Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.2018
Ist ein Arbeitsverhältnis in die Brüche gegangen, gäbe es häufig genug noch Scherben aufzufegen: Ein paar Tage offener Urlaub, das letzte Gehalt steht noch aus, der Schlüssel ist noch nicht zurückgegeben… Aber morgen ist ja auch noch ein Tag und übermorgen ebenfalls. Jedenfalls heute möchte man sich wirklich nicht mit diesem unverständigen Ex-Chef / Ex-Mitarbeiter auseinandersetzen. Auf diese Weise können leicht ein paar Wochen oder Monate ins Land gehen, zumal man vielleicht ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist oder als Arbeitgeber das Kerngeschäft dringlich ist. Und bis zur Verjährungsfrist ist es noch lange hin.
Viele unserer Mandanten sind erstaunt, wenn wir sie über eine arbeitsrechtliche Besonderheit informieren: Sehr häufig bestimmt der Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag eine im Verhältnis zu der Verjährungsfrist sehr viel kürzere Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen. Diese beträgt in der überwiegenden Zahl der Fälle drei Monate. Sind also beispielsweise seit der Nichtzahlung eines Gehaltes mehr als die drei Monate vergangen und wurde der Anspruch in dieser Zeit nicht juristisch korrekt geltend gemacht, ist der Anspruch verfallen (Ausnahmen unten). Daher heißt eine solche Klausel Verfallfrist oder Ausschlussfrist. In Tarifverträgen kann die Frist sogar kürzer sein, unter anderem im TV-L und TVöD mit sechs Monaten aber auch länger. Beachten Sie in diesem Zusammenhang unbedingt, dass eine Ausschlussfrist auch mittelbar für das Arbeitsverhältnis greifen kann: Bestimmt Ihr Arbeitsvertrag, dass die Regelungen eines Tarifvertrags gelten und ist dort eine Ausschlussfrist geregelt, gilt diese ebenfalls für Sie!
Es ist daher nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses für alle Beteiligten wichtig zu wissen, ob es eine solche Frist gibt und wie viel Zeit entsprechend für die Geltendmachung zur Verfügung steht.
Aufgrund ihrer Brisanz sind Ausschlussfristen ein arbeitsrechtlicher „Dauerbrenner“. Das bedeutet aber nicht, dass das Thema bereits vollständig geklärt ist, in regelmäßigen Abständen haben die Arbeitsgerichte hier Neues zu beurteilen. Daher hier unser Update zum Thema.
Immer öfter die Rettung: Unwirksamkeit der Ausschlussfrist
Ausschlussfrist verpasst, kann man da noch etwas machen? Man kann zunehmend öfter! Denn eine Ausschlussfrist, die ihrerseits nicht den juristischen Spielregeln entspricht ist unwirksam und dann kann der Anspruch tatsächlich erst mit Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist nicht mehr geltend gemacht werden.
Und eine formvollendete Ausschlussfrist zu formulieren, wurde in den letzten Jahren schwieriger. Insbesondere zwei Gesetzesänderungen haben hierzu geführt und spielen immer öfter den Arbeitnehmern in die Hände:
Erstens: Das „Textformgebot“
Ausschlussfristen lauteten seit jeher in etwa so: „Wechselseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten schriftlich bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.“ Auch bisher musste der Arbeitnehmer seine Ansprüche allerdings nicht schriftlich in Form eines Briefes geltend machen, sondern konnte dies auch per Fax oder später per E-Mail tun. Der Gesetzgeber beschloss, diesen Umstand deutlicher zu machen. Für nach dem 30.09.2016 geschlossene Arbeitsverträge muss es lauten: „wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten in Textform bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden“, denn ein Fax oder eine E-Mail sind im juristischen Sinne Textform und nicht die strengere Schriftform. Achtung: In Tarifverträgen darf es weiterhin wirksam „Schriftform“ heißen.
Alle mit solchen neueren Arbeitsverträgen ausgestatteten Arbeitnehmer sollten daher überprüfen, ob es in ihrem Arbeitsvertrag noch „Schriftform“ heißt. Es gibt zwar noch keine entsprechenden höchstgerichtlichen Urteile, jedoch müsste eine solche Ausschlussfrist in einem Individualarbeitsvertrag nach der Gesetzesänderung zugunsten des Arbeitnehmers unwirksam sein. Zu den Details und Hintergründen der Änderung haben wir hier geschrieben.
