Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.04.2019
Jeder hat davon gehört, nur wenige nehmen ihn in Anspruch: In Niedersachsen wurden im Jahr 2013 bei rund 3.750.000 Erwerbstätigen 38.863 Bildungsveranstaltungen nach dem Bildungsurlaubsgesetz durchgeführt. Nur gut ein Prozent der niedersächsischen Arbeitnehmer/innen nimmt also Bildungsurlaub in Anspruch.
Anlass für einen Überblick zum Thema.
Was ist Bildungsurlaub?
Bildungsurlaub ist eine Form der Arbeitnehmerweiterbildung, die in den Bundesländern unterschiedlich geregelt ist. In 14 Bundesländern gibt es ein Bildungsurlaubsgesetz, in Niedersachsen heißt es „Niedersächsisches Gesetz über den Bildungsurlaub“. Allen Bildungsurlaubs-Gesetzen ist gemeinsam, dass sie eine bezahlte Freistellung von der Arbeit für Veranstaltungen vorsehen, die der beruflichen und / oder politischen Weiterbildung dienen.
Wer hat Anspruch auf Bildungsurlaub?
Das Niedersächsische Gesetz über den Bildungsurlaub gilt für Arbeitnehmer/innen, Auszubildende, in Heimarbeit beschäftigte Personen und so genannte arbeitnehmerähnliche Personen. Vor der erstmaligen Inanspruchnahme ist eine Wartezeit von sechs Monaten im Betrieb zu erfüllen.
Wie lang ist der Bildungsurlaub?
In Niedersachsen beträgt der Anspruch auf Bildungsurlaub fünf Arbeitstage innerhalb eines Kalenderjahres bei einer 5-Tage-Woche, § 2 Abs. 4 Nds. Bildungsurlaubsgesetz. Dieser Umfang ist auch für viele andere Bundesländer typisch. In Niedersachsen kann darüber hinaus nicht ausgeschöpfter Bildungsurlaub aus einem Kalenderjahr noch im folgenden Jahr in Anspruch genommen werden, wenn es sich um eine zusammenhängende Bildungsveranstaltung handelt, § 2 Abs. 4 Nds. Bildungsurlaubsgesetz.
Welche Voraussetzungen muss die Bildungsmaßnahme erfüllen?
Die Weiterbildung muss in Niedersachsen eine durch die Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung anerkannte Bildungsmaßnahme eines ebenfalls anerkannten Bildungsträgers sein. Durch die Maßnahme müssen Kenntnisse vermittelt werden, die dem Weiterbildungszweck des Gesetzes entsprechen – das ist bei entsprechend anerkannten Maßnahmen gewährleistet. Ob eine Bildungsmaßnahme entsprechend anerkannt ist, können Sie bei dem Veranstalter oder der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung erfragen.
Wann darf der Arbeitgeber den Antrag auf Bildungsurlaub ablehnen?
Der Arbeitgeber kann die Gewährung von Bildungsurlaub für den mitgeteilten Zeitraum ablehnen, wenn zwingende betriebliche oder dienstliche Belange entgegenstehen (§ 8 Abs. 2 Nds. Bildungsurlaubsgesetz). Die Erholungswünsche anderer Arbeitnehmer, denen unter sozialen Gesichtspunkten eine Verlegung des Erholungsurlaubs nicht zuzumuten ist, sind vorrangig zu berücksichtigen. Alleine die Tatsache, dass noch andere Mitarbeiter zum fraglichen Zeitraum im Urlaub sind, genügt jedoch nicht, wenn regelmäßig mehreren Mitarbeitern zur gleichen Zeit Urlaub gewährt wird.
Der Arbeitgeber kann die Gewährung von Bildungsurlaub außerdem ablehnen, sobald die Zahl der Tage, die die gesamte Belegschaft für Bildungsurlaub in Anspruch nehmen möchte, das 2,5-fache der Anzahl der Arbeitnehmer/innen des Unternehmens erreicht (§ 3 Nds. Bildungsurlaubsgesetz). Es ist also in Niedersachsen aus Arbeitnehmersicht sinnvoll, Bildungsurlaub möglichst früh im Jahr zu nehmen.
