Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 09.08.2018
Sie beschäftigen qualifizierte Mitarbeiter, die am Arbeitsmarkt händeringend gesucht werden? Glückwunsch! Allerdings sind Sie in diesem Fall wahrscheinlich auch von einem Phänomen betroffen, dass in Zeiten des Fachkräftemangels um sich greift: Der Abwerbung von Mitarbeitern durch Personaldienstleister oder gleich die Konkurrenz direkt. Das kann angesichts der Investitionen, die man zur Einstellung und Ausbildung seiner Angestellten tätigt, ganz schön ärgerlich sein.
Darf man das? Ja, aber nur fair!
Die freie Entscheidung eines Arbeitnehmers hinsichtlich seines Berufs und Arbeitsplatzes ist ein Grundrecht (Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz) und wird daher alleine von der Wettbewerbslage beeinflusst. Ansonsten kann ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nach Belieben wählen und wechseln, lediglich die Kündigungsfrist muss er einhalten. Entscheidet sich ein Arbeitnehmer also gegen seinen aktuellen Arbeitgeber und für die Konkurrenz, ist dagegen rechtlich betrachtet erst einmal nichts einzuwenden.
Wirkt allerdings ein Dritter, entweder ein Konkurrent selbst oder ein hierzu beauftragtes Dienstleistungsunternehmen, auf den Arbeitnehmer mit dem Ziel ein, diesen zum Arbeitgeberwechsel zu veranlassen, kann dies unter bestimmten Bedingungen rechtswidrig sein und zu Schadenersatzansprüchen führen. Das ist der Fall, wenn bei der Abwerbung „verwerfliche Zwecke“ verfolgt, „verwerfliche Methoden“ angewandt werden oder die Art der Kontaktaufnahme unlauter erfolgt. Dann verstößt das Vorgehen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Was ist ein verwerflicher Zweck?
Erfolgt die Abwerbung aus bestimmten Gründen, ist sie schon von vorneherein rechtswidrig. Verwerflich in diesem Sinne ist die gezielte Abwerbung zum Zwecke, Geschäftsgeheimnisse zu erfahren und zu nutzen. Außerdem ist verwerflich die „Abwerbung“ mit der Absicht, den Mitarbeiter überhaupt nicht einzustellen, sondern dem Konkurrenzunternehmen lediglich die Leistungsfähigkeit zu entziehen.
Problematisch ist häufig der Nachweis dieser Gründe, so dass etwaige Beweismittel sorgsam gesichert werden sollten.
Was sind verwerfliche Methoden?
Nicht erlaubt ist auch, wenn der Abwerbende über den früheren Arbeitgeber unwahre oder beleidigende Äußerungen verbreitet, dazu können auch erfundene nahende „Kündigungswellen“ o.ä. zählen.
Selbstverständlich darf dem Abwerbe-Kandidaten auch nicht gedroht werden, genausowenig dürfen illegale Vorteile versprochen werden. Werden Vorteile in Aussicht gestellt, müssen diese etwas mit dem Arbeitsplatzwechsel zu tun haben.
Verwerflich ist es auch, wenn der Abwerbe-Kandidat gezielt zum Vertragsbruch verleitet wird, was insbesondere die Kündigungsfrist betrifft.
Was ist unlautere Kontaktaufnahme?
Es ist der erste, zugleich der wichtigste Schritt für einen Headhunter: Der berühmte „Fuß in der Tür“. Dieser darf aber nicht wörtlich erfolgen, jedenfalls nicht in den Betriebsräumen des aktuellen Arbeitgebers. Aber auch am Telefon kennt die Rechtsprechung Grenzen: Wenn der Headhunter den betrieblichen Telefonanschluss nutzt, blockiert er gewissermaßen die Infrastruktur des Arbeitgebers und bindet zugleich die Arbeitskraft des Arbeitnehmers. Sofern dies einmalig und kurzzeitig passiert, ist es aber nach überwiegender Ansicht hinzunehmen. Erst mehrfache Anrufe, in denen das Anliegen vertieft wird, die also über einen reinen Erstkontakt hinausgehen, werden von sämtlichen Gerichten als wettbewerbswidrig angesehen. Nicht wettbewerbswidrig ist es also, wenn eine erste telefonische Kontaktaufnahme erfolgt, bei der das grundsätzliche Interesse an einer neuen Stelle abgefragt und deren Eckdaten beschrieben werden und sodann ein weiterer Kontakt im privaten Bereich besprochen wird (Leitentscheidung des OLG Stuttgart vom 17.12.1999, Az. 2 U 133/99 und Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.03.2004, Az. I ZR 221/01). Alles, was darüber hinausgeht, ist am Arbeitsplatz des Abwerbe-Kandidaten kritisch zu sehen.