Zweitens: Das „Mindestlohngebot“
Das Mindestlohngesetz (MiLoG) ist am 16.08.2014 in Kraft getreten und regelt einen allgemeinen Mindestlohn. Das Problem in Sachen Ausschlussfrist besteht darin, dass der Mindestlohn gesetzlich garantiert ist. Der Arbeitnehmer soll also immer in der Lage sein, diesen Mindestlohn zu verlangen. Unzulässig ist es daher, wenn ein Arbeitgeber diesen Anspruch ausschließt. Was aber, wenn der Arbeitnehmer „aktiv“ eine Ausschlussfrist verstreichen lässt? Im Ergebnis darf ihm der Mindestlohn auch dann nicht verloren gehen, so will es der Gesetzgeber. Schon im Jahr 2014 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitnehmer in die Irre geführt werden kann, wenn der Mindestlohnanspruch nicht ausdrücklich aus der Ausschlussklausel ausgenommen ist (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2016, Az. 5 AZR 703/15). Diese müsste also lauten: „(…) seine Ansprüche mit Ausnahme des Anspruchs auf den Mindestlohn geltend macht“ oder ähnlich. Geschieht dies nicht, kann die Ausschlussfrist vollständig unwirksam sein – also auch in Bezug auf höheren Lohnanspruch (!). Realistischerweise wird man das aber nur für Arbeitsverträge verlangen können, die nach dem Inkrafttreten des MiLoG geschlossen wurden. Achtung: Bei Ausschlussfristen in Tarifverträgen kann der über den Mindestlohn hinausgehende Anspruch wirksam ausgeschlossen sein.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hingegen schlug deshalb keine hohen Wellen, weil es nicht zum MiLoG erging, sondern zu einem Mindestlohn in der Pflegebranche, welcher dort durch Verordnung festgelegt ist.
Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob das Urteil auf das MiLoG übertragen werden kann; die Landesarbeitsgerichte urteilen hier uneinheitlich. Es ist allerdings gut möglich, dass das Bundesarbeitsgericht in Kürze so urteilen wird – den Versuch wäre es für Arbeitnehmer bei einer verpassten Ausschlussfrist aktuell allemal wert.
Drittens: Die Hemmung durch Vergleichsgespräche
Das Bundesarbeitsgericht hatte aktuell über Urlaubstage und Restlohn zu urteilen, die nach Ansicht des Arbeitgebers verfallen waren. Die Ausschlussfrist betrug drei Monate und schloss Ansprüche auf Mindestlohn nicht ausdrücklich aus. Eigentlich hätte das Bundearbeitsgericht also die obige Frage nach dem Ausschluss der Mindestlohnansprüche klären sollen. Es kam indessen anders: Die Besonderheit in diesem Fall war, dass der Arbeitgeber auf die außergerichtliche Forderung des Arbeitgebers hin Gespräche über eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit anbot. Entgegen der Vorinstanzen entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die geführten Vergleichsgespräche den Ablauf der Ausschlussfrist unterbrachen, wie es parallel für die Verjährung vorgesehen ist (§ 203 Abs. 1 BGB). Auf diese Weise war die Ausschlussfrist gewahrt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 262/17). Dies führte dazu, dass die obige Frage nicht mehr relevant war, ob die Auslassung von Mindestlohnansprüchen zur Unwirksamkeit der Klausel geführt haben.
Auch diese aktuelle Feststellung des Bundesarbeitsgerichts sollte man im Hinterkopf haben: Hat man einvernehmliche Gespräche über eine Lösung geführt, wird der Ablauf der Frist für die (gerichtliche) Geltendmachung der Forderung unterbrochen und zwar nach § 203 Abs. 1 BGB solange, bis eine Partei die Verhandlungen abbricht.
Fazit
Arbeitnehmern ist zu raten, Ausschlussfristen möglichst einzuhalten, dies verhindert einen Streit um deren Wirksamkeit von vorneherein. Sollte eine Ausschlussfrist abgelaufen sein, ist es Stand jetzt gut denkbar, dass deren Wirksamkeit je nach Formulierung am „Mindestlohn-Vorbehalt“ scheitert und daher (nur) die Verjährungsgrenze gilt. Sofern nach der Geltendmachung Vergleichsgespräche geführt werden, sollten diese zudem möglichst beweisfest dokumentiert werden.
Arbeitgebern raten wir dringend, ihre Ausschlussfristen unter anderem in Hinblick auf die obigen Punkte sorgfältig zu formulieren bzw. angesichts der mittlerweile vielen Besonderheiten formulieren zu lassen.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Ausschlussfristen? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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