Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2018
Arbeitgeber und Betriebsrat: Es kann kompliziert sein
Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist nicht immer einfach. Das gilt zum einen auf der persönlichen Ebene, aber auch auf der rechtlichen. Es ist geprägt durch etliche gesetzliche Vorschriften, zusammengefasst im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). An dieser Stelle sollen allerdings nicht die umfangreich abgestuften Beteiligungsvorschriften behandelt werden, bei Interesse finden Sie hier dazu nähere Informationen. In diesem Beitrag geht es um einen aktuellen Fall, der sich mit zwei gesetzlichen Vorgaben zum Betriebsrat befasst. Das Kündigungsschutzgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz untersagen
- die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ohne wichtigen Grund und Zustimmung des Betriebsrates und
- die Bevorzugung eines Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern.
Bei Missachtung droht im ersten Fall die Erklärung der Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht aufgrund von § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Eine Bevorzugung eines Betriebsratsmitglieds wäre hingegen ein Verstoß gegen § 78 BetrVG und damit zugleich eine Straftat nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, vorgesehen ist Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr (das gleiche gilt übrigens für die Behinderung der Betriebsratswahl oder -arbeit).
Was also tun, wenn die Chemie nicht stimmt?
Das Gesetz stellt also sicher, dass Betriebsräte weder besser noch schlechter behandelt werden als die übrigen Arbeitnehmer und im Übrigen nur sehr schwer zu kündigen sind. Was in der Theorie nachvollziehbar klingt, kann den Arbeitgeber in der Praxis zur Verzweiflung bringen, wenn es mit einem Betriebsratsmitglied nun so gar nicht passen will. Dabei muss nicht einmal die Betriebsratstätigkeit Ausschlag geben, auch hinsichtlich des allgemeinen Arbeitsverhältnisses kommt es bekanntlich mitunter zu unversöhnlichen Differenzen.
Solche Differenzen waren in einem Arbeitsverhältnis aufgetreten, welches schließlich – wie in solchen Fällen häufig – mit einem Aufhebungsvertrag beendet wurde. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun darüber zu entscheiden, ob die dortigen Konditionen eine unzulässige Bevorzugung des Betriebsratsmitglieds dargestellt hatten.
Was war passiert: Großzügige Abfindung für den Betriebsratsvorsitzenden
Der Arbeitnehmer und spätere Kläger war seit dem Jahr 1983 bei einem größeren Unternehmen beschäftigt und dort seit dem Jahr 2006 freigestellter, also „hauptberuflicher“ Betriebsratsvorsitzender.
Der Arbeitgeber wollte im Jahr 2013 das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen, da dem Arbeitnehmer vorgeworfen wurde, eine Assistentin sexuell belästigt und gestalkt zu haben. Während eines diesbezüglichen Rechtsstreits schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, welcher eine Abfindung in Höhe von 120.000,00 € netto sowie einer bezahlten Freistellung für zweieinhalb weitere Jahre vorsah. Als Nebenabrede wurde dem Arbeitnehmer nach dessen Angaben ferner ein fabrikneues Reisemobil zugesagt.
Der Arbeitnehmer erhob ein Jahr nach Abschluss dieser Vereinbarung Klage gegen seinen Arbeitgeber. Er war der Ansicht, der Aufhebungsvertrag sei nichtig, so dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Das beruhe darauf, dass er gesetzeswidrig als Betriebsratsmitglied bevorzugt behandelt worden sei. Er argumentierte damit, dass die Abfindungssumme und die Freistellung übermäßig großzügig ausgefallen seien, wohingegen ein „normaler“ Angestellter einen solchen goldenen Handschlag nicht erhalten hätte. § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches sieht vor, dass gesetzeswidrige Verträge unwirksam sind.
Der Arbeitgeber war hingegen der Ansicht, die getroffene Regelung sei gültig und habe das Arbeitsverhältnis zum vereinbarten Zeitpunkt beendet. Immerhin sei bei den geführten Gerichtsverfahren eine sehr lange mögliche Verfahrensdauer durch alle Instanzen möglich gewesen, die in die Vereinbarung eingepreist wurde. Eine bindende Höchstgrenze für Abfindungen gebe es schließlich nicht. Im Übrigen hegte der Arbeitgeber im Gerichtsverfahren nur wenig Hoffnung, die gezahlte Abfindung vom Arbeitnehmer zurückerhalten zu können: Dieser habe zwischenzeitlich für seinen Sohn ein traditionelles türkisches Hochzeitsfest mit mehr als 1.000 Gästen ausgerichtet und das Übrige nach eigenen Angaben für Schuldentilgung und Rechtsanwaltskosten ausgegeben.
Landesarbeitsgericht: Aufhebungsverträge trotz Sonderstellung von Betriebsräten möglich
Sowohl das Arbeitsgericht wie auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen und den Aufhebungsvertrag für wirksam erklärt (Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 22.06.2016, Az. 1 Sa 63/15).