Das klingt nun so, als könnte ein Arbeitgeber gegen eine Kontaktaufnahme im privaten Bereich nichts unternehmen. Das ist richtig, soweit es die Freizeit des Mitarbeiters betrifft. Die Grenzen geschärft hat aktuell allerdings das Oberlandesgericht Frankfurt für eine Kontaktaufnahme auf dem Privathandy des Mitarbeiters während der Arbeitszeit.
Was war passiert? Mitarbeiter wird auf Privathandy widerholt kontaktiert.
Sowohl Kläger als auch Beklagter sind bundesweit tätige Personaldienstleister, die Arbeitnehmer an Dritte überlassen. Um einem Mitarbeiter der Konkurrenz ein Angebot zu unterbreiten, rief eines der Unternehmen diesen sieben Mal innerhalb von fünf Tagen auf dem privaten Mobiltelefon an. Die Anrufe erfolgten während der üblichen Arbeitszeit und es erfolgten keine Nachfragen, ob der Angerufene sich am Arbeitsplatz befinde. Als das andere Unternehmen dies erfuhrt, verlangte es, es zu unterlassen, seine Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz zum Zwecke der Abwerbung anzurufen, soweit das Gespräch über eine erste Kontaktaufnahme hinausgeht.
Urteil des Oberlandesgerichts: Mehrfache Anrufe sind wettbewerbswidrig.
Der Kläger bekam durch alle Instanzen Recht, zuletzt aktuell vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Das Gericht urteilte, das klagende Unternehmen sei in wettbewerbswidriger Weise gezielt behindert worden.
Das Gericht begründete das Urteil damit, dass zwar im Rahmen des freien Wettbewerbs das Abwerben von Mitarbeitern grundsätzlich hinzunehmen sei. Werde jedoch die Ungestörtheit der Betriebsabläufe beeinträchtigt, sind die damit verbundenen Abwerbemaßnahmen unzulässig. Die Interessen beider Betroffenen sind also abzuwägen. Im Ergebnis sei, wie es die Rechtsprechung auch bislang schon vorsah, eine erste kurze Kontaktaufnahme zur Erfragung des Interesses an einem vertieften Kontakt zulässig. Unzulässig seien Folgekontakte am Arbeitsplatz. Ein Arbeitgeber muss also am Arbeitsplatz stattfindende Werbung zu Gunsten eines Wettbewerbs nicht uneingeschränkt dulden. Das gelte auch, wenn die Kontaktaufnahme über das private Mobiltelefon erfolge. In diesem Fall könne der Anrufer zwar nicht wissen, ob der Angerufene sich am Arbeitsplatz befinde, müsse das aber zu Gesprächsbeginn in Erfahrung bringen („Nachfragebobliegenheit“). Das Urteil ist rechtskräftig.
Was kann ein betroffener Arbeitgeber tun?
Das aktuell ergangene Urteil spiegelt die bislang ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung und stärkt Arbeitgebern den Rücken: Man muss sich, salopp ausgedrückt, nicht alles gefallen lassen. Bekommen Sie als Arbeitgeber mit, dass Ihre Mitarbeiter massiven und / oder wiederholten Abwerbeversuchen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, können Sie hiergegen vorgehen.
Verletzt ein Konkurrent oder ein durch die Konkurrenz angeheuerter Headhunter beispielsweise die Nachfrageobliegenheit, ob Ihr Mitarbeiter sich am Arbeitsplatz befindet und beginnt ein längeres Gespräch, ist dies wettbewerbswidrig.
4 Nr. 4 UWG kennt unter dem Oberbegriff des Behinderungswettbewerbs das „Ausspannen“, wobei hier sowohl Kunden als auch Arbeitnehmer gemeint sind. Wie oben beschrieben, kommt es zur Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit darauf an, wie der Konkurrent oder ein von ihm beauftragter Dienstleister vorgeht. Geschieht dies in unlauterer Weise, kann der Betroffene zunächst einmal die Unterlassung dieses Vorgehens verlangen (§ 8 UWG). Zudem kann nach § 9 UWG Schadenersatz verlangt werden, wenn ein ersatzfähiger Schaden eingetreten ist. Wie immer, aber in diesem Bereich besonders, gilt es, Beweise zu sammeln und zu dokumentieren.
Haben Sie Fragen zu den Themen Abwerbeversuche am Arbeitsplatz? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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