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Richterhammer und Justitia im Hintergrund
4. August 2016 / by kanzleiKerner

Die unendliche Geschichte des falsch verheirateten Chefarztes

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 28.07.2016

Zur Zulässigkeit einer Kündigung wegen Wiederheirat

Was war passiert? Chefarzt heiratet neu: Kündigung! Hochzeit als Kündigungsgrund? Bei der katholischen Kirche ist das möglich, wie ein Chefarzt eines Düsseldorfer Krankenhauses in katholischer Trägerschaft feststellte. Nach dem Scheitern seiner ersten Ehe heiratete der Arzt – auch auf Drängen seiner neuen Lebenspartnerin – im Jahr 2008 erneut standesamtlich. Die Wiederheirat nach der Scheidung stellt allerdings nach der Grundordnung des katholischen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar. Warum? Weil eine Ehe laut katholischer Glaubensauffassung alleine durch den Tod geschieden werden kann. Die zweite Ehe konnte also nicht gültig geschlossen werden, der Mann lebte „in kirchlich ungültiger Ehe“ – ein ausdrücklicher Kündigungsgrund.

Im März 2009 erhielt er entsprechend die ordentliche Kündigung. Das sah er allerdings nicht ein und erhob Kündigungsschutzklage unter anderem mit der Begründung, dass bei evangelischen Chefärzten nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes die Wiederheirat nach Scheidung ohne arbeitsrechtliche Folgen bleibt.

Die Urteile – Arbeitsgerichte: „Ja“, Bundesverfassungsgericht: „Nein“

Seine Klage war zunächst durch alle Instanzen erfolgreich. Das Bundearbeitsgericht entschied mit Urteil vom 08.09.2011 (Az. 2 AZR 543/10), dass die Kündigung ungerechtfertigt war. Zwar hatte der Arzt zweifellos gegen seine Loyalitätspflicht gegenüber seinem Arbeitgeber verstoßen, nach einer Abwägung mit seinem Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sei eine Weiterbeschäftigung aber zumutbar.

Das wollte wiederum der kirchliche Arbeitgeber nicht einsehen und erhob Verfassungsbeschwerde. Mit Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hob die für den Arzt erfolgreiche Revision auf und verwies den Rechtsstreit an das Bundesarbeitsgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, im Grundgesetz in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verankert, ginge dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor (Beschluss vom 22.10.2014, Az. 2 BvR 661/12).

Der Beschluss: Bundesarbeitsgericht sucht sich Hilfe beim EuGH

Nun war es bei dem Bundesarbeitsgericht vorbei mit dem Verständnis. Anstatt wie es in der Zusammenarbeit der Gerichte üblich gewesen wäre dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu folgen und die Kündigungsschutzklage zurückzuweisen sucht sich das Bundesarbeitsgericht aktuell Hilfe beim „großen Bruder“, dem Europäischen Gerichtshof.

Dort fragt das Bundesarbeitsgericht nun an, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2000/78/EG, hier Art. 4 UA 2) es gestattet, dass die Kirche bei dem Verlangen nach loyalem Verhalten unterscheiden darf zwischen Arbeitnehmern, die der betreffenden Kirche angehören und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören (Vorlagebeschluss vom 28.07.2016, Az. 2 AZR 746/14 (A)).

Hierfür muss man wissen, dass das europäische Recht dem deutschen Recht, einschließlich des Verfassungsrechts, vorgeht. Entscheidet also der Europäische Gerichtshof, dass das kirchliche Arbeitsrecht, welches in seiner jetzigen Form aus Art. 140 GG folgt, europarechtswidrig ist, ist das Argument des Bundesverfassungsgerichtes wertlos und würde das Bundesarbeitsgericht nicht mehr binden. Das Bundesarbeitsgericht könnte dann – gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts – die Kündigungsschutzklage erneut zurückweisen.

Fazit: Das Bundesarbeitsgericht testet das Kooperationsverhältnis

Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof haben lange ein schwieriges Verhältnis gehabt und erst in jüngerer Vergangenheit durch die „Solange“-Rechtsprechung zu einem einigermaßen kooperativen Miteinander gefunden.

Der Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts ist daher einerseits ein Affront gegen das Bundesverfassungsgericht, andererseits aber auch die konsequente Fortführung der aktuellen Linie. Schon mit dem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof vom 17.03.2016, hier vom 8. Senat, hat das Bundesarbeitsgericht deutlich gemacht, die Einstellungspraxis der Kirchen auf den Prüfstand heben zu wollen. Den Beschluss haben wir hier besprochen. Das Bundesarbeitsgericht hat also offensichtlich Lust, an der Machtstellung des kirchlichen Arbeitsrechts zu rütteln, auch gegen den Willen des Bundesverfassungsgerichts und statt dessen mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs. Wir sind auf beide Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs gespannt.

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