Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14.02.2024 (Aktenzeichen 2 Sa 374/23)
Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ist in seinem Grundsatz nicht kompliziert, seine Anwendung führt aber allzu schnell in die Untiefen des Zivilrechts. Um es für Sie greifbarer zu machen: Die meisten Verträge werden „Zug-um-Zug“ erfüllt. Kaufen Sie beim Bäcker zwei Brötchen, erfolgt die Übergabe der Brötchen (fast) gleichzeitig mit der Übergabe der Bezahlung. Vor allem bei Werkverträgen tritt aber eine Partei in Vorleistung: Möchten Sie Ihre reparierten Schuhe beim Schuhmacher abholen, ist der Reparaturpreis zur Zahlung fällig und deshalb hat der Schuhmacher das Recht, die Schuhe so lange nicht herauszugeben – sie also zurückzubehalten – bis Sie die Reparatur bezahlt haben. Sie sehen also, das Zurückbehaltungsrecht ist eine Möglichkeit, die andere Vertragspartei zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten. Auch in dauerhaften rechtlichen Beziehungen wie einem Arbeitsverhältnis kann dieses Recht nach Fälligkeit der jeweiligen Gegenleistung genutzt werden und zwar sowohl vom Arbeitgeber (durch Zurückbehaltung des Gehalts) wie auch vom Arbeitnehmer (durch Zurückbehaltung seiner Arbeitskraft).
Übrigens: Nur überhaupt nicht geleistete Arbeit berechtigt den Arbeitgeber zur Kürzung des Gehalts. Ist die Arbeit fehlerhaft ausgeführt, muss er andere Mittel wählen, denn eine Gehaltskürzung wegen „Mängeln“ sieht das Arbeitsrecht nicht vor. Der Arbeitnehmer hingegen kann nicht nur wegen rückständigen Gehalts sein Zurückbehaltungsrecht ausüben, sondern auch bei erheblichen Verletzungen von Arbeitsschutzvorschriften oder zur Abwehr schwerer Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht wie Mobbing. Vor der Ausübung dieser Rechte raten wir allerdings eine anwaltliche Beratung an, denn hier drohen einzelfallabhängige „rechtliche Fallstricke“.
Voraussetzung für die wirksame Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist außerdem neben dem fälligen Anspruch, dass kein grobes Missverhältnis zwischen der ausstehenden Leistung und der Leistungsverweigerung besteht und dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts hinreichend konkret geltend gemacht wurde. Letzteres soll durch ausdrückliche Erklärung oder durch schlüssiges Verhalten geschehen können, wobei nach diesem neueren Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen nachdrücklich zu einer sehr konkreten und ausdrücklichen Geltendmachung geraten werden muss:
Was war passiert?
Der spätere Kläger arbeitete als Pflegeassistent in einem Pflegeheim und kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2022. Ab dem 19. April bis zum 13. Mai war er krank geschrieben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. April forderte er die Zahlung des bis dahin nicht gezahlten Aprilgehalts und drohte an, bei Nichtzahlung von dem Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitskraft Gebrauch zu machen. Nachdem der Arbeitgeber weiterhin keine Zahlung leistete, nahm der Arbeitnehmer ab dem 14. Mai seine Arbeit nicht wieder auf und meldete sich auch nicht mehr. Schließlich klagte er auf Zahlung der Gehälter für die Monate April bis Juni 2022.
Das Urteil: Keine ausdrückliche Mitteilung – kein Geld
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen wies anders als noch die erste Instanz die Klage auf Zahlung des ausstehenden Gehalts für die Zeit nach der Erkrankung ab (Urteil vom 14.02.2024, Az. 2 Sa 374/23). Zunächst stellte das Gericht klar, dass der Kläger für die Zeit, in der er noch Arbeitsleistung erbracht hat, einen Vergütungsanspruch erworben hat. Für den Zeitraum danach hätte sich der Vergütungsanspruch aus seinem Zurückbehaltungsrecht ergeben können. Das Gericht war aber der Auffassung, der Arbeitnehmer habe dieses nicht wirksam ausgeübt. Dazu heißt es in der Urteilsbegründung, dass das Zurückbehaltungsrecht nicht missbräuchlich ausgeübt werden darf: Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, aufgrund welcher ganz bestimmten, konkreten Gegenforderung er sein Zurückbehaltungsrecht ausüben werde. Nur so werde dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und zu erfüllen. Diese Voraussetzungen sah das Gericht nicht als erfüllt an: In dem Schreiben des Rechtsanwalts sah dieses lediglich die Ankündigung, von dem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen zu wollen. Das tatsächliche Nichterscheinen zur Arbeit war nach Ansicht des Gerichts ebenfalls keine hinreichend klare Mitteilung mit Verweis auf eine konkrete Forderung und einen konkreten Zeitpunkt.
Fazit
Ärgerlich für den Arbeitnehmer: Obwohl die Voraussetzungen für eine Zurückbehaltung der Arbeitskraft in Hinblick auf das ausstehende Gehalt gegeben waren, hat er die Mitteilung an den Arbeitgeber nicht konkret genug und das Recht damit nicht wirksam ausgeübt. In der Folge ging der Kläger leer aus. Diese Konkretisierung der Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechts durch die Rechtsprechung zeigt, dass es bei der Durchsetzung eines Rechts oftmals auf die Feinheiten ankommt. Arbeitnehmern und auch Arbeitgebern ist daher zu raten, bei der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts sehr sorgfältig vorzugehen.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Zurückbehaltungsrecht? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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