Zunächst stellte das Landesarbeitsgericht klar, dass ein Arbeitgeber auch mit einem Betriebsratsmitglied einen Vergleich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses schließen kann. Es steht Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch grundsätzlich frei, mit welchem Inhalt sie eine einvernehmliche Lösung finden. Beide Parteien hatten zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages ein verständliches Interesse an einer solchen Lösung, da das Vertrauensverhältnis zerstört war und auf dem Arbeitnehmer – so mutmaßt das Landesarbeitsgericht – auch familiär einiger Druck lasten musste. Die Fortführung des gerichtlichen Verfahrens hingegen hätte nicht nur eine detaillierte Beweisaufnahme erfordert, sondern sich auch zeitlich in die Länge gezogen. Dass der Kläger für einen in etwa entsprechend langen Zeitraum wie die maximale Prozessdauer unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt wurde, war nach Ansicht des Gerichts wiederum von der Warte des Arbeitgebers her verständlich. Auch für die beträchtliche Höhe der Abfindung gab es Gründe, nämlich das hohe Prozessrisiko der Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes, dessen lange Betriebszugehörigkeit und die schlechten Wiedereinstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt.
Alles in allem fand das Landesarbeitsgericht die geschlossene Vereinbarung angemessen. Zwar sei die besondere Stellung des Klägers als Betriebsratsmitgliedes in die Vereinbarung eingeflossen. Betriebsräte sind jedoch bereits durch das Gesetz aufgrund ihres besonderen Kündigungsschutzes bevorzugt gegenüber anderen Mitarbeitern. Dieser wiederum führt zu deutlich höheren finanziellen Risiken auf Arbeitgeberseite in einem Kündigungsschutzprozess. Dass diesen Risiken bei der Zahlung einer Abfindung Rechnung getragen wird, ist daher unmittelbare Folge der gesetzlichen Bevorzugung des Betriebsratsmitgliedes und nicht eine Bevorzugung durch den Arbeitgeber. Wäre dies anders, könnte ein Arbeitgeber einem Betriebsratsmitglied gar kein akzeptables Angebot für eine einvernehmliche Lösung unterbreiten.
Schließlich führt das Landesarbeitsgericht noch aus, dass der Kläger in diesem konkreten Fall schon nach dem Gebot von Treu und Glauben sein Recht verwirkt hatte, die Vereinbarung anzufechten. Schließlich wäre er nicht mehr in der Lage gewesen, die gezahlte Abfindung zurückzuzahlen und hatte außerdem zwischenzeitlich für ein Jahr lang seine Vergütung weiter entgegengenommen.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsräte haben automatisch eine bessere Verhandlungsposition
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Revision das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland bestätigt, der Aufhebungsvertrag ist also wirksam und hat das Arbeitsverhältnis beendet.
In der bisher lediglich vorliegenden Pressemitteilung (externer Link) führt das Bundesarbeitsgericht ebenso wie die Vorinstanzen aus, dass ein Betriebsratsmitglied durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig nicht unzulässig begünstigt wird, da die verbesserte Verhandlungsposition des Betriebsratsmitglieds auf dem gesetzlichen Sonderkündigungsschutz beruht.
Fazit: Freikaufen ist möglich
Betriebsräte sind aufgrund ihrer dem Arbeitgeber häufig unbequemen Position durch das Gesetz besonders vor Kündigungen geschützt. Sie sind also, möchte sich der Arbeitgeber einvernehmlich von ihnen trennen, automatisch in einer besseren Verhandlungsposition als Nicht-Betriebsräte. Da es keine fest definierten Bezugsgrößen für Abfindungen und andere Motivatoren zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gibt, wäre daher jedes Angebot des Arbeitgebers an ein Betriebsratsmitglied ein potenzieller Verstoß gegen § 78 BetrVG mit der Folge, dass eine solche Vereinbarung immer unwirksam wäre und der Arbeitgeber zudem eine Straftat begehen würde. Diese rechtliche Unmöglichkeit, ein Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden, könnte für beide Beteiligten unglücklich sein. Man müsste sich sogar fragen, ob diese Situation dann nicht sogar eine Benachteiligung des Betriebsratsmitgliedes wäre, was den Arbeitgeber in die paradoxe Lage versetzen würde, sich gegenüber Betriebsräten überhaupt nicht richtig verhalten zu können.
Kurzum, die angerufenen Gerichte einschließlich des Bundesarbeitsgerichts sind dieser Auffassung entgegengetreten und erklären Aufhebungsverträge mit Betriebsräten für grundsätzlich wirksam, auch wenn die Abfindung naturgemäß großzügiger ausfällt. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts lässt allerdings anklingen, dass es hierbei eine Grenze völliger Unangemessenheit im Verhältnis zu „normalen“ Abfindungen geben mag. Eine solche unangemessene Vereinbarung müsste aber schon deutlich aus dem Rahmen fallen, eine schlicht dem Risiko angemessene Erhöhung der Abfindung genügt hierfür nicht, wie die Urteile zeigen.
Zunächst gilt daher: Der Arbeitgeber darf Betriebsräte freikaufen (und der Betriebsrat darf sich freikaufen lassen). Dieses Ergebnis ist lebensnah, war aber rechtlich nicht selbstverständlich. Die Klarstellung ist daher durchaus zu begrüßen. Gleichwohl sollten Arbeitgeber sich im Klaren sein, dass sie in der Regel im Verhältnis zum Durchschnitt ihrer Arbeitnehmer einem Mitglied des Betriebsrates ein deutlich verbessertes Angebot werden machen müssen, um dieses zum Ausscheiden zu bewegen.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Betriebsrat und Sonderkündigungsschutz? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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