwerbehinderter Arbeitnehmer. Dieser wurde aufgrund einer geplanten Betriebsstillegung entlassen. In dem hierzu ausgehandelten Sozialplan war vereinbart, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer eine pauschale Abfindung erhalten sollten, während nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer eine an ihrer Betriebszugehörigkeit, ihrem bisherigen Gehalt und ihrer Rentennähe orientiere Abfindung erhalten sollten. Für die nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer, die vor dem 01.02.1952 geboren waren und ein Jahr nach ihrem Ausscheiden Anspruch auf Altersrente haben würden, war die Abfindung auf 40.000,00 € begrenzt. Die Abfindung der Gruppe der Schwerbehinderten konnte rechnerisch höher oder niedriger sein als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers. Für den klagenden Arbeitnehmer hätte sich bei Anwendung der Berechnungsformel eine Abfindung von ca. 64.500,00 € brutto ergeben, seine pauschale Abfindung aufgrund seiner Schwerbehinderung sollte 11.000,00 € betragen.
Der 1950 geborene Kläger klagte aufgrund seines Rentenanspruchs die Differenz zu 40.000,00 € ein mit dem Argument, als Schwerbehinderter mit einer Pauschalabfindung von 11.000,00 € benachteiligt zu sein.
Das Urteil
Wie bereits das Arbeitsgericht Köln gab auch das Landesarbeitsgericht Köln dem Kläger Recht und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung der Differenz (Urteil vom 19.11.2013, Az. 12 Sa 692/13). In der Urteilsbegründung führte das Landesarbeitsgericht aus, dass eine Sozialplanregelung dann unwirksam ist, wenn sie dazu führt, dass die Abfindung für einen wesentlichen Teil der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer geringer ausfällt als die der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Alter bei gleicher Entgelthöhe. Dann handelt es sich um eine gesetzlich verbotene Diskriminierung aufgrund von einer Behinderung. Das führt dazu, dass diese Arbeitnehmer eine Abfindung in der Höhe verlangen können, wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer an ihrer Stelle.
Auf die zugelassene Revision hin entschied schließlich das Bundesarbeitsgericht (BAG) ebenfalls, dass dem Kläger die Differenz von 30.000,00 € zusteht (Urteil des BAG vom 17.11.2015, Az. 1 AZR 938/13). Zur Begründung führte das Bundesarbeitsgericht nach der Pressemitteilung ebenso wie zuvor das Landesarbeitsgericht aus, dass bei einer Unterscheidung im Sozialplan zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten sind und eine Pauschalierung für schwerbehinderte Arbeitnehmer eine an das Merkmal der Behinderung anknüpfende Ungleichbehandlung darstellt. Diese Regelung darf den schwerbehinderten Arbeitnehmern gegenüber nicht angewendet werden.
Fazit
Eine an das Lebensalter anknüpfende Berechnung einer Abfindung ist erst einmal nicht verboten. Auch eine Berechnung, mit der für rentennahe Arbeitnehmer nur deren bis zum Renteneintritt entstehenden Nachteile kompensiert werden, ist nach der Rechtsprechung des BAG möglich. Gegen ein gesetzliches Verbot verstößt der Sozialplan aber dann, wenn er zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe führt. Entsprechend konnte der Kläger beanspruchen, was ihm nach dem Sozialplan als nicht behinderter Arbeitnehmer zugestanden hätte.
Das ist nicht überraschend. Der Arbeitgeber hatte offensichtlich an das Merkmal der Schwerbehinderung angeknüpft und eine in der Regel geringere Abfindung für diese Beschäftigtengruppe vorgesehen. Anders wäre der Fall voraussichtlich zu beurteilen gewesen, wenn für die früher rentenberechtigten schwerbehinderten Arbeitnehmer eine Formel verwandt worden wäre, die das Merkmal des früheren Renteneintritts berücksichtigt.
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