Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Oktober 2015
Zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit bei Zahlungen von Drittkonto
Wird über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Insolvenzverwalter zuvor vorgenommene Zahlungen des insolventen Arbeitgebers unter bestimmten Voraussetzungen anfechten. Dahinter steckt die Idee, durch Korrektur von Vemögensverschiebungen eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu erreichen.
Notwendige Fachbegriffe: Kongruente und inkongrente Deckung
Ob ein solches Anfechtungsrecht besteht, richtet sich vor allem nach der Unterscheidung von kongruenter und inkongruenter Deckung. Eine kongruente Deckung (lat. congruentia – Übereinstimmung) ist eine Zahlung oder eine andere Leistung, auf die der Gläubiger in dieser Form und zu dieser Zeit Anspruch hatte. Solche Zahlungen sind nicht anfechtbar.
Das Gegenteil, die inkongruente Deckung, ist bei zeitlicher Nähe zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich anfechtbar und dann rückabzuwickeln. Die gesetzliche Grundlage für dieses Vorgehen ist § 131 Insolvenzordnung (InsO); hier ist unter anderem geregelt, dass Zahlungen anfechtbar sind, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt haben, welche er nicht oder nicht in der Art zu beanspruchen hatte.
Gemeint sind Fälle, in denen der Zahlungsempfänger keinen Anspruch auf die Zahlung hatte, sein Anspruch noch nicht fällig oder bereits verjährt war.
Zahlung vom Konto eines Dritten ist “nicht in der Art” geschuldet
Hat der Empfänger zwar einen Anspruch auf eine Zahlung, aber “nicht in der Art”, ist auch das ein Fall inkongruenter Deckung. Damit sind Situationen gemeint, in denen der Zahlungsempfänger statt der geschuldeten Zahlung eine andere, so nicht geschuldete Zahlung erhält. Das ist auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen – wie kann eine Zahlung “nicht so” geschuldet sein?
Das kann etwa passieren, wenn – und darum ging es in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts – Arbeitnehmer Gehaltszahlungen über das Konto eines Dritten und nicht über das Konto ihres Arbeitgebers erhalten. Dann sind diese Zahlungen üblicherweise “nicht in der Art” geschuldet und können durch den Insolvenzverwalter angefochten werden. Die Folge ist ein Rückzahlungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen den Arbeitnehmer.
Der Fall – Kein eigenes Konto, aber wie ein eigenes Konto
Verklagt war ein Buchhalter, der bei einem später insolventen Bauunternehmer beschäftigt war. Der Arbeitgeber zahlte noch im Dezember 2008 und im Januar 2009 Teile des Gehaltes, im April 2009 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Gehaltszahlungen erfolgten wie seit jeher von einem Bankkonto, welches sein Sohn eingerichtet hatte. Dieser nutzte das Konto nicht und hatte seinem Vater die für das Onlinebanking notwendigen Daten zur Verfügung gestellt. Auf den Umstand, dass es sich nicht um sein eigenes Konto handelt, wies der Arbeitgeber allerdings nie hin. Er gab dieses Konto statt dessen auch auf Geschäftsbriefen als Bankverbindung an, wiederum ohne jeden Hinweis auf die Kontoinhaberschaft seines Sohnes.
Der Insolvenzverwalter erklärte die Anfechtung der Gehaltszahlungen und verlangte die Rückzahlung. Der beklagte Arbeitnehmer verweigerte das und berief sich darauf, es läge keine inkongruente Deckung vor und die Zahlungen sei daher nicht anfechtbar; schließlich habe der Arbeitgeber über das Konto seines Sohnes wie über ein eigenes Konto verfügt.
Das Urteil – Entscheidend ist das konkrete Arbeitsverhältnis
Mit dieser Argumentation überzeugte er, die Klage des Insolvenzverwalters blieb über alle Instanzen erfolglos. Die angefochtenen Entgelzahlungen sind ausnahmsweise kongruent, obwohl sie über das Konto des Sohnes des Arbeitgebers erfolgten. Das entschied zuletzt das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 22.10.2015, Az. 6 AZR 538/14). Entscheidend war für die Erfurter Richter nicht der im Arbeitsleben übliche Zahlungsweg. Das wäre wohl eine Zahlung über ein Konto gewesen, dessen Inhaber der Arbeitgeber ist. Vielmehr war ausschlaggebend, dass die Zahlung in der für dieses konkrete Arbeitsverhältnis üblichen Weise und ohne Beteiligung einer dritten Person erfolgt war.
Ein Rückzahlungsanspruch des Insolvenzverwalters besteht daher nicht.
Fazit
Entgeltzahlungen über das Konto eines Dritten sind grundsätzlich inkongruent. In dem besprochenen Fall bestand allerdings die Besonderheit, dass allein die Kontoinhaberschaft auf einen Dritten lautete, dieser Dritte das Konto aber nicht nutzte. Statt dessen wurde es seit jeher ausschließlich von dem Arbeitgeber genutzt. Für solche Fälle hat das Bundesarbeitsgericht nun eine Ausnahme etabliert und klargestellt, dass die aufgezeigten Grundsätze nicht schablonenhaft anzuwenden sind.
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