KERNER Rechtsanwälte – Rufen Sie uns an: 0511 27 900 80

Mo - Do von 9 - 16 Uhr & Fr 9 - 14 Uhr

Leisewitzstraße 28, 30175 Hannover

Bild einer Stoppuhr
13. September 2024 / by Kanzlei Kerner

Ungleiches Ausstempeln beweist keinen Arbeitszeitbetrug

Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 20.02.2024 (Aktenzeichen 9 Sa 577/23)

Ganz ehrlich: Sind Sie schon einmal schnell nebenan einen Kaffee oder ein Sandwich holen gegangen, ohne dies als Pause zu kennzeichnen? Haben im Home-Office Wäsche aufgehängt? Die Mittagspause überzogen? Willkommen in unserem aktuellen Thema.

Arbeitnehmer stellen ihre Arbeitskraft stundenweise zur Verfügung und erhalten ein ebenfalls auf Grundlage der Arbeitsstunden berechnetes Gehalt. In der als Arbeitszeit deklarierten Zeit steht die Aufmerksamkeit also dem Arbeitgeber zu. Toilettengänge oder kurzes Plaudern sind okay, bei längeren oder systematischen Unterbrechungen der Arbeitszeit, die sich Arbeitnehmer dennoch bezahlen lassen, sprechen wir von Arbeitszeitbetrug.

Welche Folgen hat Arbeitszeitbetrug?

Arbeitszeitbetrug kann zu einer Kündigung führen, in schweren Fällen sogar zu einer fristlosen Kündigung. Um zu verstehen, welche Folgen drohen muss man wissen, dass aus Sicht eines Arbeitsgerichts eine Kündigung keine Strafe für vergangenes Fehlverhalten ist, sondern das Ergebnis der Prognose, ob das Vertrauen des Arbeitgebers in das Arbeitsverhältnis objektiv zerstört ist. Falls ja, ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis zu lösen – falls nicht, dann nicht. Im Fall von Arbeitszeitbetrug gilt: Bei einem einmaligen leichten Fall oder einem Versehen besteht die Vermutung, dass das Verhalten des Arbeitnehmers durch eine Abmahnung positiv beeinflusst werden kann, so dass zunächst abzumahnen ist und eine sofortige Kündigung gerichtlich angreifbar wäre. Bei schwerem, wiederholtem oder systematischen Vorgehen ist eine Abmahnung vor einer Kündigung nicht erforderlich. Neben der Frage nach dem Vorsatz und dem Umfang der falschen Angaben spielt auch die Betriebszugehörigkeit eine Rolle. Kurz: Das Gericht nimmt eine Abwägung aller Umstände vor

Was gilt im Verdachtsfall?

Der Arbeitgeber hat den behaupteten Arbeitszeitbetrug darzulegen und zu beweisen. Das ist nicht immer leicht, z.B. wenn Verstöße im Home-Office vermutet werden. Deshalb ist es möglich, eine Kündigung nicht nur auf nachgewiesen Arbeitszeitbetrug zu stützen, sondern auch auf einen Verdacht. Natürlich berechtigt nicht jeder Verdacht des Arbeitgebers zur Kündigung: Eine so genannte Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn es starke Verdachtsmomente gibt, die auf nachweisbaren Tatsachen beruhen. Diese so genannten Verdachtstatsachen muss der Arbeitgeber beweisen und es muss aufgrund dessen eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Vorwurf zutrifft.

Einen solchen Verdacht glaubte ein Arbeitgeber zum Thema „verspätetes ausstempeln“ zu haben, scheiterte jedoch gerichtlich:

Was war passiert? Späteres Ausstempeln als Kollegen

Die spätere Klägerin ist als Rettungssanitäterin in einem Team von zwei Personen tätig. Nach Beendigung eines Einsatzes fallen am Fahrzeug und in der Wache Folgearbeiten an, z.B. Auftanken, Aufräumen und Reinigungsarbeiten. Der Arbeitgeber stellte fest, dass die Einsatzzeiten der Klägerin die des jeweiligen Kollegen/der jeweiligen Kollegin in der Schicht regelmäßig um bis zu 75 Minuten überschritten. Unter anderem sei am 20.06.2021 eine Arbeitszeit bis knapp vor 20 Uhr dokumentiert, der Teamkollege habe sich jedoch bereits um 18:22 Uhr ausgestempelt und der Krankenwagen sei unmittelbar nach Einsatzende von dem Folgeteam übernommen worden. Der Arbeitgeber kündigte fristlos, die Sanitäterin legte hiergegen Klage ein und machte unter anderem geltend, sie habe an diesem Tag um 18:51 Uhr noch ein Desinfektionsprotokoll gefertigt, anschließend die Aufenthaltsräume gereinigt und den Müll herausgebracht. Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, dass angesichts der Differenzen in den Arbeitszeiten der Klägerin zu denen der Kollegen der Verdacht systematischen Arbeitszeitbetruges vorliege. 

Das Urteil: Folgearbeiten nicht ausreichend aufgeklärt

as Landesarbeitsgericht Niedersachsen gab der Klägerin Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam (Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 20.02.2024, Aktenzeichen 9 Sa 577/23). Das Gericht war der Auffassung, der Arbeitgeber habe den Verdacht eines systematischen Arbeitszeitbetrugs nicht hinreichend konkret dargelegt. Die Arbeitnehmerin hatte ein Versehen der Arbeitszeitverschreibung für einen der ihr vorgeworfenen Tage mit ungeklärtenr Arbeitszeit eingestanden, das Gericht nahm dieses Versehen – und damit keine Absicht – als glaubwürdig an; somit wäre vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen. Für die strittige Arbeitszeit des 20.06.2021 hat das Gericht gerügt, der Arbeitgeber habe nicht konkret genug vorgetragen, schließlich habe die Arbeitnehmerin unbestritten noch um 18:51 Uhr ein Desinfektionsprotokoll erstellt. Der allgemeine Hinweis, dass die Folgearbeiten allenfalls fünf Minuten in Anspruch nehmen würden, genügte dem Gericht ohne Darlegung der konkreten Aufgaben und der dafür vorgesehenen Zeiten nicht, vor allem, weil es Dienstanweisungen für vorzunehmende Nacharbeiten gebe, ohne dass dort zeitliche Vorgaben bestünden. Nicht aufklärbare Differenzen hier und an anderen Tagen mit vermeintlich verdächtig spätem ausstempeln gingen zu Lasten des Arbeitgebers, der keine genauen Vorgaben und Erläuterungen zu den erforderlichen Tätigkeiten vorgetragen hat. Schließlich hat auch das Argument, andere Teams bräuchten nur deutliche kürzere Nachbearbeitungszeiten das Gericht nicht überzeugt, da der Arbeitgeber nur Vergleichszahlen zweier anderen Teams vorlegte, es jedoch alleine auf der Wache der Klägerin sieben Teams gebe.

Fazit

Möchte ein Arbeitgeber eine Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs aussprechen, ist Aufklärung das A und O. Auch wenn einige Ungereimtheiten zusammengekommen sind, begründet das alleine noch keinen hinreichenden Verdacht für systematisches und vorsätzliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers. Bringt ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit nachvollziehbare Einwände vor, weshalb die dokumentierte Arbeitszeit doch zutreffend ist – oder nur ein Versehen vorlag -, wirkt sich die Darlegungs- und Beweislast zum Nachteil des Arbeitgebers aus. Arbeitnehmer sollten allerdings gerade die Erfassung ihrer Arbeitszeit sehr sorgfältig vornehmen, um arbeitsrechtliche Konsequenzen und Rechtsstreitigkeiten von vorneherein zu vermeiden.

Haben Sie Fragen zu den Themen Verdachtskündigung oder Arbeitszeitbetrug? Wir helfen Ihnen gerne weiter.

KERNER Rechtsanwälte
Fachanwälte für Arbeitsrecht

Leisewitzstraße 28
30175 Hannover
T: 0511 279008-0
F: 0511 279008-20
info@kanzlei-kerner.de
www.kanzlei-kerner.de