Wann und wie muss der Anspruch geltend gemacht werden?
Die Inanspruchnahme von Bildungsurlaub muss der Arbeitnehmer unter Angabe der Bildungsveranstaltung dem Arbeitgeber so früh wie möglich, in der Regel mindestens vier Wochen vorher, schriftlich mitteilen. Hat der Arbeitnehmer den Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und der Arbeitgeber ihn nicht spätestens zwei Wochen vor Beginn der Veranstaltung schriftlich abgelehnt, so gilt der Bildungsurlaub als bewilligt (§ 8 Abs. 4 Nds. Bildungsurlaubsgesetz).
Durchsetzung: Zur Not mit einstweiliger Verfügung
Idealerweise wird der Bildungsurlaub frühzeitig beantragt und gewährt. Gibt es allerdings Probleme, ist der Arbeitnehmer unter Umständen gezwungen, per arbeitsgerichtlicher Entscheidung oder – falls die Bildungsmaßnahme schon bald beginnen soll – per einstweiliger Verfügung vor dem Arbeitsgericht im so genannten Eilrechtsschutz eine Entscheidung zu erwirken. Achtung: Selbstbeurlaubung ist keine gute Option, sie kann empfindliche arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen!
Was sind Beispiele für Bildungsmaßnahmen?
Ein klassisches Beispiel für eine Maßnahme nach den Bildungsurlaubsgesetzen ist ein Sprachkurs, insbesondere mit in der Geschäftswelt verwendbaren Inhalten. Ebenso können anerkannte Seminare aus den Bereichen Kommunikationstraining etc. im Bildungsurlaub belegt werden.
Aber auch eher entspannungsgeprägte Seminare sind unter Umständen bildungsurlaubsfähig, wie das folgende Beispiel zeigt.
Yoga als Bildungsurlaub? Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.04.2019
Ein Yogakurs bei der Volkshochschule, das klingt nach Freizeitvergnügen. Ein Arbeitnehmer in Berlin beantragte jedoch für den fünftägigen Kurs „Yoga I – erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“ bei seinem Arbeitgeber Bildungsurlaub. Der Arbeitsgeber wies den Anspruch mit dem Argument zurück, die Veranstaltung sei nicht bildungsurlaubsfähig. Der Arbeitnehmer erhob Klage mit dem Ziel, den Bildungsurlaub für die Veranstaltung zugesprochen zu kommen.
Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin bekam der Arbeitnehmer nun Recht, das Gericht bejahte den Anspruch auf Bildungsurlaub für den Kurs. Der Arbeitgeber musste seinen Mitarbeiter also für diesen Zeitraum bezahlt freistellen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Kurs die Voraussetzungen des Berliner Bildungsurlaubsgesetzes erfülle. Nach Ansicht des Gerichts reicht es aus, dass eine Veranstaltung der beruflichen Weiterbildung dient und dieser Begriff sei weit zu verstehen. Zu fördern sei auch die Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter den Bedingungen des fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels. Diese Voraussetzung könne auch ein Yogakurs erfüllen (Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.04.2019, Az. 10 Sa 2076/18).
Fazit: Berufliche Bildung muss nicht immer „klassisch“ sein
Das Berliner Bildungsurlaubsgesetz weist im Vergleich zu dem Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz eine Besonderheit auf: Berufliche Bildungsveranstaltungen durch öffentliche Volkshochschulen gelten in Berlin als anerkannt im Sinne des Bildungsurlaubsgesetzes (§ 11 Abs. 1 Berliner Bildungsurlaubsgesetz). In Niedersachsen sind nur tatsächlich anerkannte Veranstaltungen bildungsurlaubsfähig. Dieser konkrete Rechtsstreit könnte sich in Niedersachsen also nicht wiederholen. Das Berliner Urteil ist aber dennoch interessant: Es zeigt sowohl Arbeitnehmern wie auch den anerkennenden Stellen auf, dass berufliche Weiterbildung über die klassischen Maßnahmen hinausgehen kann und gegebenenfalls auch soll. Es kann also lohnenswert sein, sich bei entsprechenden Kursangeboten zumindest nach einer Anerkennung zu erkundigen oder eine solche auch einmal bei der Anerkennungsstelle anzuregen.
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