Angestellte überweist aus Versehen 1,9 Millionen Euro an Trickbetrüger
Im Alltag ist die Haftungsfrage recht klar: Wer erwachsen ist und einen anderen fahrlässig oder vorsätzlich schädigt, muss ihm den Schaden ersetzen.
Wäre das im Arbeitsverhältnis genauso, ginge das allerdings zu Lasten des Arbeitnehmers. Dieser kommt schließlich permanent mit Eigentum des Arbeitgebers in Berührung, während der Arbeitgeber „nur“ das Gehalt zahlt. Die Chance ist also viel höher, dass ein Arbeitnehmer Schäden bei dem Arbeitgeber verursacht als andersherum – einfach weil Fehler passieren und weil Arbeitnehmer sich viel Zeit im Betrieb aufhalten.
Der Gesetzgeber ist noch aus einem anderen Grund der Auffassung, dass ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber nach anderen Maßstäben haftet als zwei Privatpersonen untereinander: Weil eine Haftung nach normalen gesetzlichen Grundsätzen für den Arbeitnehmer schnell existenzbedrohend werden kann, wenn der Arbeitnehmer mit teuren Maschinen oder Anlagen zu tun hat. Dieses Risiko spiegelt sich aber in der Regel nicht in der Höhe des Gehaltes wieder.
Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer
Kurz gesagt gibt es deshalb zwei Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer:
Der Arbeitgeber hat sämtliche Umstände darzulegen und zu beweisen, die zu der Haftung des Arbeitnehmers führen sollen (§ 619a BGB). Nur wenn dann feststeht, dass genau dieser Arbeitnehmer den Schaden schuldhaft verursacht hat, kommt eine Haftung in Betracht. Ist also nicht klar, wie es überhaupt zu dem Schaden gekommen ist oder kommen mehrere Arbeitnehmer für die Schadensverursachung in Betracht, hat der Arbeitgeber ein Beweisproblem und nicht andersherum der Arbeitnehmer ein Entlastungsproblem.
Die zweite wesentliche Erleichterung besteht darin, dass der Arbeitnehmer nicht wie bei Privatpersonen untereinander für jede Form der Fahrlässigkeit voll haftet, sondern abgestuft nach dem Grad der Fahrlässigkeit. Für den Grad der Fahrlässigkeit kann man folgende Faustregel heranziehen:
- leichteste/leichte Fahrlässigkeit: „So etwas passiert eben mal.“
- mittlere Fahrlässigkeit: „Das hätte man voraussehen können.“
- grobe/gröbste Fahrlässigkeit: „So etwas darf doch nicht passieren!“
Tritt bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit sodann ein Schaden am Eigentum des Arbeitgebers ein, gilt vereinfacht gesagt:
- Bei leichtester/leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer nicht. Die heruntergefallene Kaffeetasse muss er also in der Regel nicht ersetzen.
- Bei mittlerer Fahrlässigkeit wird eine Haftungsquote gebildet, Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen also den Schaden anteilig (z.B. 50/50).
- Schwere Fahrlässigkeit: Grundsätzlich volle Schadenstragung des Arbeitnehmers. Das Bundesarbeitsgericht hält aber auch hier eine Haftungsbeschränkung zum Schutz der wirtschaftlichen Existenz bei einem Missverhältnis des Schadens zum Einkommen für möglich.
Es handelt sich hier nur um Anhaltspunkte, die Gerichte berücksichtigen jeweils alle Umstände (z.B. Höhe des Gehaltes, Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienverhältnisse, ordnungsgemäße Einarbeitung, Überforderung/Überlastung…).
Haftungsrisiko fiktive Selbstbeteiligung
Und noch etwas: Konnte das Risiko versichert werden, haftet der Arbeitnehmer in der Regel nur bis zur Höhe einer fiktiven Selbstbeteiligung der fiktiven Versicherung.
Nicht nur im Umgang mit teuren Geräten kann es zu hohen Schäden kommen, auch in der Buchhaltung besteht naturgemäß Potenzial für Schäden am Arbeitgebereigentum.
Die Buchhalterin einer großen süddeutschen Bäckerei-Kette musste das nun erfahren, sie verursachte laut Presse einen Schaden in Millionenhöhe. Aber der Reihe nach:
Eine neue Masche der Cyberkriminalität ist der so genannte „Geschäftsführerbetrug“. Mit E-Mails, die angeblich von der Firmenleitung stammen, werden Mitarbeiter veranlasst, Geld an dubiose Empfänger auszuzahlen.
Die Mitarbeiterin der Bäckerei-Kette soll eine E-Mail erhalten haben, die vorgeblich direkt von der Geschäftsführerin stammte. Laut der E-Mail würde sie weitere Informationen für eine vertrauliche Finanztransaktion erhalten – und ganz wichtig, sie solle hierüber mit keinem anderen Mitarbeiter sprechen. Mit einer zweiten E-Mail wurde die Mitarbeiterin veranlasst, den Betrag von 1,9 Millionen Euro an eine Adresse in Hong Kong zu zahlen. Die Mitarbeiterin löste die Transaktion gemäß der Anweisungen in den E-Mails aus, ohne Rücksprache zu halten. Tatsächlich handelte es sich um einen Trickbetrug.
Der spätere Rechtsstreit wurde zwischen Bäckereikette und Bank geführt, da die Bäckerei der Bank eine Mitschuld wegen der ungewöhnlich hohen Summe zuwies. Über die Mitarbeiterin ist nur bekannt, dass sie entlassen worden sein soll. Ein arbeitsgerichtliches Verfahren wurde scheinbar nicht geführt.
Wir können also nur darüber spekulieren, wie der Fall ausgegangen wäre, hätte man von ihr Schadensersatz gefordert. Hierfür müsste man die Details genauer kennen, klar dürfte aber sein: Hier hätte bei der Mitarbeiterin „eine rote Lampe“ angehen müssen. Leichteste Fahrlässigkeit nach dem Motto „so etwas kann schon einmal vorkommen“ dürfte daher ausscheiden, selbst wenn die Geschäftsführerin tatsächlich einmal persönlich Überweisungsaufträge erteilt hat. Andererseits hatte die Bäckerei offenbar kein internes Verhaltensprotokoll für solche Fälle. Berücksichtigt worden wäre sicher auch die existenzgefährenden Wirkung einer Haftung im sechsstelligen Bereich. Dennoch: Dass die Arbeitnehmerin vollständig haftungsfrei geblieben wäre, ist unwahrscheinlich.
Arbeitnehmern ist daher zu raten, was ohnehin Arbeitsalltag sein sollte und zum Glück häufig auch ist: Verantwortungsvoll im Rahmen der eigenen Kompetenzen zu arbeiten und Überlastungen sowie Sondersituationen bei dem Vorgesetzten anzuzeigen.
Arbeitgebern, denen ein Schaden durch einen Arbeitnehmer entstanden ist, sollten in erster Linie gründliche Beweissicherung betreiben und sodann prüfen (lassen), in welchem Umfang eine Forderung in Betracht kommt.
Haben Sie Fragen zu dem Thema Arbeitnehmerhaftung? Wir helfen Ihnen gerne weiter.
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